Hackerangriffe - Wie du mir, so ich dir

Russland soll durch Hackerangriffe die US-Wahlen beeinflusst haben – die Aufregung in den USA ist groß. Dabei waren die Amerikaner selbst nie zimperlich, wenn es um „Regime Changes“ in anderen Ländern ging. Empörung und Anklagen helfen dagegen nicht, konkrete Maßnahmen sehr wohl

Hackerangriffe sind kein russisches Phänomen – sie gehören weltweit zur politischen Praxis / picture alliance
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Autoreninfo

Rudolf Adam war von 2001 bis 2004 Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes. Von 2004 bis 2008 leitete er als Präsident die Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Er ist Senior Advisor bei Berlin Global Advisors. Foto: Bundesakademie für Sicherheitspolitik

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Russland sieht sich angeprangert, amerikanische Computer gehackt und mit dem erbeuteten Material den Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft beeinflusst zu haben. Russland soll aber nicht in den weitgehend maschinellen Wahlvorgang eingegriffen haben, das Wahlergebnis bleibt unangefochten. Das Dossier der amerikanischen Geheimdienste beklagt zudem eine massive Beeinflussung der öffentlichen Meinung durch unseriöse und tendenziöse Berichte in russischen Propagandamedien wie Russia Today.

Das Dossier der Geheimdienste klingt nicht unplausibel. Beweise bleiben die Verfasser jedoch schuldig – verständlich wenn man bedenkt, dass sie ihre Quellen und ihre Beschaffungswege hätten offenlegen müssen. Dennoch sind Zweifel angebracht.

Aber selbst ohne solche Zweifel bleibt ein schaler Nachgeschmack: Das ganze Geschehen erinnert an die spektakulären Berichte über russische Jagdflieger, die US-Schiffe gefährlich tief überfliegen. An russische Bomber, die bis an den Nato-Luftraum heranfliegen und ihn bisweilen verletzen.

Aktivierung des Abwehrradars

So zu fliegen, dass der Gegner sein Abwehrradar aktiviert und seine Abwehrtaktiken offenlegen muss, ist eine seit Generationen geübte Praxis – auch innerhalb der Nato. US-Amerikanische Aufklärungsflugzeuge fliegen bis an den Rand des russischen Luftraums – gelegentliche Verletzungen, ob absichtlich oder nicht, sind nicht auszuschließen.

Zur Erinnerung: Im September 1983 schoss die Sowjetunion das südkoreanische Passagierflugzeug KAL 007 über Sachalin ab. Allerdings hatte zuvor die bislang größte Flottenübung der USA im Pazifik stattgefunden. Flugzeuge der US-Navy waren wiederholt an dieser Stelle in den sowjetischen Luftraum eingedrungen. Das rechtfertigt nicht das rabiate Vorgehen der Sowjetunion, es macht aber die verkrampften Abwehrreflexe Moskaus verständlicher. Auch nun ist Russland möglicherweise bei etwas erwischt worden, dem es schon seit langem selbst ausgesetzt ist.

Propaganda-Portale streben nach Deutschland

Jetzt kündigt das US-amerikanische Internet-Portal Breitbart News an, sich nach Deutschland und Frankreich auszudehnen. Motiviert wird das offiziell durch kommerzielle Erwägungen. Das Auftauchen eines der Alt-Right-Bewegung nahestehenden Nachrichtenkanals wird nicht ohne Folgen für Medienlandschaft und Meinungsklima in Deutschland bleiben – acht Monate vor der Bundestagswahl. Hier wird kräftig Nachrichtenwind gemacht werden, der Breitbart nahestehenden politischen Strömungen die Segel füllen soll. Die AfD jubelt bereits.

Aufgefallen ist Breitbart News durch einen sensationslüsternen Bericht über die Silvesternacht in Dortmund, wo angeblich eine Kirche angezündet worden sein soll – schwer aufzulösende Vermengung von unbestrittenen Fakten und politisch aufgebauschter Tendenz. Im Hinblick auf Seriosität, ausgewogene Berichterstattung und abwägende Kommentare steht Breitbart-News Russia Today wenig nach.

Beide verfolgen eine tendenziöse politische Ausrichtung, beide spitzen Nachrichten polemisch und aufstachelnd zu. Beide verfolgen eine rechtsradikale Agenda und fachen populistische Affekte an. Beide betreiben unverhüllte Agitation. Beide verwirren Wähler und suggerieren Verschwörungstheorien. Sie schüren Ängste und Ressentiments, bedienen sich einer aufgeladenen Sprache. Sie fördern nicht Verständigung oder Verständnis, sondern säen Argwohn und Voreingenommenheit. Wieso also wird laut gegen RT protestiert und nicht gegen Breitbart?

Scheinheiligkeit der Amerikaner

Der NSA-Skandal hat eine Ahnung vom Ausmaß der US-amerikanischen Sammelwut preisgegeben. Jetzt den Russen vorzuwerfen, dass sie das Gleiche tun und Zugang zu sensiblen politischen Kommunikationen suchen, ist scheinheilig.

Sicherheit vor derartigen Angriffen wird es nicht geben, wenn wir Russland oder eben auch die USA moralisch verurteilen – Empörung und Sanktionen bewirken ebenso nichts. Das Einzige, was hilft, ist die Immunität der eigenen Anlagen zu stärken und das Sicherheitsbewusstsein derer zu erhöhen, die täglich mit sensibler Informationstechnik zu tun haben. Wenn das Handy der Kanzlerin abgehört wird, ist das weniger ein Abhörskandal als ein Zeichen eines unzureichenden Standes von Sicherheitstechnik und Sicherheitsbewusstsein.

Noch unverständlicher ist die Empörung über Russlands Einmischung in die politische Willensbildung in Washington. Ist nicht die ganze Nachkriegsgeschichte durchzogen von Versuchen der USA, Wahlen zu beeinflussen? Die Sowjetunion hielt damals schon dagegen, wo sie konnte, war jedoch technisch und finanziell weit unterlegen – das hat sich jetzt geändert.

In Rom, in Athen, in Paris machten US-Botschafter während des Kalten Krieges immer wieder klar, dass für Kommunisten kein Platz in der Regierung sei. Konservative Parteien und Zeitschriften erhielten verdeckte Unterstützung. In einigen Staaten half man tatkräftig nach, indem man unliebsame Regierungen stürzte und neue einsetzte. „Regime Change“ nannte man das und sorgte dafür, dass Mohammed Mossadegh in Teheran, Salvador Allende in Santiago, Saddam Hussein in Bagdad und einige Potentaten in Lateinamerika, Afrika und in Indochina verschwanden.

Einflussnahme der USA in der Ukraine

2014 wurde der Mitschnitt eines Telefongesprächs zwischen Victoria Nuland, damals Assistant Secretary for Eastern Europe im Außenministerium der Vereinigten Staaten, und dem US-Botschafter in Kiew, Geoffrey Pyatt, bekannt. Der Sturz von Wiktor Janukowitsch schien nur noch eine Frage der Zeit. Beide ließen keinen Zweifel an ihren Präferenzen in der ukrainischen Innenpolitik. Sie besprachen Szenarien, wie man Entwicklungen gezielt beeinflussen könnte. Sie redeten wie konspirierende Mafiabosse, die in verrauchten Hinterzimmern einen neuen Markt aufteilen. Ist es Zufall, dass die damals positiv genannten Namen wenig später tatsächlich an die Spitze der Ukraine traten?

Nuland entschuldigte sich für die berühmten Worte: „Fuck the EU!“ Ansonsten blieb das Gespräch folgenlos. Dass Berufsdiplomaten über ein anderes Land sprechen wie Statthalter über eine Provinz, dass in einer kritischen Phase der Neufindung die USA den Prozess einer Regierungsneubildung und neuer Partei-Allianzen massiv beeinflussen, schien keiner Empörung wert. Dabei dürfte dies nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein.

Euro-Maidan-Bewegung geschickt beeinflusst

Der russische Vorwurf, die ganze Euro-Maidan-Bewegung sei vom Ausland ausgelöst, gelenkt und finanziert worden, ist übertrieben. Sicher ist jedoch, dass die USA keineswegs neutrale Beobachter waren, sondern durch organisatorische Unterstützung, taktische Beratung und logistische Hilfe dazu beigetragen haben, die Maidan-Demonstration zu der revolutionären Bewegung zu machen, die zum Sturz Janukowitschs führte. Es mag Gründe geben, ein solches Verhalten der USA aus machiavellistischen Erwägungen hinzunehmen – aber das sind Erwägungen politischer Opportunität, nicht moralische oder juristische Rechtfertigungen.

Und wie steht es um die massiven Proteste nach den russischen Parlamentswahlen von 2012? Auch hier ist es übertrieben, dahinter eine anti-Putinsche Verschwörung der USA zu sehen. Aber zahlreiche US-amerikanische Nicht-Regierungsorganisationen leisteten den Demonstranten logistische Hilfe und Ratschläge.

Strategie des „Regime Change“

In russischen Augen betreiben die USA eine langfristige Strategie des „Regime Change“, an dessen Ende geänderte Regime in Teheran und Moskau stehen. Das mag Verfolgungswahn sein – ganz aus der Luft gegriffen sind derlei Ängste nicht, sieht man sie parallel zu militärischen Entwicklungen: Einseitige Kündigung des ABM-Vertrags, Nicht-Ratifizierung des KSE-, des SALT II- und des Umfassenden Teststop-Vertrags (Russland hat alle drei Verträge ratifiziert), Aufbau eines Raketenabwehrsystems, Unipolarität als strategische Leitlinie der USA, Invasion des Irak, wiederholte Androhungen eines Regime Changes in Teheran.

Der Georgien-Krieg 2008 wäre vermutlich nicht vom Zaun gebrochen worden, hätte der damalige georgische Präsident Micheil Saakaschwili nicht mit der Unterstützung der USA gerechnet – Cheney hatte kurz zuvor Militärhilfe in Milliardenhöhe versprochen. Danach folgten ein militärischer Regime Change in Libyen und ein angedrohter in Damaskus. Zudem die Anerkennung eines unabhängigen Kosovo gegen den Willen des Russland nahestehenden Serbiens. Ist es verwunderlich, wenn Russland jetzt zurückbeißt?

Jetzt haben sich die Russen beim gleichen Spiel erwischen lassen. Der Aufschrei ist gewaltig. Aber prangern wir damit nicht den Splitter im Auge des anderen an und bemerken nicht den Balken im eigenen Auge? Russland ist eine wachsende Bedrohung für den Rest Europas, aber es sind weniger derartig fragwürdige Methoden, als die gründliche Missachtung fundamentaler Absprachen, auf denen die Friedensordnung Europas seit der Schlussakte von Helsinki von 1975 beruht.

Wie können wir uns schützen?

Es wäre müßig, Sinnesänderung auf russischer oder amerikanischer Seite zu fordern. Sie werden ihre Fähigkeiten zur Informationsbeschaffung weiter nutzen und sich dabei allein von nationalen Interessen leiten lassen. Es macht wenig Sinn, gegen Füchse Fallen aufzustellen und Ratten ungehindert gewähren zu lassen.

Geboten ist zuallererst eine selbstkritischere Sicht des Westens, mehr Verständnis dafür, wie das eigene Handeln in Moskau interpretiert wird. Zweitens hilft gegen Cyber-Angriffe nur eine lückenlose Abwehr auf höchstem technischen Niveau. Vorsicht ist für jeden geboten, der sich im Cyberspace bewegt. Drittens sollte sorgfältiger abgewogen werden zwischen den Vorteilen universaler Vernetzung – die unweigerlich Verletzbarkeit nach sich zieht – und digitaler Brandmauern, um Inhalte zuverlässig zu schützen. Viertens sollten Software-Firmen weniger Spiele und Apps liefern: Vielmehr sollte ein leistungsfähiges Anti-Virenprogramm, das kostenlos mit allen Updates nachgerüstet wird, zum Grundbestand jeder Betriebssoftware gehören.

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