Anschlag in Barcelona - Jeder Terror hat ein Adjektiv

Wer den islamistischen Terror besiegen will, der muss ihn benennen. Die Muslime müssen gewaltverherrlichende Tendenzen in ihren eigenen Reihen bekämpfen. Und der Staat hat die Pflicht, die öffentliche Sicherheit zu garantieren. Routinierte Schuldabwehr ersetzt keine vernünftige Politik

So wie es den Terror der Rechts- oder der Linksextremisten gibt, so gibt es auch den muslimischen Terror / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es ist schrecklich, und es hört nicht auf. Wieder haben fanatisierte Muslime Tod und Verzweiflung über viele, viele unschuldige Menschen gebracht, Menschen jeglichen Alters und verschiedener Nationalität. Der Mord von Hamburg liegt keine zwei Wochen zurück, die schlimmen Bilder aus Stockholm, wo ein Attentäter mit einem Lastwagen fünf Menschen tötete, über ein Dutzend verletzte, sind vier Monate alt. Dazwischen lagen Alexandria, Manchester, London, Paris, wieder London und Brüssel. Unter anderem.

Nun war es Barcelona, wo bisher 13 Menschen durch einen Mörder am Lastwagensteuer zu Tode kamen, und fast hätte es auch der spanische Badeort Cambrils auf die tödliche Liste geschafft. Dort wurden fünf sterbebereite muslimische Extremisten von der Polizei erschossen, ehe sie töten konnten. Sieben Menschen mit einem Auto verletzen konnten sie dennoch. All das ist furchtbar, an all das sollten wir uns niemals gewöhnen.

Ritualisierte Schuldabwehr

Die veröffentlichte Wahrnehmung solcher Anschläge teilt sich in zwei Phasen, wie sie auch nun zu besichtigen waren. Zunächst, parallel zu den sich katastrophal aufgipfelnden Nachrichten, dominieren Trauer, Abscheu und Entsetzen. Jedes einzelne dieser schlimmen Ereignisse widerstreitet dem normalen menschlichen Empfinden auf eine derart eklatante Weise, ist eine solch radikale Absage an alles, was Menschsein ausmachen sollte, dass diese Taten letztlich über unseren Verstand hinaus gehen, unsere Herzen lähmen, unsere Seelen verdüstern. Was ist der Mensch, wenn er seinesgleichen solche Pein antut? Was läuft schief in diesen kranken Hirnen?

In dieser ersten Phase mischen sich unter die zutiefst menschlichen Emotionen die ersten Töne einer ritualisierten Schuldabwehr. Politiker und Vertreter des öffentlichen Lebens erklären sich „solidarisch“ mit den gemordeten und verletzten Opfern und der Region oder Nation, der sie entstammen. Man stehe fest an deren Seite. Man teile die Trauer. Man bleibe geeint.

Das ist einerseits die in Diplomatensprache übersetzte und insofern notwendigerweise ernüchterte Ausdrucksweise von Erschütterung. Staaten weinen nicht, Staatsvertreter sollten es auch nicht. Andererseits wird damit das Feld bereitet für die zweite Phase der rhetorischen Terrorbewältigung: die Entkoppelung von Tat und Tätern. Vollends kurios wird es übrigens, wenn das Gummiwort der Solidarität aus einer Stadt wie Berlin zu hören ist, wo der Opfer des islamistischen Anschlags am Breitscheidplatz dadurch gedacht wird, dass man den Breitscheidplatz wieder als Partyzone und Rummelplatz nutzt.

Den Terror auch klar benennen

Jeder Terror hat ein Adjektiv. Terror fällt nicht vom Himmel. Täte er es doch, hätten die Attentäter in ihrer verqueren Logik recht, wonach sie ein höheres, ein weltgeschichtliches oder gar göttliches Urteil vollstreckten. Darum ist es keine Petitesse, wenn wir auch nun nach dem Attentat von Barcelona erst von einem „Zwischenfall mit Lieferwagen“ lasen, dann von einem eigenschaftslosen „Anschlag“ oder einer „Terrorattacke“. In fast sämtlichen Fällen fehlt bis heute, am Tag danach, das qualifizierende Adjektiv. So wie es den Terror der Rechtsextremisten, der Linksextremisten, manchmal der Separatisten oder der Hinduisten gibt, so gibt es eben auch den muslimischen Terror. Er ist es, auf dessen Konto derzeit die meisten Anschläge gehen. Wer ihn besiegen will, der muss ihn benennen.

Der muslimische Terror entspringt dem Islam, weshalb zuerst die Muslime gefordert sind, die Gewaltfrage innerhalb ihrer Religion zu klären. Es sind zunächst die Muslime selbst, die in ihren Reihen gegen gewalttolerierende, gewaltverherrlichende Tendenzen vorgehen müssen. Das ist eine schwierige, eine langwierige Aufgabe, deren Ausgang unabsehbar ist. Zu ihr gibt es keine Alternative. Das neutestamentarische „Schafft den Übeltäter fort aus eurer Mitte!“ gilt auch für die dritte monotheistische Religion.

Eine Aufgabe für den Staat

Die nichtmuslimische Welt soll derweil, so hören wir es überall, an ihrer öffentlichen Lässigkeit festhalten. Das Risiko ließe sich nicht vermeiden, damit müssten wir uns abfinden, ist in einem Handelsblatt-Kommentar zu lesen. „Aber jeder Einzelne kann Widerstand leisten – weiter in Cafés, zu Konzerten und auf Flaniermeilen gehen, und damit die eigenen Werte verteidigen.“ Natürlich ist dieser individuelle Trotz, das forcierte Bekenntnis zur Lebensfreude im Angesicht des dschihadistischen Nihilismus, erst einmal sympathisch. Jeder mag es so halten, wenn er kann.

Dennoch ist die entscheidende Herausforderung keine lebensweltliche, sondern eine politische. Der freiheitliche Staat muss die Bedingungen schaffen, damit seine Bürger frei und sicher leben können. Er muss garantieren, dass der öffentliche Raum von jedermann jederzeit ohne Gefahr für Leib und Leben betreten werden kann. Er hat kein Recht, von seinen Bürgern Munterkeit zu fordern und selbst in eine Schicksalsergebenheit zu verfallen. Er hat kein Recht, folgenlose Trauer an die Stelle politischer Folgerungen zu setzen. 

Nach den Morden in Spanien braucht es mehr denn je eine robuste internationale Zusammenarbeit wider den islamistischen Terror, ein solides Grenzregiment und eine entschlossene nationale Gefahrenabwehr. Und in Ländern, in denen es an entsprechenden Gesetzen mangelt oder an der Absicht, diese umzusetzen, braucht es andere Gesetze und bessere Absichten. Dass keine Freiheit ohne Sicherheit ist, lernen wir gerade auf unfassbar bittere Weise. Wir sollten die Tränen von Barcelona nicht zu schnell trocknen lassen.

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