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Muslime und Antisemitismus - Gemischte Gefühle

Antisemitismus ist kein Import. Jeder fünfte Deutsche ist latent antisemitisch. Doch mit der Zahl der Flüchtlinge wächst auch die Angst vor der arabisch-stämmigen Judenfeindlichkeit. Ist die Sorge berechtigt? Wir müssen reden

Autoreninfo

Mirjam Fischer ist freie Journalistin

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Das Leiden der Menschen ist groß. Betroffenheitsgeschichten, die das zeigen, haben Konjunktur und manchmal scheinen Journalisten überforderter als die Polizei mit der Situation, von der inzwischen selbst Kanzlerin Merkel als Krise spricht. Wer von muslimisch motiviertem Judenhass redet, der mit den Flüchtlingen ins Land kommen könnte, wird schnell in die islamophobe Ecke gedrängt. Antisemitismusforscher wie Wolfgang Benz bewerten Vorbehalte der in Deutschland lebenden Juden gegen irakische und syrische Flüchtlinge trotz der politischen Lage im Nahen Osten als „höchst bedenklich“. Er ist gewiss: Die Flüchtlinge verlassen nicht ihr Land, um in Deutschland Hass gegen Juden zu säen.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, wiederholte Anfang November bei der Eröffnung der Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart diese Bedenken: „Wir sehen den Zustrom der Flüchtlinge mit gemischten Gefühlen. Wie sicher ist jüdisches Leben in Deutschland?“

Wie eine aktuelle Umfrage zeigt, fliehen 70 Prozent der Syrer vor dem säkularen Präsidenten Assad, der gegenüber religiösen Minderheiten deutlich toleranter ist als viele Oppositionsgruppen, die von Extremisten durchzogen sind. Selbst er hat die antisemitische Stimmung im Land geschürt. Als Papst Johannes Paul II. im Mai 2011 Syrien besuchte, gab Assad zum Besten, Israel misshandele die Palästinenser „mit der gleichen Mentalität“, wie die Juden schon vor 2000 „Jesus von Nazareth betrogen und gefoltert“ hätten. Nur 30 Prozent der syrischen Flüchtlinge, die bisher nach Deutschland kamen, fühlen sich von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) oder anderen militanten Kräfte bedroht.

Der importierte Antisemitismus


Der Streit zwischen Israel und Syrien, die sich de facto seit 1973 im Krieg befinden, ist neben dem Israel-Palästina-Konflikt ein nicht zu unterschätzendes Problem im Nahen Osten. Eine pauschale Zuweisung, dass Syrien judenfeindlich sei, wäre falsch. Existent sei leider aber ein politischer Hass gegen Israel, doch dieser Hass sei beidseitig, sagt Aiman A. Mayzek, Präsident des Zentralrates der Muslime in Deutschland, 1969 als Sohn einer deutschen Mutter und eines syrischen Vaters in Deutschland geboren.

Antisemitismus, der sich den Nahostkonflikt zum Anlass nimmt, hat im Sommer 2014 nicht nur in Deutschland zu mehr Gewalt geführt. Nicht nur in den französischen Banlieus ist er virulent. Nach den Terroranschlägen auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt haben „selbst integrierte Muslime aus dieser Gefühls-Melange heraus den Attentatsopfern Respekt und Ehre verweigert. Das ist der neue, der importierte Antisemitismus“, so der Historiker Klaus Manfrass. Und weil die Problematik dieses neu geformten Judenhasses fast deckungsgleich sei mit der Problematik der muslimischen Einwanderung, werde sie tabuisiert.

Nach Einschätzung der Jewish Agency, der offiziellen Einwanderungsbehörde Israels, werden im Jahr 2015 bis zu 15.000 französische Juden ihr Land verlassen. Aus Angst vor wachsendem arabisch-stämmigen Antisemitismus. Selbst Imame, die sich für den Dialog mit ihren jüdischen Mitbürgern einsetzen oder Israel besuchten, wie der Imam von Drancy, müssen von der Polizei Tag und Nacht beschützt werden, weil sie Morddrohungen von anderen Muslimen erhalten. Auch Juden in Großbritannien, wo sich antisemitische Übergriffe im vergangenen Jahr gegenüber 2013 mehr als verdoppelt haben, „fürchten sich vor der Zuwanderung aus Ländern, in denen Antisemitismus Staatspolitik ist und kulturelle Akzeptanz erfährt“, sagt Jonathan Sacerdoti, Pressesprecher der Campaign Against Antisemitism.

Erhöhte Judenfeindlichkeit bei arabischem Migrationshintergrund


In Deutschland wird das Risiko einer Judenfeindlichkeit mit islamischem Hintergrund zu selten offen diskutiert. Juden wollen nicht öffentlich darüber reden. Aus Angst. „Ich habe aufgehört, mit meiner Tochter auf der Straße hebräisch zu sprechen“, erzählt eine jüdische Freundin, die nicht namentlich genannt werden will. Es ist nicht Berlin-Kreuzberg, es ist süddeutsche Provinz. Vor kurzem war eine israelische Austauschschülerin von einem Jugendlichen tätlich angegriffen und als Jüdin beschimpft worden, als sie aus der Synagoge kam. Mal saß ein Mann mit Koran vor dem Gemeindezentrum und predigte Hass gegen Israel, und neuerdings pöbeln Teenager am Eingang herum. Das wirkt bedrohlich, auch weil es neu ist. Die Unsicherheit ist groß, weil man nicht weiß, was kommt.

Der Münchner Journalist Attila Teri war Mitte August für eine „Focus TV Reportage“ auf der griechischen Insel Kos. „Mir erzählten etliche Flüchtlinge, dass für sie die Juden und die USA die Schuld für das alles tragen“, so Teri. "Es muss wohl anerzogen sein, viele der Flüchtlinge haben nie einen Juden kennengelernt.“ Zwei Jahre zuvor hatte er Zaatari besucht, das größte Flüchtlingslager an der jordanisch-syrischen Grenze. „Hier warnte meine jordanische Übersetzerin davor, dass ich mich als Jude oute“, sagt Teri. Sie meinte, es könne lebensgefährlich für mich werden, auch wenn ich mit meinem Film den Flüchtlingen nur helfen und ihre Situation schildern wolle.

Eine Studie der Bielefelder Soziologen Jürgen Mansel und Viktoria Spaiser von 2010 zeigt, dass jeder fünfte Jugendliche mit arabischem Migrationshintergrund der Aussage zustimmt: „In meiner Religion sind es die Juden, die die Welt ins Unheil treiben“. Der Aussage: „Juden haben in der Welt zu viel Einfluss“, stimmten 35,8 Prozent der Jugendlichen mit arabischem Migrationshintergrund zu. Unter Jugendlichen ohne Migrationshintergrund lag der Wert bei 2,1 Prozent.

In vielen Ländern der arabischen Welt haben Menschen keine Chance, etwa differenzierte Bücher zur Shoah zu lesen. Dafür ist Hitlers „Mein Kampf“ ein Bestseller. In Schulbildung und Medien ist Antisemitismus präsent und wird nicht hinterfragt. „Wir brauchen pädagogische Konzepte, um vor allem junge Leute zu erreichen und Antisemitismus möglichst präventiv zu bekämpfen“, sagt Ahmad Mansour, Psychologe und Autor des Buches „Generation Allah“. Mansour fordert eine innerislamische Debatte, die das "Ungeheuer, das unter uns entsteht“, zu bekämpfen.

Minderheiten nicht vernachlässigen


Es muss klar sein, dass Antisemitismus in Deutschland nicht hinnehmbar ist, egal welchen Hintergrund er hat, egal, woher er kommt. Als Eva Mendelsson am 22. Oktober zum Gedenken an die deportierten badischen Juden vor 75 Jahren vor deutschen Schülern redet, kämpft sie mit den Tränen. Sie, die als Kind das Nazi-Lager Gurs in den französischen Pyrenäen überlebt hat, nach England emigrierte und irgendwann zurück kam nach Deutschland, um mit jungen Menschen zu sprechen, soll nicht sagen müssen: „Der Antisemitismus ist wieder da, und die Kraft, die es mich kostet, ist größer als das, was ich tun kann“.

„Die Politik darf die Sorgen der Minderheiten nicht vernachlässigen“, sagt der Berliner Rechtsanwalt und Publizist Sergey Lagodinsky, der sich auf jüdischer Seite seit Jahren an der Diskussion um Integration von Migranten einsetzt. Er nennt das Thema „Integrationssorgen“. Von vielen werde dieses Thema als Angriff auf die Vielfalt empfunden, von jüdischer Seite sei das Thema wiederum mit Angst unterlegt, weil man verunsichert ist. „Die Rolle der Politik ist es nun, das Thema Flüchtlinge zwischen Angst, Realität und Humanität zu navigieren“, so Lagodinsky. Das wiederum fände derzeit kaum statt.

Wie vage in der Politik formuliert wird, sieht man an einer Rede des in jüdischen Themen engagierten Grünen-Abgeordneten Volker Beck, als er am 4. November mit dem Leo Baeck Preis ausgezeichnet wurde: "Zwar könnten syrische Flüchtlinge ein anerzogenes Feindbild von Israel und den Juden mitbringen, das in Bedrohung und Gewalt umschlagen könnte, doch sei die aktuelle Situation auch eine Chance auf Perspektivwechsel". Was er meint, ist nicht minder vage: Die Perspektive von Geflüchteten kann sich ändern, wenn sie dieses Land als Demokratie wahrnehmen können, zu dessen Werten auch die Solidarität mit Israel gehört.

Panikmache ist der falsche Weg. Und dennoch kann das Thema „arabisch-stämmiger Antisemitismus“ im Kontext mit der Flüchtlingsproblematik nicht ausgegrenzt werden. Es ist eine Illusion, dass alle, die in Deutschland Schutz und Zuflucht suchen, unser Wertesystem respektieren wollen.

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