Meike und Lars Schlecker - Kinder haften für ihre Eltern

Der einstige Drogerie-König Anton Schlecker kommt mit einer Bewährung davon. Rechtlich ist das nachvollziehbar, moralisch kaum. Denn seine Kinder Meike und Lars Schlecker büßen nun nicht nur für eigenes Fehlverhalten, sondern auch für seine Rücksichtslosigkeit

Die Kinder des Drogerie-Königs Anton Schlecker (Zweiter von links) müssen ins Gefängnis: Meike (links) und Lars Schlecker (rechts) neben ihrer Mutter Christina (rechts außen)
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Spätestens ab Februar 2011 hätte Anton Schlecker wissen müssen, dass die Insolvenz seines Drogerie-Imperiums bevorstand. Trotz dieses Wissens verschob er illegalerweise Millionenbeträge auf private Konten. Zu diesem Schluss ist nun das Stuttgarter Landgericht im Prozess gegen den einstigen Drogerie-König gekommen. Es bedeutet, dass der 73 jahre alte Schlecker-Gründer wegen vorsätzlichen Bankrotts lediglich mit einer Geldstrafe von 54.000 Euro und einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren davonkommt. Seine Kinder Lars und Meike Schlecker hingegen sollen wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Bankrott sowie wegen Untreue und Insolvenzverschleppung für zwei Jahre und neun Monate, beziehungsweise für zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis gehen.

Zwar wird die Strafe für Anton Schlecker zur Bewährung ausgesetzt, doch das Urteil muss den Vater trotzdem hart treffen. Bei aller Selbstverantwortlichkeit von Lars und Meike Schlecker zahlen seine eigenen Kinder letztlich den bitteren Preis für seine vergleichsweise halsstarrige, wie beratungsresistente Unternehmenspolitik. Das Imperium ist futsch. Die Freiheit seiner Kinder nun voraussichtlich auch, sollte eine Berufung ausbleiben oder keinen Erfolg haben.

Bitterer Niedergang für die Schleckers

Leicht fällt es zwar zunächst, sich über das vermeintlich milde Urteil gegen Anton Schlecker zu empören. Leicht nachzuweisen ist ein Wissen um nicht abwendbare Insolovenz aber eben leider nicht. Insofern konnte das Gericht nur das gewichten, was offensichtlich war. Das Gesamturteil trifft die Richtigen. Die Schlecker-Philosophie fußte seit jeher darauf, auch noch das letzte aus jenen herauszupressen, die gar nicht anders können als zu bleiben. Zehntausende Mitarbeiter und zahlreiche Lieferanten litten und leiden noch immer unter dem System Schlecker, auch wenn es ihnen einst als mächtiger Arbeitgeber oder Abnehmer zugleich über Jahrzehnte das Einkommen oder den Absatz sicherte.

Anton Schlecker und auch seine Frau Christa sind keine Ersttäter. Schon im Jahr 1998 hatte das Landgericht Stuttgart das Ehepaar zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu einer Geldstrafe von umgerechnet einer Million Euro verurteilt. Der Grund: Die Richter sahen es damals als erwiesen an, dass sie Hunderte Verkäuferinnen jahrelang unter Tarif bezahlt, ihnen aber einen Tariflohn vorgetäuscht hatten. Diese Vorstrafe dürfte inzwischen getilgt sein und konnte darum ins aktuelle Strafmaß nicht einfließen. Das Unternehmerpaar achtete offensichtlich auf jeden Cent, aber auch damals schon nicht so sehr auf das Gesetz. Auch in späteren Jahren wurden weitere Fälle von schlecht behandelten Mitarbeitern bekannt.

Vermeintliches Umdenken nach außen

Einiges sei in der Vergangenheit schief gelaufen. Es gäbe nun aber eine neue Unternehmenskultur. Mit solch reuevollen Worten wandte sich Lars Schlecker, der Sohn des Drogerieketten-Gründers Anton Schlecker, noch kurz vor der verkündeten Pleite an die Öffentlichkeit. Mit dem nun gefällten Stuttgarter Urteil wirkt diese Pseudo-Transparenz-Offensive des Unternehmens, das damals bereits hohe Verluste machte, noch dreister. Lars Schlecker und seine Schwester Meike gaben an, das Unternehmen sanieren zu wollen. Wenig später folgte die Insolvenz. Von dem einst auf 1,95 Milliarden Euro geschätzten Schlecker-Vermögen soll nichts mehr übrig gewesen sein, sagte Meike Schlecker 2012 auf der Insolvenz-Pressekonferenz. Ihr Blick starr, die Stimme stockend, halb auswendig gelernt, halb abgelesen trug sie damals vor:

„Das Vermögen meines Vaters war immer das Unternehmen. Er hat es auch stets abgelehnt, die Rechtsform zu ändern und in beschränkte Haftung zu gehen. Er hätte das jederzeit machen können. Wir hatten nie Banken drin. Er hätte das von heute auf morgen machen können in den letzten zwanzig Jahren. Er hat es nie gemacht und nie für nötig gehalten. Er sah sich immer in der vollen Verantwortung als Unternehmer.“

Andere mussten immer in Vorleistung gehen

Es stimmt, tatsächlich war Anton Schlecker mit seiner Firma immer in der Rechtsform „eingetragener Kaufmann“ geblieben. Er haftete also anders als etwa eine GmbH mit seinem gesamten Vermögen. Soweit, so edel. Dass Anton Schlecker aber von jeher keine Banken als Geldgeber ins Haus holen wollte, funktionierte nur, weil er andere in die Pflicht nahm. Zum Beispiel seine Lieferanten, die als Insolvenz-Gläubiger letztlich die Dummen bleiben werden, wie Insolvenz-Verwalter Anrdt Geiwitz ankündigt. Ihnen hatte Schlecker beispielsweise extrem lange Zahlungsfristen abgerungen. Gelieferte Ware bezahlte der Drogerie-Riese oft erst nach Monaten, obwohl die eigenen Kunden längst an den Schlecker-Kassen ihr Geld ließen für Deo, Klopapier und Waschmittel. Mit dem auf diese Weise geschickt gehorteten Geld expandierte Schlecker und wurde zur größten Drogeriemarktkette Europas mit 15.000 Filialen, mit etwa 50.000 Mitarbeitern und Jahresumsätzen von bis zu 7 Milliarden Euro.

Aber dieses ausgefuchste System kam an seine Grenzen: Die Kunden blieben zunehmend weg. Immer häufiger fanden sie günstige Drogerieartikel auch bei Discountern wie Lidl und Aldi. Bei den schickeren Konkurrenten Rossmann, Müller und dm kauften sie lieber ein, als in den Schlecker-Schmuddelfilialen. „Ich geh zum Schlecker“ das beinah schon geflügelte Wort war immer seltener zu hören. Doch Anton Schlecker hielt an seinem Konzept der kleinen, wenig ansprechenden Filialen fest. Berater verzweifelten und gaben auf. Als schließlich die Kinder Lars und Meike übernahmen, war es längst zu spät. Das misslungene Re-Branding mit dem Slogan „Schlecker  For you, vor Ort“ war ein letztes hilfloses Zucken. Die anschließende Kundenbeschimpfung die letzte Delle im Image der ramponierten Marke.

Das eigene Vermögen darf gerettet werden

Wer im Angesicht der Insolvenz die eigenen Felle in Form von Firmen- und zugleich Familienvermögen davon schwimmen sieht, versucht sie verständlicherweise zu retten. Menschlich ist das nachvollziehbar. Die Schleckers nutzen deshalb gewiss auch legale Wege oder Grauzonen-Schlupflöcher. Sie wählten aber eben auch illegale Optionen, wie das Gericht nun urteile. Ein schwacher Trost für die geschädigten Mitarbeiter: Diese Vermögensverschiebungen führten nicht zur Schlecker-Insolvenz, stellte das Gericht fest. Das Ende war bereits nicht mehr abzuwenden.

Leichter nachzuweisen als das Wissen von Anton Schlecker um die drohende Insolvenz, war für das Stuttgarter Gericht offenbar das Verhalten der Kinder. Lars und Meike Schlecker besaßen die Tochter-Logistikfirma LDG, welche die Waren in die tausenden Filialen transportierte. Vom Mutterkonzern sollen sie sich für diese Dienstleistungen bewusst überhöhte Stundensätze bezahlt haben lassen, obwohl die Zahlungsunfähigkeit längst klar war. Kurz bevor sie die Insolvenz bekannt gaben, haben sich Meike und Lars Schlecker im Januar 2012 insgesamt rund 6,1 Millionen Euro als Gewinn auszahlen lassen, obwohl die LDG Verluste erwirtschaftete. Hände ringend versuchten die beiden offenbar zu retten, was von abgebrannter Vaterhand noch zu retten war.

Meike Schlecker beteuerte 2012 vor laufenden Kameras „Es ist nichts mehr da.“ Das war genau genommen nicht mal gelogen. Es war die eiskalte Wahrheit.

Im Urteil lässt sich dennoch mehr als eine Ahnung davon erkennen, dass Anton Schlecker zumindest die Hauptverantwortung nach moralischen Gesichtspunkten trägt. Doch schlechter Charakter ist eben nicht per se strafbar. Auch wenn sich dieser nur selten bessert, vielleicht fühlt sich Anton Schlecker zumindest mitschuldig dafür, dass es für seine Kinder nun nicht mehr zur Bewährung reichte. Um den Thron des einstigen Königs von Ehingen war es nie einsamer als jetzt.

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