Angela Merkel und Horst Seehofer - Macht. Immer. Weiter.

Angela Merkel und Horst Seehofer könnten unterschiedlicher kaum sein. Doch eines eint beide: Sie lassen nicht los von ihrer Macht. Das wirkt erbarmungswürdig. Wahre Größe entsteht durch Verzicht, wie es ein anderer Spitzenpolitiker vorgemacht hat

Angela Merkel und Horst Seehofer lassen nicht los / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

So erreichen Sie Christoph Schwennicke:

Anzeige

Vor einiger Zeit, im Frühsommer vorigen Jahres, hatte ich eine bemerkenswerte Begegnung mit Horst Seehofer. Das politische Berlin beschäftigte sich so lustvoll wie letztlich sinnlos mit der Frage, die nur einer wirklich hätte beantworten können, der aber schwieg: Wird Joachim Gauck eine zweite Amtszeit als Bundespräsident anstreben oder nicht? 

Wie gesagt: Die Frage jemand anderem als Gauck zu stellen, war müßig, aber sie wurde eben reihum gestellt, bei einer geselligen Gelegenheit auch Horst Seehofer. Für den war die Sache völlig klar. Natürlich würde Gauck weitermachen! Dieses Leben! Ein Schloß, ein Flugzeug, eine Fahrbereitschaft, ein toller Stab an Mitarbeitern, protokollarische Aufmerksamkeit, Reisen, Bedeutung. So etwas, das verströmte Seehofer bei seiner leidenschaftlichen Antwort mit jeder Faser seines schweren Körpers, so etwas gibt man nicht aus freien Stücken auf. 

Keine zwei Wochen später erklärte sich Joachim Gauck und gab bekannt, dass er das Amt mit Freude und Respekt innegehabt habe, er es aber bei einer Amtszeit belasse.

Seehofer führte ein Selbst-Gespräch

Was den Verdacht beim geselligen Beisammensein mit Seehofer zur Gewissheit machte: Der CSU-Chef hatte gar nicht über Gauck geredet. Er hatte von sich geredet. Er hatte einen Einblick gegeben in seine Sicht auf das Innehaben eines öffentlichen politischen Amtes. Und in seine Gefühls- und Gedankenwelt: Aus freien Stücken aufgeben? Unmöglich! 

Im Lichte dieser Seehofer-Erfahrung erklärt sich das shakespearehafte CSU-Dramolett, das derzeit im Süden der Republik aufgeführt wird, von selbst. Seehofer ist als Ministerpräsident und vor allem als Widersacher Angela Merkels in der Migrationsfrage gescheitert. Er müsste daraus die Konsequenzen ziehen und den Weg frei machen – als Parteivorsitzender und als Spitzenkandidat für die Landtagswahl im kommenden Herbst in Bayern. 

Das schafft er aber nicht. Weil es in seiner Parallelwelt gar nicht geht, weil es nicht in sein Welt- und Selbstbild passt. Also bietet er alles auf, was auch nur eine Restchance verspricht, seinen Sturz wenigstens zu verzögern. Es ist ein erbarmungswürdiges Bild, das dieser einstmals kraftstrotzende Mann abgibt in seinem verzweifelten Kampf gegen das Unabwendbare.

Merkel weiß um die Kostbarkeit der Macht

Für Angela Merkel hatte Horst Seehofer übrigens das Gleiche konstatiert wie für Gauck. Bei ihr könnte das auch stimmen. Sie legt die gleiche Beharrung an den Tag wie ihr Widersacher aus Ingolstadt. Wahrscheinlich kann man diesen Kampfpanzer auch einfach nicht mehr ablegen, der einem im Laufe der Jahre zur zweiten Haut geworden ist. 

Noch eine Rückblende. Als Angela Merkel seinerzeit 2005 endlich mit den Ihren im Kanzleramt angekommen war und das Grüppchen Getreuer die Eroberung dieses Gebäudes bei manchem Gläschen alkoholhaltiger Getränke gefeiert hatte, da verfielen manche im Taumel der Freude ins Lästern über denjenigen, der vorher sieben Jahre lang das Amt innehatte, in dem die Merkel-Truppe nun angekommen war, der es aber vor Ablauf der regulären Legislaturperiode räumen musste.

Bestimmt und unmissverständlich verbat sich Merkel die Häme über Gerhard Schröder. Jeder, der es je in dieses Amt geschafft habe, habe eine enorme politische Kraftanstrengung vollbracht, und jeder Tag, den man in diesem Amt verbringe, müsse aufs Neue erkämpft und zugleich geschätzt und geachtet werden. Es gäbe also überhaupt keinen Anlass, über die von acht auf sieben Jahre verkürzte Amtszeit Schröders zu lästern.

Die typischen Machtmuster 

Auch diese Anekdote hilft sehr, das Gebaren von Angela Merkel auf der Suche nach dem letzten Strohhalm in diesen Tagen zu verstehen. Sie hat sich keinen Deut verändert in ihrem Machtwillen: 2005, als sie die Wahl auch nicht so richtig gewonnen und enttäuschend abgeschnitten hatte, sicherte sie sich anderntags den Fraktionsvorsitz. Die Position, die sie für alle Eventualitäten absicherte und sie (neben dem Rumpelstilz-Auftritt in der Elefantenrunde von Gerhard Schröder) immun machte gegen alle Putschisten, die schon unterwegs waren.

Jetzt, nach der ebenfalls nicht wirklich gewonnenen Bundestagswahl 2017 und den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen hat Merkel wieder nach diesem Machtmuster agiert und die Kanzlerkandidatur für eine etwaige Neuwahl für sich reklamiert. Ihre Widersacher sind damit schachmatt gesetzt. Sie sind zwar in erheblicher Zahl vorhanden und sie werden auch immer redseliger, aber statt zu handeln, ballen sie die Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß werden dabei. Sie haben es nicht in der Hand, die ungeliebte Chefin loszuwerden.

Die Anti-Merkel-CDU hofft auf Schulz

Damit zum Dritten in der Runde. Martin Schulz. Auf ihm ruhen nicht gerade die Hoffnungen der Sozialdemokraten. Die erleiden den Mann eher, den sie vor weniger als einem Jahr mit 100 Prozent zu ihrem Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten gewählt haben. Nein, auf Schulz ruhen die Hoffnungen der Merkel-Gegner in der CDU. Wenn Schulz Merkels Ausscheiden zur Bedingung einer Großen Koalition machte, dann wäre das Ende Merkels eingeläutet: Weil sich zwar eine CDU dann geschlossen hinter ihre Chefin stellen und Schulz‘ Forderung empört zurückweisen müsste, das Ergebnis aber Merkel als eine Kanzlerin einer Minderheitsregierung wäre. Und dann würde sie absehbar eher über kurz denn über lang im Bundestag mit einem Versuch scheitern, sich eine Mehrheit für das eine oder andere Gesetz zu organisieren.

Dreifaltigkeit der Schwäche

Das Ergebnis wäre ein eher qualvolles und langsames Ende einer Kanzlerschaft. Und auch ein Ende der gegenwärtig seltsam ineinander verschlungenen Dreifaltigkeit der Schwäche aus Seehofer, Schulz und Merkel, die an die berühmte Laokoon-Gruppe im Todeskampf erinnert. 

„The Blind leading the Naked“ haben die wunderbaren Violent Femmes ihr drittes (und bestes) Album genannt. Es könnte der Soundtrack zum politischen Stück sein, das gerade auf der Berliner Bühne gegeben wird.  

Anders aber, so hat das einmal präzise ein Kollege der FAZ analysiert, ist das offenbar in politischen Spitzenämtern nicht möglich. Es sei denn, man verfügt über die innere Größe und Freiheit, die Joachim Gauck bei seiner Entscheidung vor anderthalb Jahren beeindruckend und für die professionelle politische Kaste völlig überraschend an den Tag gelegt hat. 

Anzeige