Alexej Nawalny - Angriff auf das System Putin

Der inhaftierte Oppositionspolitiker Alexej Nawalny hat kein Programm und nur zwei Prozent der Russen würden ihn zum Präsidenten wählen. Dass er Wladimir Putin trotzdem gefährlich werden könnte, hat vor allem mit dem Internet zu tun

Alexej Nawalny: Die Protestbewegung in Russland neu erfunden / picture alliance
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Autoreninfo

Maxim Kireev studierte VWL an der Universität zu Köln und absolvierte die Kölner Journalistenschule. Er ist gebürtiger Sankt-Petersburger und kam mit 10 Jahren nach Deutschland. Seit 2010 lebt er wieder in Russland und berichtet für verschiedene deutsche Medien über russische Politik und Wirtschaft.

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Noch im Hauseingang hatten ihn die Polizisten geschnappt. Alexej Nawalny wollte gerade von seiner Wohnung am Moskauer Stadtrand ins Zentrum aufbrechen. Nur einige Stunden zuvor hatte der Oppositionelle seine Anhänger zu einer nicht genehmigten Demo auf der Twerskaja-Straße unweit des Kremls aufgerufen. Für die ursprünglich genehmigte Demo an einem weniger zentralen Ort hatte sein Team nach eigener Aussage keinen Lieferanten von Bühnen- und Soundtechnik gefunden. Angeblich soll die Stadtverwaltung den Firmen gedroht haben. Eine Erniedrigung, die sich Nawalny nicht gefallen lassen wollte. Deshalb bestimmte er selbst den Ort der Kundgebung. Eine Frechheit, die sich der russische Machtapparat mit Wladimir Putin an der Spitze nicht bieten lassen will, weshalb Nawalny die kommenden vier Wochen hinter Gittern verbringen wird.

Noch nie so populär wie jetzt

Am Abend des 12. Juni waren allein in Moskau und Sankt Petersburg etwa 1500 Menschen in Polizeigewahrsam, weil sie dem Aufruf des Anti-Korruptions-Aktivisten gefolgt sind, sich an nicht genehmigten Demos zu beteiligen. Die Teilnehmerzahlen dürften in die Zehntausende gegangen sein.

Knapp ein Jahr vor den Präsidentschaftswahlen befindet sich der Putingegner, obwohl nun vorläufig hinter Gittern, auf dem Höhepunkt seiner Popularität. Zwar würden aktuell nur zwei Prozent der Russen ihm bei einer Wahl die Stimme geben. Immerhin aber kennt ihn jetzt Umfragen zufolge mehr als die Hälfte der Russen.

Protestbewegung neu erfunden

Nawalny hat es geschafft, die Protestbewegung neu zu erfinden, die nach der Ukraine-Krise beinahe zum Erliegen gekommen war. Eigentlich darf er nicht bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren. Denn er ist nach einem, von Beobachtern als fingiert bezeichneten, Prozess vorbestraft. Trotzdem führt Nawalny einen für russische Verhältnisse beispiellosen Wahlkampf. Finanziert wird dieser größtenteils über Spenden. Seit Wochen hat er Dutzende Provinzstädte im Land bereist und Vertretungen seiner Bewegung gegründet. Die sogenannten Regionalstäbe helfen dabei, Kundgebungen auch in entlegenen Provinzstädten auf die Beine zu stellen. Auch das hat in der Ära Putin noch kein Oppositioneller geschafft.

Aber wie ist es überhaupt möglich, dass im System Putin ein Politiker wie Nawalny existiert? Es ist vor allem die Inkompetenz der restlichen Opposition, die Nawalny in gutem Licht dastehen lässt. Der stets gepflegt auftretende Moskauer Jurist ist eloquent und beherrscht als einer der wenigen Oppositionellen die Kunst der öffentlichen Rede. Dabei war er noch vor wenigen Jahren vor allem ein Blogger und Aktivist. Als solcher kaufte er sich bei Konzernen ein und forderte als Kleinaktionär die Herausgabe wichtiger Dokumente. Das Ziel: Die Korruption bei Staatskonzernen aufdecken.

Früher machte er auch Stimmung gegen Fremde 

In seinen Blogs machte Nawalny zudem hin uns wieder offen fremdenfeindliche Aussagen. So bezeichnete er Georgier während des Ossetien-Konflikts als Nagetiere und machte Stimmung gegen Gastarbeiter, ein Thema, das damals vielen Moskauern unter den Nägeln brannte, in den wichtigsten Medien des Landes jedoch Tabu blieb. Seine Sternstunde folgte während der Proteste gegen die fingierten Wahlen 2011. Damals prägte er den Spitznamen „Partei der Gauner und Diebe“ für die Regierungspartei „Einiges Russland“.  

Heute hat der 41-Jährige Kreide gefressen. Fremdenfeindliche Parolen sind inzwischen tabu. Auch weil Zuwanderung im russischen Alltag längst nicht mehr als ein so wichtiges Thema gesehen wird. In Interviews reagiert er meist allergisch auf den Versuch, ihn im politischen Spektrum rechts oder links einzuordnen.

Wohl auch, um keinem Lager zugerechnet zu werden. Schließlich haftet fast allen oppositionellen Politikern in Russland, egal ob liberal oder nationalistisch, die Aura der ewigen Verlierer an. Eine Plakette die Nawalny um alles in der Welt verhindern will und die er seiner oppositionellen Konkurrenz selbst gerne austeilt. Diese wirft ihm stattdessen vor, kein echtes Programm, sondern nur eine Ansammlung populistischer Forderungen anzubieten, etwa eine Vervielfachung des Mindestlohns von rund 105 auf 400 Euro im Monat.

Programm bleibt dünn

Tatsächlich ist es auch nach der Lektüre von Nawalnys kurzem Programm schwer zu sagen, für was er steht. Stattdessen hat er auf sein wichtigstes Thema zurückbesonnen: den Kampf gegen die Korruption. Im März produzierte sein Team einen 45-minütigen Film über die korrupten Verstrickungen von Ministerpräsident Dimitri Medwedew.

Allein auf dem Youtube-Kanal von Nawalny haben den Film bereits 22 Millionen Menschen gesehen. Der Film war es auch, der erstmals seit Jahren viele junge Russen auf die Straße trieb, darunter sogar einige Schüler. Dass die Korruptionsdemos Ende März fast flächendeckend im ganzen Land stattfanden, grenzt eigentlich an eine Sensation.

Das Internet als Waffe

Anders als die meisten anderen Oppositionellen und Kremlpolitiker hat es Nawalny verstanden, das Internet für seine Zwecke zu nutzen. Und zwar nicht bloß als Plattform für eigene Werbung, sondern als alternative Quelle für hochwertig aufbereitete Information. Während andere Regimekritiker bei jeder Gelegenheit betonen, keine Plattform in den Medien zu bekommen, schuf Nawalny einfach seine eigenen Kommunikationskanäle. Allein auf seinem Youtube-Kanal gibt es mehrere regelmäßige Sendungen, zum Beispiel die tägliche Morgenshow „Kaktus“, bei der mitunter bis zu 300.000 Nutzer einschalten.

Für Nawalny ist klar, dass seine Aussichten, zur Wahl zugelassen zu werden, äußerst gering sind. Daher braucht er die Unterstützung von der Straße, auch dann, wenn der Staat mal keine Genehmigung erteilt. Dazu ist ein direkter Draht zu den Jungen und Aktiven unerlässlich. Ein detailliertes Wahlprogramm oder die Arbeit mit klassischen Wählerschichten wie Rentnern und Staatsbeamten kann aus Sicht Nawalnys warten. Damit diese Wette aufgeht, muss er langsam die Einsätze erhöhen. Die zahlenmäßig erfolgreichen, unangemeldeten Demonstrationen vom Montag waren ein erster Schritt in diese Richtung. Die große Frage bleibt jedoch, wie weit die Protestler in den Straßen von Moskau bereit sind, ihm zu folgen. 

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