9/11 - Kapitulation zum Jahrestag

18 Jahre nach dem 11. September 2001 ist es Zeit, dass sich der Westen eingesteht: Der Afghanistan-Krieg ist verloren. So unausweichlich sein Beginn war, so unausweichlich ist der baldige Abzug der Truppen vom Hindukusch  

Die Apokalypse als TV-Ereignis: 9/11 hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der 11. September 2001 ist in den ewigen Kalender der westlichen Welt eingraviert. Ein traumatisches Ereignis, live verfolgt an Bildschirmen rund um die Welt. Es waren hunderte Millionen Menschen rund um den Globus, die den Einschlag der zweiten Maschine in den zweiten Turm des World Trade Centers in Echtzeit miterlebt haben. Ein traumatischer Tag, ein Tag, der die Welt in ein Gestern und Morgen eingeteilt hat wie nur wenige im Zeitalter der Moderne.  

Massenmord, live übertragen bis ans andere Ende der Welt: Ein Flugzeug, das sich in den Turm bohrt, als wäre der aus Watte, eine Explosion, weißer dicker Qualm, der vom Einschlagsort im oberen Viertel der Türme aufsteigt, winzige Punkte vor der Fassade, die sich bei genauerem Hinsehen als fallende Menschen erweisen. Dann der Niedergang beider Türme wie in Zeitlupe, Stahlskelette, die hinterher wie makabre Skulpturen aus einer Trümmerlandschaft herausragten. Jeder, der das gesehen hat, weiß noch, wo er fassungslos vor dem Fernseher saß. 

Krieg für Mädchenschulen

18 Jahre ist dieser Tag nun her. Ein amerikanischer Präsident George W. Bush ist vor dem geistigen Auge wieder sichtbar, der mit Kindern Bilderbücher anschaut, während ihm ein Beamter etwas ins Ohr flüstert und die Mimik des Präsidenten ausdruckslos wird. Ein deutscher Bundeskanzler, der als einer der ersten vor einer Bücherwand den USA die „uneingeschränkte Solidarität“ zusicherte, was nichts anderes bedeutet, als dass Artikel 5 des Nato-Vertrages aktiviert wurde. Der Bündnisfall war zum ersten Mal in der Geschichte der Militärallianz eingetreten. 

Kurz darauf richteten die USA ihre Militärmaschinerie in Richtung Afghanistan aus, weil sich erwies, dass sich der Drahtzieher der Anschläge, die knapp 3.000 Menschen das Leben gekostet hatte, in den felsigen Höhlen des Hindukusch verschanzt hatte und seine Terrorbefehle von dort mit Hilfe von High Tech um die Welt schickte. 18 Jahre dauert dieser Krieg des Westens in Afghanistan nun schon. Er wurde als War on terror begonnen, als Krieg gegen den Terror, und als das Ziel in immer weitere Ferne rückte, als Krieg für Mädchenschulen fortgesetzt. 

Schwierige Friedensgespräche

Zwar konnte Al-Quaida seiner Basis beraubt werden und Osama bin Laden schließlich von einem US-Spezialkommando in seinem Versteck in Pakistan erschossen werden, live verfolgt von Präsident Barack Obama im Weißen Haus in Washington. Aber die Taliban, die Al Quaida deren Terrornest zur Verfügung gestellt hatten, ließen sich einfach nicht bezwingen in dieser landschaftlich so reizvollen und militärisch nicht in den Griff zu bekommenden Ansammlung von Geröll und Gebirgszügen. 

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte den Westen gewarnt und prophezeit, auch dieser würde sich wie Russland die Zähne ausbeißen an diesem Land. So ist es gekommen. Der Zufall führt Regie und lässt die Tage mit dem Jahrestag von 9/11 zusammenfallen, in denen der mittlerweile dritte amerikanische Präsident die ohnehin schwierigen geheimen Friedensgespräche mit den militanten islamischen Fundamentalisten abgebrochen hat.  

Niederlage im Krieg gegen den Terror 

Im Nachhinein ist man immer klüger. Aber statt sich in verschwurbelten, letztlich hilflosen Schutzformulierungen zu ergehen  („Die Sicherheit Deutschlands wird am Hindukusch verteidigt“), anstatt Illusionen zu nähren, die Gleichberechtigung der Frau ließe sich in diesem Land militärisch erzwingen, hätte man viele Opfer und Kosten in Milliardenhöhe vermieden, wenn sich die Regierungen früher getraut hätten einzugestehen: Der gemeinsame Einmarsch in Afghanistan nach 9/11 war – im Unterschied zum Irak-Krieg – aus Gründen der Bündnistreue unausweichlich. Spätestens aber mit der gezielten Tötung Osama bin Ladens hätte die Aussichtslosigkeit eingesehen werden müssen, dass man Afghanistan unter dem Schutzschirm des Militärischen zu einer Zivilisation führen könne, die den Mindeststandards westlicher Werte genügt.

Der Abbruch der Friedensgespräche durch den amerikanischen Präsidenten kommt 18 Jahre nach dem 11. September einer Kapitulationserklärung gleich. In Vietnam hatten die USA den Fehler gemacht, den Krieg weiterzuführen, um einigermaßen gesichtswahrend herauszukommen. Es hat nichts genützt, die Geschichte hat dennoch ein hartes Urteil darüber gefällt. In Afghanistan hatte man mit Osama bin Laden einen trifftigen Grund für die Invasion. Aber jetzt gibt es keinen mehr, dort noch länger zu bleiben. Diesen Krieg gegen islamistischen Terror hat der Westen verloren. Das sollte er endlich offen zugeben. Stattdessen zögert er dieses Eingeständnis in Form eines Abzugs weiter hinaus. 

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