Fall Skripal - Das doppelte Gesicht der EU

Im Fall Sergej Skripal hält die EU einerseits Demokratie und Menschenrechte hoch, zieht aber andererseits vorschnell Diplomaten ab. Wie krisenfest ist die europäische Politik, wenn die Gesprächsbereitschaft so schnell aufgegeben wird? Von Sabine Bergk

Hat die EU sich im Fall Skripal vorschnell an Großbritannien gekettet? / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Der Fall Skripal heizt sich zunehmend auf. Noch bevor es zu irgendeiner Erkenntnis gekommen ist, liegen die Nerven blank. Das wahre Nervengift scheint im Fall Skripal jedoch der Fall Skripal selbst zu sein. Die Wirkung des Falls lähmt derzeit ganz Europa. Die Beziehungen sind vergiftet, Diplomaten wurden nach Hause gesandt, die Gesprächsbereitschaft liegt unter dem Nullpunkt.

Wie aber konnte es dazu kommen, dass die Nerven der Europäischen Union so schnell blank liegen? Warum hat man nicht auf Ergebnisse gewartet? Es wird mit einer Kette an Ereignissen argumentiert. Die Krim, Cyberangriffe, Einmischung in den Wahlkampf. Aber wirft man hier nicht unterschiedlichste Ereignisse in einen Korb? Es ist logisch nicht nachvollziehbar, dass Cyberangriffe zu Nervengiftattacken führen. Nicht jede kriminelle Tat lässt auf eine andere Tat schließen. Und wenn sich nichts nachweisen lässt, tappt man eben eine Weile im Dunkeln. Das ist unangenehm und fühlt sich hilflos an, bleibt jedoch weniger gefährlich als ein europäischer Nervenzusammenbruch.

Panik hebelt Diplomatie aus

Im Fall Skripal ist ein solcher Zusammenbruch nun Wirklichkeit geworden. Von A wurde vorschnell auf B geschlossen. Leider hat dieser Schulterschluss mit Großbritannien eine tragische Note, da bislang keine Basis für ein derart scharfes Verhalten vorliegt. Der Fall Skripal zeigt demnach den tragischen Verfall der europäischen Werte. Europa ist nicht krisenfest. Durch Panik kann unsere Demokratie innerhalb weniger Wochen ausgehebelt werden. Die „Friedensmacht“, von der die Bundeskanzlerin noch im Koalitionsvertrag sprach, ist labil. Innerhalb kürzester Zeit stehen wir vor einem Scherbenhaufen an Anschuldigungen.

Angriffe mit Bumerang-Effekt

Selbstverständlich nimmt niemand eine Nervengiftattacke auf noch-europäischem Boden mit einem Schulterzucken hin. Die europäische Geschlossenheit, die man sich in Türkei- und Flüchtlingsfragen sehnlichst gewünscht hat, ist im Fall Skripal überhetzt zustande gekommen. Es ist der Leadership-Kompetenz der Briten zuzuschreiben, dass in der Europäischen Union mit einem Mal eine breite Übereinstimmung herrscht. Leider funktioniert dieser Zusammenhalt nach altem und sehr einfachem Rezept: Man suche sich einen gemeinsamen Feind.

Jeder Akt gegen einen Anderen hat einen Bumerang-Effekt. Die Europäische Union schadet sich selbst, wenn sie nicht besonnen handelt und Russland schadet sich selbst, wenn es hinter der Hand Cyberangriffe und Manipulationsversuche auf europäische Länder begeht.

Deeskalation ist der einzige Weg

Es ist nicht klar, ob Russland derzeit nicht eher gegen sich selbst kämpft, gegen die Effekte des eigenen Handelns, und die Europäische Union ebenfalls in einer Art selbstbezogenen Schleife gefangen ist. Um aus der Schleife herauszukommen, braucht es vor allem Vertrauen. Deeskalation ist der einzige Weg, Angriffe vorzubeugen.

Es ist höchstwahrscheinlich, dass der Fall Skripal niemals aufgeklärt und vor allem eine Leere zurückbleiben wird. Dann gilt es, sich beruhigen, das Gespräch finden, Nerven sortieren und das doppelte Gesicht, das einem im Spiegel entgegensieht, entgegennehmen.

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