Der Fall Nawalny und „Nord Stream 2“ - Kann die Bundesregierung einen Baustopp verhängen? 

Nach dem Giftanschlag auf den russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny wächst der Druck auf die Kanzlerin: Die Grünen fordern, Deutschland solle „entschädigungsfrei“ aus dem Projekt „Nord Stream 2“ aussteigen. Doch wie sollte das gehen? Eine Analyse von Antje Hildebrandt.

Wer kann und will Nord Stream 2 stoppen? / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Seit die Charité bestätigt hat, dass Russlands wichtigster Oppositionspolitiker Alexej Nawalny mit dem Nervengift Nowitschok vergiftet wurde, wird in der Politik ein Spiel gespielt: Wer baut die größte Drohkulisse auf, um Putin zu signalisieren, dass er diesmal zu weit gegangen sei?

Noch ist nicht erwiesen, dass Russlands Präsident in den Giftanschlag verwickelt ist. Der Kreml streitet jede Beteiligung ab. Und ob es jemals zu einer Anklage kommen wird, ist mehr als fraglich. Trotzdem muss die Unschuldsvermutung wohl oder übel auch in diesem Fall gelten. Doch davon ist in der Politik derzeit wenig zu spüren. Im Gegenteil. 

Wie Nord Stream 2 zum Politikum wurde 

Kaum hatte die Bundeskanzlerin den versuchten Giftmord öffentlich verurteilt und von der russischen Regierung eine Erklärung zu dem Vorgang gefordert, da preschten Politiker der Grünen, der FDP und der CDU mit der Forderung nach einem „Baustopp“ für die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 vor. 

Die ist vielen schon lange ein Dorn im Auge. 1.200 Kilometer lang, soll sie russisches Erdgas direkt aus Russland nach Mecklenburg-Vorpommern leiten – vorbei an der Ukraine, die bislang mit der Weiterleitung des Gases viel Geld verdiente. Das macht das Projekt zum Politikum. Seit Russland die Krim besetzt hat, herrscht dort de facto der Kriegszustand. 

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Die EU hat Russland deshalb sanktioniert. In Brüssel ist die Pipeline umstritten – nicht nur aus geopolitischen Gründen, auch aus ökologischen. Die meisten Mitglieder wollen weg von fossilen Energieträgern. Für eine Übergangszeit sollte das Erdgas aus Russland helfen, die Energiewende zu schaffen. 

Kann die Bundesregierung einen Baustopp verhängen? 

Kein Wunder also, dass der Fall Nawalny jetzt auch die Grünen auf den Plan rief. „Die Bundesregierung muss jetzt einen wasserdichten und entschädigungsfreien Weg aufzeigen, wie die Fertigstellung der Nord Stream 2 verhindert werden kann“, sagt der Fraktionsvize Oliver Krische. Aber ist die Bundesregierung überhaupt der richtige Adressat? Mit dieser Frage wurde Regierungssprecher Steffen Seibert bei einer Pressekonferenz zum Fall Nawalny konfrontiert. Er musste passen.  

Fakt ist: Die Bundesregierung ist weder Betreiberin noch Bauherrin der umstrittenen Ostsee-Pipeline, die Investoren sind Privatunternehmern. 9,5 Milliarden Euro haben sie schon investiert, die 1.200 Kilometer lange Pipeline ist zu 94 Prozent fertig. 50 Prozent der Summe kommen von dem staatlichen Konzern Gazprom in Russland – und je zehn Prozent von den Projektpartnern Wintershall Dea, Uniper, ENGIE, OMV und Shell. Fünf Länder – Deutschland, Dänemark, Russland, Finnland und Schweden – haben das Projekt genehmigt. Laufen die Forderungen der Politiker vor diesem Hintergrund nicht ins Leere? 

Die Kanzlerin rudert zurück 

Ganz so leicht ist es nicht. Offiziell steht die Bundesregierung nach wie vor hinter dem Projekt. Jede Kritik daran hat die Bundeskanzlerin bisher mit dem Argument abgebügelt, Politik sei Politik – und Wirtschaft sei Wirtschaft. Inzwischen ist sie von dieser Haltung zwar ein Stück abgerückt. Offiziell will sie jetzt nicht mehr ausschließen, dass der Giftanschlag auf Nawalny Konsequenzen für den Bau der Pipeline haben könnte. 

Welche das sind, darüber schweigt sie sich aus. Dabei gäbe es durchaus rechtliche Hebel. Juristen verweisen in diesem Zusammenhang auf das Außenwirtschaftsgesetz. Nach § 4 könnte der Bau mit dem Verweis auf übergeordnete nationale Interessen gestoppt werden. Fraglich ist allerdings, ob ein Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf Nawalny und Nord Stream 2 hergestellt werden kann: Gefährdet der Anschlag auf Russlands Staatsfeind Nr. 1 tatsächlich die nationalen Interessen Deutschlands? Oder gefährdet Nord Stream 2 die nationalen Interessen Deutschlands? Dann stellt sich allerdings die Frage, warum diese Gefahr bislang nicht erkannt worden war. 

Wer entschädigt die beteiligten Firmen? 

Die Hemmschwelle dafür hat die Bundesregierung dafür 2018 mit einer Gesetzesreform gesenkt. Danach hat das Bundeswirtschaftsministerium nicht nur mehr Spielraum „im Bereich der sicherheitsrelevanten Beteiligung durch ausländische Investoren.“ Es kann auch leichter einen Boykott gegen ein Land verhängen, gegen das Deutschland oder der EU-Rat schon Sanktionen verhängt haben

Juristen wären um diese Aufgabe nicht zu beneiden. Denn das Interesse wäre im Fall Nord Stream 2 eindeutig politisch motiviert. Die Forderung nach einem Baustopp wäre das Eingeständnis, dass sich Politik und Wirtschaft eben nicht mehr trennen lassen, wie die Kanzlerin das bisher behauptet hatte. Juristen müssten es wasserdicht begründen. Schließlich beträfe ein Baustopp auch deutsche Firmen. Und die würden natürlich versuchen, die Bundesregierung zu verklagen. „Entschädigungsfrei“ würde die aus einem solchen Prozess wohl nicht herauskommen. Dass die Grünen genau das fordern, erscheint naiv. 

Plan B: Ein europäischer Ausstieg  

Neben der Möglichkeit eines nationalen Ausstiegs gäbe es aber auch einen europäischen Weg. Norbert Röttgen (CDU), der Leiter des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und einer der schärfsten Kritiker der Ostsee-Pipeline, hat ihn ins Spiel gebracht: „Wenn es jetzt zu einer Fertigstellung von Nord Stream 2 käme, dann wäre das die maximale Bestätigung für Putin, seine bisherige Politik fortzusetzen. Die europäische Entscheidung sollte sein: Nord Stream 2 stoppen.“ 

Aus juristischer Perspektive ist auch das leichter gesagt als getan: Grundsätzlich müsste nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) eine Sanktionsverordnung geschaffen werden. Auf ihrer Grundlage könnte das Projekt Nord Stream 2 zu Fall gebracht werden. Es bleibt eine politische Frage, ob die Bundesregierung dazu einen einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs herbeiführen könnte.

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