Trumps gescheiterte Gesundheitsreform - Die Kompetenzfalle

Donald Trump ist daran gescheitert, die Gesundheitsreform Obamacare abzuschaffen. Wie wenig dieser Präsident das politische Geschäft in Washington versteht, zeigt schon die Auswahl seiner Dinner-Gäste

Trump selbst kennt sich mit der Materie kaum aus und hat erschreckend wenig Kompetenz um sich versammelt / picture alliance
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Markus Ziener ist Professor für Journalismus in Berlin. Zuvor berichtete er als Korrespondent aus Washington, Moskau und dem Mittleren Osten.

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Als es ums Ganze ging, dinierte der Präsident mit den falschen Leuten. Sieben republikanische Senatoren hatte Donald Trump am Montagabend im Weißen Haus versammelt, um seine Sicht auf die umstrittene Gesundheitsreform zu erläutern. Erklären sollte er, warum jetzt die Zeit gekommen war, die bei weiten Teilen der Konservativen so verhasste Krankenversicherungspflicht, die unter Präsident Barack Obama eingeführt worden war, abzuschaffen und zu ersetzen. Stimmen fangen sollte Trump, weil den Republikanern im Senat die Unterstützung abhanden kam. Denn selbst sieben Jahre nach Einführung von Obamacare war es den Konservativen nicht gelungen, auch nur in der eigenen Partei eine breite Mehrheit für eine verbesserte Reform zu Stande zu bringen.

Doch der Präsident tafelte mit den falschen Leuten.

Trump ist nicht im Bilde

Denn die Abweichler aus den eigenen Reihen, die Trump hätte umstimmen müssen, saßen nicht am Tisch. Der 45. Präsident der USA vertat stattdessen seine Zeit mit Anhängern, die ohnehin seiner Meinung waren. Über Ricotta und Rib-Eye-Steak fabulierte Trump über G20 in Hamburg, den Pomp in Paris zum Jahrestags des Sturms auf die Bastille und eben auch über die Gesundheitsreform. Nach Auskunft eines Beteiligten führte Trump das Gespräch wie einen netten Smalltalk mit ein paar Arbeitskollegen. Währenddessen aber waren es die republikanischen Senatoren Mike Lee aus Utah und Jerry Moran aus Kansas, die an ihren Statements feilten, mit denen sie ihre Ablehnung des republikanischen Gesetzesvorhabens begründeten – und damit der Block der Abweichler auf vier erhöhten. Als der US-Präsident das Dinner verließ, war der neueste Versuch, Obamacare los zu werden, wieder gescheitert. Doch das wusste Trump da noch nicht. Der Präsident war nicht im Bilde.

Warum diese Begebenheit interessant ist? Weil sie illustriert, wie wenig dieser Präsident das politische Geschäft in Washington versteht. In den USA können Gouverneure, Abgeordnete, Senatoren reichlich unabhängige Akteure sein. Sie werden direkt gewählt. Und sie müssen sich in ihren Wahlkreisen, Städten und Bundesstaaten ihrer Wählerschaft stellen. Senatoren alle sechs Jahre, Gouverneure alle vier, Kongressabgeordnete alle zwei Jahre. Dort entscheidet sich zu allererst ihre politische Zukunft, nicht in Washington. Um wie jetzt skeptische Senatoren von einem nationalen Projekt zu überzeugen, bedarf es an Einfühlungsvermögen und Kenntnis der Situationen vor Ort. Ein bisschen Wortgeklingel über einem netten Dinner im Weißen Haus reicht da nicht aus. Trump mag man noch seine Unerfahrenheit zugute halten – wenngleich dieses Argument nach einem halben Jahr im Amt im Grunde auch nicht mehr gilt. Aber sein Vize Mike Pence hätte wissen müssen, was in der Partei los ist. Und in jedem Fall der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell. Versagt haben am Ende aber alle drei.

Die gespaltene Partei

Denn alleine der Furor über Obamacare genügt eben nicht, um eine hochbrisante politische Sache zu bewegen. Moderaten Republikanern wie Susan Collins aus Maine waren die geplanten Maßnahmen, insbesondere die Einschnitte bei der staatlichen Armenversicherung Medicaid, zu drastisch. Konservativ-libertären Senatoren wie Rand Paul aus Kentucky oder Mike Lee aus Utah hingegen gingen die neuen Vorschläge nicht weit genug. Die einen sorgten sich, dass ein Ende von Obamacare Millionen Amerikaner die Krankenversicherung kosten und sie damit ins soziale Chaos stürzen könnte. Die anderen warnten, dass eine wie auch immer geartete fortgesetzte staatliche Versicherungspflicht die Macht des Staates ins Uferlose anwachsen lassen könnte.

Erneut zum Ausbruch kommt damit der alte Konflikt über die Rolle staatlichen Handelns in den USA. Hatte sich aber diese Debatte unter Obama noch gegen diesen und die Demokraten generell gerichtet und die parteiinternen Trennlinien der Konservativen zumindest ein wenig übertüncht, so tritt der Streit nun offen zutage. Die Republikaner sind seit Jahren gespalten zwischen Leuten des konservativen Establishments wie etwa einem Mitt Romney (Ex-Präsidentschaftskandidat) oder John McCain (Senator aus Arizona) und Fundamentalisten vom Schlage eines Steve Scalise (Fraktionsgeschäftsführer im Kongress) oder dem texanischen Senator Ted Cruz auf der anderen Seite. Und kaum ein anderes Thema wie die Gesundheitsreform lässt diese unterschiedlichen Weltsichten derart aufbrechen.

Eine politische Bankrotterklärung

Dabei ist selbst bei Kritikern unstrittig, dass ein System, das Millionen Menschen unversichert lässt, ökonomischer Unsinn ist. Knapp 50 Millionen Amerikaner hatten vor Obamacare keine Krankenversicherung. Wurden sie krank, warteten sie mit einer Behandlung bis kein Weg mehr am Besuch der Notaufnahme im Krankenhaus vorbei führte. Die Kosten für diese – dann viel teurere – Behandlung blieb dann jedoch fast immer an den Krankenhäusern und damit letztlich an den Kommunen und den Steuerzahlern hängen. Die Einführung einer weitreichenden Versicherungspflicht, der Fokus auf Prävention statt medizinischer Feuerwehr, senkt daher langfristig Kosten.

Hatte Obamacare handwerkliche Webfehler? Natürlich. Das begann bei der schlecht funktionierenden Webseite, über die man sich anmelden sollte, und reichte bis zum Verlust privater Versicherungen, weil manche Anbieter im Wettbewerb mit Obamacare den Rückzug antraten. Dennoch: Die Richtung stimmte, die Fehler waren zu beheben. Stattdessen sollte nun der radikale Schnitt erfolgen: Obamacare sollte weg, ersatzlos. Am Ende existierte nicht einmal mehr ein republikanisches Alternativkonzept. Nur das vergiftete Angebot, dass Obamacare auch nach seiner Abschaffung noch zwei Jahre weiterexistieren sollte – weil die Republikaner selbst nichts anderes aufzubieten hatten. Was das war? Eine veritable politische Bankrotterklärung. Immerhin wurde das Manöver durchschaut, gestoppt und jetzt bleibt erst einmal alles, wie es war. Das zumindest ist die gute Nachricht.

Terminator Trump

Worum es aber grundsätzlich geht, ist nicht Rationalität, nicht nüchterne Ökonomie, sondern Ideologie. Es geht um die Frage, wie sich die USA im 21. Jahrhundert definieren sollen. Als Nachtwächterstaat oder als Sozialstaat, als Staat, der Lebensrisiken gesellschaftlich abfedert oder privatisiert. Aus europäischer Sicht mutet diese Debatte archaisch an. In den USA aber wird es höchste Zeit, dass sie geführt und entschieden wird.

Das Problem dabei ist nur: Dies würde eine Person an der Spitze erfordern, die diesen Diskurs intellektuell und handwerklich steuern, die Impulse geben kann. Diese Person ist indes nicht in Sicht. In der Gesundheitsdebatte der vergangenen Wochen wurde deutlich, wie wenig sich Trump mit der Materie auskennt, wie simpel sein Weltbild ist und wie erschreckend wenig Kompetenz er um sich versammelt hat. Nach einem halben Jahr ist Trumps Bilanz daher vor allem die eines Terminators. Neues, Konstruktives zu schaffen, gelingt ihm nicht. Dagegen ist der Präsident effektiv darin, Bestehendes zu zerstören. Und manchmal, glücklicherweise, gelingt ihm selbst das nicht.

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