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Wahlen in Israel - Eine Stimme für den Zionismus

Netanjahu-Herausforderer Jitzhak Herzog kann mit einem alten Kampfbegriff die israelischen Wahlen gewinnen. Premierminister ist er damit lange noch nicht. Entscheidend wird die drittstärkste politische Kraft 

Autoreninfo

Jan Ludwig ist freier Journalist und wohnt in Hamburg. Er lebte mehrere Monate in Israel und schreibt regelmäßig über den Nahen Osten, u. a. für die FAZ.

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An Selbstironie mangelt es Jitzhak Herzog nicht. Weil ihm, dem israelischen Oppositionschef und Herausforderer von Premierminister Benjamin Netanjahu, vorgeworfen wird, er habe eine fade, ausdruckslose Stimme, hat er sich kurzerhand in einem Wahlwerbespot synchronisieren lassen. In dem Video, das im israelischen Fernsehen läuft, bewegt Herzog die Lippen und listet seine politischen Verdienste auf. Doch die Worte kommen aus dem Mund eines ausgebildeten Sprechers. Das Einzige, spricht Herzog tonlos in die Kamera, was ihm angeblich zu einer Führungsfigur fehle, sei ja eine Stimme.

In der Tat: Herzog ist kein großer Redner, seine Stimme kein Vergleich zum gewaltigen Bassbariton eines Netanjahu, der notfalls auch ohne Mikrofon in der Knesset sprechen könnte. Wenn am 17. März in Israel gewählt wird, stehen sich zwei Männer gegenüber, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Hier Netanjahu, der vor Charisma platzt, ein Mann, der einst als Soldat gekidnappte Flugzeuge stürmte und heute als Politiker den US-Kongress; dort Herzog, den seine Kritiker von der israelischen Rechten als einen groß gewordenen Jungen bespotten.

[[{"fid":"65055","view_mode":"full","type":"media","attributes":{"height":974,"width":750,"style":"font-size: 13.0080003738403px; line-height: 1.538em; width: 150px; height: 195px; float: left;","class":"media-element file-full"}}]]Dabei kann man Jitzhak Herzog fehlenden Patriotismus nicht vorwerfen. Für Herzog, 1960 in Tel Aviv als Spross einer Polit-Dynastie geboren, wird die israelische Nationalhymne schon an der Wiege gesungen. Der Großvater war erster Chefrabbiner von Israel, der Vater Präsident, die Onkel Diplomaten. Herzog dient in einer Elite-Einheit namens 8200, einer Art IT-Geheimdienst der israelischen Armee. Er studiert Recht, besucht eine amerikanische Eliteuniversität und arbeitet in der Kanzlei seines Vaters, bis es ihn in die Politik zieht, zur Arbeitspartei. 2013 gewinnt er in einem erdrutschartigen Sieg die Wahl zum Parteivorsitzenden.

Ein Jahr später gelingt ihm sein bisher größter Coup. Im Dezember 2014 vereinen sich seine Arbeiterpartei und andere Kräfte der linken Mitte zum „Zionistischen Lager“. Es ist der Versuch, einen Leitbegriff neu zu füllen, um Netanjahu zu stürzen. Denn was Netanjahu und Herzog trennt, ist ihre Vorstellung davon, was Zionismus bedeutet.

Neuauflage eines alten Kampfbegriffs
 

Eine Heimstatt für Juden aus aller Welt zu errichten – das waren Ziel und Zweck des Zionismus, wie ihn der Wiener Jude Theodor Herzl mit erschuf. In den 120 Jahren seit Herzls Manifest „Der Judenstaat“ ist zwar tatsächlich ein solcher Staat entstanden. Doch der Begriff ist deshalb nicht obsolet geworden. Im Gegenteil: Heute verwenden Politiker jeder Couleur den Ausdruck „Zionismus“ für ihre Zwecke. Für manche ist es ein Lackmustest patriotischer Gesinnung.

Gab es in der Frühzeit noch viele linke und rechte Zionisten, verschoben sich nach dem Sechstagekrieg 1967 die Fronten. Seit die ersten Siedler Quartier im besetzten Hebron nahmen, haben Politiker der Rechten einen religiösen Anspruch auf „Eretz Israel“ mit dem Begriff Zionismus verquickt. Wann immer ein Terroranschlag stattfand, forderten rechte Politiker eine „zionistische Antwort“ und meinten Siedlungsausbau. Lange Zeit hatten die religiösen Zionisten das Wort so vereinnahmt.

Doch die linke Mitte um Jitzhak Herzog will sich den Begriff Zionismus, dieses dreisilbige Gründungsdokument des Staates Israel, nicht nehmen lassen. „Occupy Zionism“ hatte die junge Sozialaktivistin Stav Schaffir ihr politisches Programm im Jahr 2012 genannt. Zusammen mit Zehntausenden ihrer Generation protestierte sie damals auf dem zentralen Rothschild-Boulevard in Tel Aviv. Ihr Ziel: Nicht ein aufgerüsteteres und religiöseres Israel um jeden Preis, sondern ein lebenswerteres. Günstiger Hüttenkäse statt U-Boote, niedrige Mieten statt Verhätschelung der Ultra-Orthodoxen. Bei den Wahlen im März tritt auch Schaffir, mittlerweile Knesset-Abgeordnete, für die Liste „Zionistisches Lager“ an.

Den Zionismus zurückerobern, auf der Straße oder eben auch im Parlament: Mit diesem Anspruch macht sich das Zionistische Lager daran, den alten Kampfbegriff – meist mehr Kampf als Begriff – mit neuer Bedeutung zu füllen. Mit Erfolg: Wären heute schon Wahlen, würde keine Partei mehr Stimmen erhalten als Herzogs altneue Zionisten. Aktuelle Umfragen sagen 26 Sitze für das Zionistische Lager voraus, nur 22 für Netanjahus regierenden Likud.

Koalition aus einem halben Dutzend Parteien
 

Doch um zu gewinnen, benötigt das Zionistische Lager mehr als diese 26 Sitze – gerade mal ein Fünftel der Knesset. Wie in Israel üblich, werden am Ende ein halbes Dutzend Parteien koalieren müssen: säkulare und religiöse, mehrheitlich arabische und jüdische, eher linke und eher rechte.

Entscheidend dürfte sein, wie sich die drittstärkste politische Kraft verhält: das Wahlbündnis der arabisch-israelischen Parteien und der kommunistischen Chadasch. Ein buntes Konglomerat aus Neo-Marxisten, Islamisten und Kräften der politischen Mitte. In der aktuellen Knesset sind sie noch auf vier Parteien verteilt. Dieses Mal treten sie gemeinsam an.

Allein: In die Regierung wollen sie partout nicht. Ahmad Tibi, einer der prominentesten Mitglieder der Gemeinsamen Liste, erklärte erst vor wenigen Wochen, dass solange die Besatzung andauere, sich arabische Politiker nicht an der Regierung beteiligen würden  – jedenfalls keine Politiker aus der Gemeinsamen Liste. Eine Minderheitenregierung unter Herzog ist da schon realistischer, geduldet von einigen Abgeordneten der arabischen Parteien. Doch selbst dann wird es nach aktuellem Stand sehr knapp. Womöglich ergibt sich sogar ein Patt von 60 zu 60 Sitzen.

Am Ende könnte der studierte Architekt Netanjahu der gewieftere Baumeister einer Regierung sein. Er, der zum vierten Mal gewählt werden will, kann auch mit den ultrareligiösen Parteien koalieren, mit der radikalen Rechten ohnehin. Sollte es so kommen, wäre Jitzhak Herzogs Wahlwerbespot prophetischer, als ihm lieb sein konnte: Was ihm letztlich fehlt, wäre – eine Stimme.

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