„New York Times“ und Sarah Jeong - Kann man als Nicht-Weißer rassistisch sein?

Die amerikanisch-koreanische Journalistin Sarah Jeong sollte die altehrwürdige „New York Times“ aufpeppen. Dann tauchen Tweets auf, in denen sie sich freut, grausam zu „alten weißen Männern“ zu sein. Der Fall ist voller Dilemmata und wirft die Frage auf: Wer ist Opfer und wer Täter?

„New York Times“: Die Fallhöhe stimmt / picture alliance
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Eva C. Schweitzer arbeitet als freie Journalistin für verschiedene Zeitungen in New York und Berlin. Ihr neuestes Buch ist „Links blinken, Rechts abbiegen“.

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Die Geschichte von Sarah Jeong und der New York Times lässt sich aus mehreren Perspektiven erzählen. Als Geschichte einer jungen Frau, die gegen alte weiße Männer aufbegehrt. Oder als Geschichte einer Traditionszeitung, die nun schon die zweite Bauchlandung hinlegt bei dem Versuch, die Schar ihrer ausgewogenen Upper-West-Side-Kolumnisten von Tom Friedman bis David Brooks um eine peppige Stimme zu ergänzen. Vorstellbar ist auch die Geschichte, wie das ewige Gedächtnis des Internets mehr zum Fluch wird als zum Segen. Und natürlich die Geschichte, die in Amerika erzählt wird, seit sich englische und irische Immigranten Bandenkämpfe auf den Straßen von New York lieferten: Welche Einwanderergruppe ist oben, welche ist unten, welche setzt sich durch, welche ist weiß, weißer, oder gar nicht-weiß, und wer darf überhaupt etwas sagen?

Sie sollte junge hippe Leser binden

Sarah Jeong hat eine beachtliche Karriere hingelegt. Mit drei Jahren kam die heute 29-Jährige mit ihren Eltern aus Südkorea nach New York. Sie studierte in Berkeley, Harvard und Yale. Sie schrieb über Informationstechnologie und Internetkultur unter anderem für Vice, Forbes und den britischen Guardian. Dann bot die New York Times der meinungsstarken Kolumnistin mit den bunt gefärbten Haaren eine Stelle beim „Editorial Board“ an. Eben jene Institution, die sich als Krone des Journalismus sieht, das Perlen der Weisheit verteilt an Amerika und die ganze Welt. Eine gute Wahl eigentlich, denn Jeong deckt gleich mehrere Quoten ab: Jung, weiblich, asiatisch, Immigrantin, internetaffin. Sie soll junge hippe Leser binden. Bei einem Blatt, das den Spitznamen „Grey Old Lady“ trägt, ist das auch dringend nötig. Dass sie auf Krawall gebürstet ist, spricht eher für sie, denn bei vielen Times-Kolumnisten weiß man schon beim ersten Satz, wohin die Reise geht.

Bald stellte sich aber heraus: Jeong ist ein bisschen zu kontrovers. Mit dem Jobangebot wurden alte Tweets von ihr ausgegraben mit dem Hashtag „CancelWhitePeople“, in denen sie sich freut, grausam zu „alten weißen Männern“ zu sein, die sowieso „keine Kultur“ hätten. Damit nicht genug: „Weiße und ihre Meinungen dominieren das Internet wie Hunde, die an Hydranten pissen.“ Aber nachdem Weiße ja aufgehört hätten, sich fortzupflanzen, würden sie eh bald aussterben, und das sei gut so.

 

Alles nur Parodie?

Ein gefundenes Fressen für die weiße, Trump-wählende „Alt-Right“-Rechte im Dunstkreis von Breitbart.com. Das Portal und seine Leser beschimpften Jeong als Rassistin. Sie wurde aufgefordert, wieder nach Südkorea (oder auch Nordkorea) zu gehen oder rüde daran erinnert, dass Amerika für die Freiheit von Südkorea gekämpft hatte. Noch mehr Hagel ging auf die New York Times nieder. Ihr warf man Heuchelei vor. Die Zeitung hatte nämlich Anfang des Jahres die gerade erst angeheuerte lesbische Kolumnistin Quinn Norton gefeuert, von der schwulenfeindliche Tweets aufgetaucht waren. Zudem hatte Norton Kontakte zu Neo-Nazi-Kreisen. Die Times fordert auch in vorderster Front, dem YouTube-Krawallmacher Alex Jones den Saft abzudrehen. Jones, Betreiber der rechten Internetplattform InfoWars, wurde jüngst von Facebook verbannt. Erst kurz zuvor hatte der Sender ABC die Neuauflage der Sitcom „Roseanne“ über Nacht gecancelt, weil die Namensgeberin, Roseanne Barr, in einem Tweet eine schwarze Mitarbeiterin von Ex-Präsident Obama mit einem Affen verglichen hatte. Die dafür zuständige Unterhaltungschefin bei ABC ist ebenfalls schwarz und fand den Tweet nicht komisch. In eben dieses Horn stieß Donald Trumps Sohn Don Jr. auf Breitbart: Wenn Jeong das Gleiche über Schwarze oder Hispanics getweetet hätte, wäre sie gefeuert worden.

Jeong beeilte sich zu versichern, sie habe sich nur gegen frauenfeindliche Schmähungen aus dem Alt-Right-Spektrum gewehrt. Ihre Tweets seien als Parodie zu lesen. Sie habe die Tweets auch mehr als semi-privat eingestuft – für eine Internet-Koryphäe eine eher überraschende Einschätzung – und es werde nicht wieder vorkommen.

Die Times steckt nun in der Zwickmühle. Wenn sie Jeong behielte, dann würde sich das Blatt dem Vorwurf eines doppelten Standards aussetzen. Würde Jeong aber gefeuert, würfe das ein schlechtes Licht auf die Befähigung des für Personalentscheidungen zuständigen Gremiums. Zudem wäre die Times von dem rechten Internet-Mob aus dem Trump-Dunstkreis zurückgewichen, gegen den sie sonst so fleißig anschreibt. Bis jetzt ist Jeong geblieben.

Können auch Opfer rassistisch sein?

Jeongs Verteidiger wenden ein, es gebe keinen „reverse racism“, also „umgekehrten“ Rassismus gegen Weiße. Sie habe nach oben geschlagen und nicht nach unten. Simon Sanders, einer der Berater des demokratischen Linksaußen-Politikers Bernie Sanders, erläuterte, Jeong könne nicht rassistisch sein, denn die Definition von Rassismus sei „Vorurteile in Kombination mit Macht“: Nur wer Macht habe, könne rassistisch sein.

Nach dieser Definition könnten aber etwa mexikanische Tagelöhner nicht rassistisch gegenüber Afro-Amerikanern der Mittelklasse sein. Selbst wenn man dieser schrägen Sichtweise folgt, stellt sich die Frage: Gehört eine hellhäutige, in Harvard ausgebildete, naturalisierte Amerikanerin aus einem relativ wohlhabenden Industrieland – und auch in den USA sind Koreaner keineswegs arm – wirklich zur Opferklasse? Doch auch die Adressaten von Jeongs Attacken sind nicht unbedingt immer Vertreter der Mehrheitsgesellschaft, wie im Fall von Lucian Wintrich, Rechtsaußen-Journalist des Gateway Pundit. Er ist der homosexuelle Sohn polnischer Juden.

Es gibt zwar durchaus eine lange Diskriminierungsgeschichte gegen Asiaten in den USA, aber vor allem gegen Chinesen und Japaner, weniger gegen Koreaner. Die machen eher Schlagzeilen, wenn sie von Afro-Amerikanern beschuldigt werden, der Gentrifizierung Vorschub zu leisten oder ihre Kinder drillen, nach Harvard zu gelangen. Affirmative Action zugunsten von asiatischen Immigranten gibt es jedenfalls nicht.

Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen

Nicht nur sind die USA geprägt von Reibereien und Konkurrenzdenken zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Es gibt zwei Diskurse, die nebeneinander hergeführt werden. Die Einwanderer früherer Generationen – Iren, Italiener, Slaven, Juden – galten lange als nicht-weiß. Sie kämpften noch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs darum, als Weiße anerkannt zu werden. Das ist ihnen heute gelungen (es sei denn, es handelt sich um italienischstämmige Immigranten aus Südamerika – die gelten noch als „braun“). Parallel dazu gab es eine Bürgerrechtsbewegung vornehmlich von Afro-Amerikanern und, in geringeren Umfang, von Indianern, die gleiche Rechte für Nichtweiße erstreiten wollen. Noch positioniert sich Jeong im Camp der „People of Color“. Aber es ist wohl nur eine Frage der Zeit, dass sich Koreaner durchsetzen, als Weiße anerkannt zu werden.

Letztlich bestätigt der Fall Jeong, dass die Debatten in den USA entlang ethnischer Linien verlaufen und nicht entlang politischer. Und inzwischen haben auch Weiße die „Identity Politics“ für sich entdeckt, mit der Minderheiten ihre Rechte verteidigen. Über Jeongs Karriere ist wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen oder getweetet. Es gibt nämlich jetzt auch Tweets, in denen Jeong die Times als einen „Katalog für Babyboomers“, – die Generation 70 plus – verspottet. Sie tweetete dazu: „Wenn ich eine Bazillion Dollars hätte, würde ich die New York Times kaufen, nur um Tom Friedman feuern zu können.“

 

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