Anhörung von Brett Kavanaugh - Ist das noch Politik oder nur noch Fernsehen?

Der für den Supreme Court der USA von Präsident Donald Trump vorgeschlagene Richter Brett Kavanaugh muss sich vor dem Senat gegen Vorwürfe der sexuellen Belästigung wehren. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion werden immer undeutlicher

Brett Kavanaugh: Opfer einer Kampagne oder Vergewaltiger? / picture alliance
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Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Es war ein bisschen wie bei der Mondlandung. Als sich Brett Kavanaugh – von US-Präsident Donald Trump als Richter für den Supreme Court, das höchste Gericht, nominiert – dem Senatsausschuss stellte, klebte ganz Amerika am Fernseher. Acht Stunden lang insgesamt, als liefe eine ins unendliche ausgedehnte Soap-Opera. Und eine mit einer hochkarätigen Besetzung: Schurken und Engel kamen vor, Weicheier und Helden: Kavanaugh, der Vielleicht-Vergewaltiger, selber den Tränen nahe, der in einem dramatischen Auftritt um die Familienehre kämpft, die unrettbar zerstört sei. Christine Blasey Ford, sein Vielleicht-Opfer, sympathisch und gefasst, die erzählt, wie Kavanaugh und ein männlichen Freund sie als 17-Jährige zwei Stunden festgehalten und fast erwürgt und dabei gelacht hätten. Kavanaugh wiederum behauptete, mit 17 sei er noch Jungfrau gewesen. Sogar ein Tagebuch schleppte er an, um das zu beweisen.

Im Hintergrund dräut Reality-TV-Star Donald Trump

Und dann sind da noch der republikanische Wortführer und ewige Junggeselle Lindsey Graham, der den Demokraten Rache schwört und die scharfzüngige Demokratin Kamala Harris, die versuchte, den Richterkandidaten festzunageln. Wird er sich nun einer FBI-Untersuchung stellen oder nicht? Käme da überhaupt etwas raus? Die Fortsetzung sehen wir morgen. Und im Hintergrund dräut der Reality-TV-Star in Chief, Donald Trump, der Kavanaugh vorgeschlagen hat, ihn unbedingt durchsetzen will und erst Tage zuvor einen Auftritt als Komödiant vor den Vereinten Nationen hatte.

Aber noch einmal von vorne: Der Supreme Court, das Oberste Gericht der USA, ist eine wichtige Institution, denn hier werden Gesetze angenommen oder abgelehnt. Die Richter werden auf Lebenszeit ernannt, und zwar vom US-Präsidenten, bestätigt aber werden sie vom Senat. So ein Richter kann seinen Posten schon mal ein paar Jahrzehnte lang besetzen. Deshalb tut die Partei, die gerade am Ruder ist, alles, um ihren Kandidaten zu pushen. Das Verfahren wird noch dadurch erschwert, dass der Präsident und der Senat unabhängig gewählt werden, das heißt, ein Präsident kann eine Senatsmehrheit gegen sich haben. So ging es Barack Obama in den letzten zwei Jahren seiner Präsidentschaft, und deshalb konnte er seinen Kandidaten, Merrick Garland, nicht durchsetzen.

Der Richter und sein vermeintliches Opfer

Dementsprechend rachsüchtig gehen nun die Demokraten vor. Die Republikaner bekommen hingegen nun schon die zweite freie Stelle des Gerichts auf dem Tablett serviert, und die wollen sie nutzen, um knallharte Abtreibungsgegner durchzusetzen. Kavanaugh etwa hat einem 17-jährigen Flüchtlingsmädchen, das missbraucht worden war, eine Abtreibung verweigert. Wer 17 ist, könne durchaus die Konsequenzen seines Tuns tragen, hieß es in der Begründung. Die demokratische Strategie ist nun, die Wahl des Verfassungsrichters hinauszuzögern. Denn im November finden die so genannten Midterms statt, wo ein Drittel der Senatoren zur Wahl steht. Und danach, hoffen die Parteistrategen, haben sie eine Mehrheit. Jetzt sind es 51 Republikaner gegen 49 Demokraten, die Chancen stehen also gar nicht schlecht. 

Deswegen kam es den Demokraten sehr gelegen, dass Christine Blasey Ford auftauchte. Und nicht nur sie, bald gab es noch mehr Frauen, zum Beispiel Deborah Ramirez, die behauptete, Kavanaugh habe seinen Penis in ihren Mund gesteckt. Andere Vorwürfe kommen von Michael Avenatti, der Anwalt der Pornodarstellerin und früheren mutmaßlichen Trump-Geliebten Stormy Daniels. Der Zuschauer bekommt also noch mehr geboten als eine herkömmliche Soap. Es ist eher wie eine Serie von HBO, der Premiumkabelsender, wo Nacktheit und direkte Sprache keine Tabus sind. Und mit Kavanaugh wurde der ideale Hauptdarsteller gefunden. Der Jurist, der damals von Bill Clinton beschrieben haben wollte, ob und wie er im Oval Office ejakuliert hat.

Ein geistiger Bürgerkrieg

Das Land, so viel ist klar, ist gespalten. Die rechte Hälfte sieht in Ford eine lügende Hysterikerin, die den Zögling ihres geliebten Präsidenten mit schmutzigen Tricks zu Fall bringen will. Vielen der konservativen Evangelikalen wäre es sogar egal, wenn Kavanaugh sich wirklich an einer Mitschülerin vergangen hätte. Die linke Hälfte aber sieht in Kavanaugh einen „Frat Boy“, einen ewig betrunkenen Studenten aus reichem Haus, der sich alles herausnimmt. Dass er vor dem Ausschuss minutenlang erzählt, dass er eben gern mal ein Bier trinke, hilft nicht. Ein geistiger Bürgerkrieg findet gerade statt, in dem Amerikanern einander öffentlich auf Social Media beharken. Dass dieser in einem puritanischen Land stattfindet, wo Sex und Alkohol noch immer oft nur im Verborgenen auftreten, verschärft den Konflikt noch zusätzlich. 

Der Ausschuss will über Kavanaugh abstimmen, und dann soll der Richter nächste Woche vom Senat bestätigt werden. So wollen es die Republikaner. Die Demokraten machen dagegen mobil: Es gibt eine Handvoll in ihrer Meinung schwankender Senatoren, viele davon Frauen, die nun einzeln bearbeitet werden; Wähler rufen zu Zehntausenden in deren Büros an und drängen die Senatoren, gegen Kavanaugh zu stimmen. 

In „Rudy's“ Bar in Manhattan geht abends nach dem Hearing die Debatte weiter. Niemand hat heute gearbeitet, weil auch in allen Büros der Fernseher lief. Ein Land nimmt sich einen freien Politiktag. Wie der Zufall es will, läuft heute auch die erste Folge von „Murphy Brown“ an, die Neuauflage einer Serie um Politik und Medien. Candice Bergen, die die Hauptrolle spielt, liefert sich darin einen Twitterkrieg mit einem fiktiven Donald Trump. und Hillary Clinton, die echte Hillary, spielt ihre Sekretärin. Als passiere auf dem Bildschirm gerade die endgültige Kernschmelze zwischen Politik und Fernsehen. 

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