Türkei-Offensive im kurdischen Syrien - Mit Gewalt weiter in Richtung Russland

Seit Tagen schon kämpfen türkische Truppen gegen die Kurden in Syrien. Die Gründe für den Einsatz scheinen vorgeschoben. Ein möglicher Waffendeal zwischen Deutschland und der Türkei muss vor diesem Hintergrund neu bedacht werden

Türkische Panzer in Syrien - seit Samstag ist das türkische Militär im Einsatz / picture alliance
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Günter Seufert ist freier Journalist, Soziologe und hat mehrere Bücher zur Türkei veröffentlicht. Außerdem ist er bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin tätig.

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Mit ihrem Einmarsch nach Syrien trägt die Türkei den Krieg in eine der wenigen Ecken des Landes, die bislang vom Krieg relativ verschont geblieben waren. Doch der türkische Angriff auf die Stadt und Region Afrin gefährdet nicht nur das Leben der circa 250.000 Einwohner und der mehr als 150.000 Binnenflüchtlinge, die in Afrin Zuflucht gefunden haben. Er schadet auch der Türkei selbst und er treibt das Land ein weiteres Stück von Europa und vom Westen weg, in Richtung Russland.

Denn der Angriff zementiert ein weiteres Mal die unduldsame Kurdenpolitik des Landes, die sich seit mindestens vier Jahrzehnten in der Innenpolitik als größtes Hindernis für Demokratisierung erwiesen hat. Außenpolitisch wurde die Kurdenfrage zur Achillesferse der Türkei. So konnte Hafez al-Assad, der Vater des heutigen syrischen Präsidenten, die PKK jahrzehntelang als Druckmittel gegen die Türkei verwenden. Die Kurdenfrage vergiftete lange das Verhältnis der Türkei mit der Europäischen Union und heute das Verhältnis zu den USA.

Sofort nachdem die türkischen Soldaten die Grenze zu Syrien überschritten hatten, zog die Regierung im Innern die Zügel noch straffer an. Als erste Maßnahme wurde der Ausnahmezustand für drei weitere Monate verlängert. Kritik an der Entscheidung in den sozialen Medien sei Terrorpropaganda und werde unnachgiebig verfolgt, sagte Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Bereits am Montag nahm die Polizei über 50 Personen wegen Äußerungen auf Twitter oder Facebook fest, darunter auch die bekannte Journalistin Nurcan Baysal.

Kritik ist Vaterlandsverat

Spontane Demonstrationen wurden unverzüglich aufgelöst. Die türkische Presse erscheint nahezu gleichgeschaltet. Einzelne Kommentatoren, die mit vorsichtigen Worten auf Nachteile der Militäraktion hinweisen, schreiben, sie seien sich des Risikos bewusst, als Volks- und Vaterlandsverräter gebrandmarkt zu werden. Lautere Proteste gibt es im türkischen Nordzypern. Als eine Tageszeitung dort den Einsatz als Besetzung bezeichnete, rief der türkische Staatspräsident persönlich die Brüder in Zypern zum Handeln auf. Prompt stürmten aufgebrachte Demonstranten den Verlag und stellten dort alles auf den Kopf. Auf dem türkischen Festland liefern sich derweil die politischen Parteien, Regierung wie Opposition, einen Wettstreit darüber, wer die Militäraktion am entschlossensten unterstützt.

In der Rhetorik der Regierung heißt es, die Aktion richte sich nicht gegen die Kurden Syriens, sondern ausschließlich gegen die Milizen der Partei der Demokratischen Union (PYD). Die PYD ist freilich die stärkste Kraft unter den Kurden Syriens. Sie ist ideologisch und militärisch eng mit der türkisch-kurdischen PKK verflochten, und gilt deshalb in Ankara als Terrororganisation. Eine Einschätzung, die bislang weder von der EU noch von den USA oder von Russland geteilt wird. Die Regierung in Ankara hat jedenfalls bislang nicht überzeugend dargelegt, dass die Türkei von Afrin aus tatsächlich angegriffen worden wäre. Tatsächlich haben die Kurden in Syrien andere Sorgen, als sich mit der Türkei anzulegen. Zum Beispiel die fortdauernden Einsätze gegen den IS. 

Solidarisisieren sich jetzt alle Kurden?

Und so könnte es passieren, dass der Einmarsch in Afrin – gerade weil Ankaras Beweise dünn sind –  im Nahen Osten als Angriff auf die Kurden insgesamt aufgefasst wird. Eine gesamtkurdische Solidarisierung dürfte auch der Türkei Sorgen bereiten, denn sie beherbergt schließlich den größten Teil der Kurden überhaupt. Schon bei der Verteidigung der syrisch-kurdischen Stadt Kobani gegen den Islamischen Staat (IS) hatte sich 2014 ein grenzübergreifendes gesamtkurdisches Engagement gezeigt. Die Aktion der Türkei in Afrin ist ganz dazu angetan, die Geister zu rufen, die Ankara abwehren will.

Dabei hat die Türkei Erfahrung damit, wie gut dem Land der Sprung über den eigenen kurdischen Schatten tut. Als die Regierung im März 2013 in Verhandlungen mit der PKK eintrat, erlebt die Türkei über mehr als zwei Jahre hinweg eine Periode relativen Friedens. Und solange die Türkei eng mit den Kurden des Irak kooperierte, blühten selbst die verarmten Regionen im Südosten der Türkei wirtschaftlich auf. Ankara versuchte sich in der Rolle des großen Bruders der nahöstlichen Kurden und zog daraus enormen Nutzen.

Heute gelten die Kurden in der Türkei erneut als Instrumente fremder Mächte. Das Referendum der irakischen Kurden zur Unabhängigkeit im Oktober vergangenen Jahres wertete Ankara als Schritt zur Etablierung eines zweites Israels im Nahen Osten  Mit ihrer Ablehnung der Initiative verlor die Türkei den bestimmenden Einfluss, den sie in der kurdischen Hauptstadt Erbil zuvor gehabt hatte. Und die PYD in Syrien gilt der Türkei nicht nur als Terrororganisation, sondern auch als Werkzeug der USA, um die Türkei einzukreisen und zu destabilisieren. So stellt die Propaganda der Regierung den Angriff auf Afrin als Kräftemessen mit den USA dar. Dabei waren in Afrin nur russische Soldaten stationiert. Russland hatte sich auch dafür eingesetzt, die Kurden an Friedensverhandlungen zu beteiligen und ihnen in einem neuen Syrien begrenzte Autonomie zu gewähren. 

Krieg mit deutschen Waffen

Geändert hat sich die Haltung Russlands den Kurden gegenüber erst Anfang dieses Jahres. Die USA hatten plötzlich erklärt, dass sie, um den Iran zurückzudrängen, länger in Syrien bleiben und deshalb die Kurden weiterhin unterstützten müssten. In Russlands Augen, und Gleiches gilt für Syrien und für den Iran, wurden die Kurden damit von einem natürlichen Gegner des IS zum Instrument der USA gegen das syrische Regime: Die Russen öffneten den Luftraum über Syrien, und Ankara marschierte ein.

Damit führt die Türkei – ein Nato-Mitglied – mit russischer Erlaubnis einen Feldzug gegen Verbündete der USA. Moskau dagegen wird zum engsten Partner der Türkei, die die USA als Hauptbedrohung ihrer Sicherheit ansieht. Das ist kein gutes Zeugnis für die Washingtoner Politik. Es ist ein schlechtes Omen für die Beziehungen Ankaras zur Nato. Und es ist Grund zur Sorge auch für Deutschland. Denn in Afrin wird auch mit deutschen Waffen gekämpft. Hintergrund ist, dass von 2005 bis Ende 2011 insgesamt über 350 Leopard-2-Panzer von Deutschland an die Türkei geliefert wurden. Die Türkei hat zudem angekündigt, ihre deutschen Leopard-Panzer modernisieren zu wollen. Dafür hatte die Bundesregierung vor dem türkischen Einmarsch in Syrien deutliche Signale der Genehmigung gesendet.

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