Angela Merkel und Donald Trump - Dein Alleingang, mein Alleingang

Angela Merkel holte sich auf dem Katholikentag in Münster Applaus für ihre Kritik an Donald Trumps außenpolitischen Alleingängen. Dabei ist gerade die Bundeskanzlerin eine zweifelhafte Meisterin im isolierten Handeln

Angela Merkel kritisiert Donald Trumps Alleingänge / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Es ist gerade bei einer Versammlung vieler edel Gesinnter, wie einem Katholikentag, ein Applausgarant, sich den amtierenden amerikanischen Präsidenten vorzunehmen. Also sprach die Bundeskanzlerin dieser Tage in Münster davon, dass Donald Trumps America First dem Multilateralismus schade und es eine schlechte Nachricht für die Welt sei, wenn man sich wie der US-amerikanische Präsident einseitig aus internationalen Abkommen wie im Falle des Irans und des Klimas zurückziehe. Das erschüttere das Vertrauen in die Gültigkeit internationaler Abkommen.

Nun kann man sich einerseits mit Recht die Frage stellen, ob es nicht den einen oder anderen Grund gibt, bei aller habituellen Absonderlichkeit noch einmal neu nachzudenken über diesen Präsidenten. Korea böte dafür einen Anlass. Vor allem aber stellt sich andererseits die Frage: Wer wirft hier eigentlich wem mit welchem Recht Unilateralismus vor? Wer hat in letzter Zeit auf europäischem Boden durch Alleingänge und Unilateralismus Vertrauen erschüttert? Oder besser: zerstört?

Auch die Kanzlerin betreibt „Germany First“

Vor wenigen Tagen erschien ein luzider Kommentar von Philip Stephens in der Financial Times, in dem der Autor der deutschen Kanzlerin eine „Germany First“-Strategie vorhielt. Sie ist vielleicht nicht so offenkundig wie jene Donald Trumps. Aber ist Merkels Unilateralismus deswegen weniger schlimm? Bevor sie in Münster zu den gläubigen Katholiken sprach, war sie in Aachen, wo sie eine Laudatio auf den Karlspreisträger Emmanuel Macron hielt – der sich prompt erlaubte, Merkel und Deutschland für das große Zaudern in Sachen europäischer Reformen zu kritisieren. Dieses Zaudern hat aber auch nur den einen hauptsächlichen Sinn, weitere (am Ende finanzielle) Lasten Deutschlands zu vermeiden. Oder möglicherweise nationale Kompetenzen wie die Budgethoheit aufzugeben.

Seltsamerweise ist diese deutsche Kirchturmpolitik gemeinhin nicht zu beanstanden, die des amerikanischen Präsidenten aber gleichwohl. Die wohl größte unilaterale Aktion der deutschen Bundeskanzlerin war die monatelange Grenzöffnung im Spätsommer 2015 bis Frühjahr 2016. Bis auf anfänglich Österreich und Schweden stand kein einziges EU-Land hinter diesem Alleingang. Und das Dublin-Abkommen, ein supranationales Abkommen, wurde in Wort und Tat ignoriert. Kein anderes Land wurde gefragt, wie es dieses Vorgehen findet und ob es das Vorgehen mitträgt. Weshalb sich bis heute auch kein einziges Land bereit erklärt, für die Folgen aufzukommen und Deutschland nennenswerte Kontingente an Flüchtlingen und Migranten abzunehmen.

Die Krise der EU liegt auch an Merkel

Diese Art des Merkel’schen Unilateralismus hat die Europäische Union in eine tiefe Krise gestürzt. Sie hat also die Folgen gezeitigt, vor denen die deutsche Kanzlerin nun bei Donald Trump warnt.

Zwei Männer aus Paris hatten ihr vergangene Woche im Abstand von zwei Tagen kritisch den Spiegel vorgehalten. Erst Emmanuel Macron, der sie zur Zauderin erklärte. Und dann der Modemacher Karl Lagerfeld, der sagte, er „verabscheue“ die deutsche Kanzlerin für ihr Vorgehen in der Flüchtlingskrise, in deren Folge nun 100 Neonazis im Deutschen Bundestag säßen. Lagerfeld ist ein sehr vornehmer und galanter Herr mit feinen Handschuhen und bestem Benehmen. Es heißt also etwas, wenn er so aus der Rolle fällt und Merkel mit Vokabeln überzieht, die zum allgemeinen Wohlgefallen und in gängigen Comments sonst nur bei Donald Trump erlaubt sind.

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