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(picture alliance) Drei Großprojekte warten auf den US-Präsidenten

Nach der Wiederwahl - Die drei Baustellen des Barack Obama

Knapp zwei Wochen ist Barack Obama jetzt wiedergewählt, aber ausruhen kann er sich nicht. In seiner zweiten Amtszeit erwarten ihn national und international drei große Aufgaben

Erst wurde er überschätzt. Jetzt wird er oft unterschätzt. Das teilt er mit anderen, die sich an der Macht halten, Angela Merkel zum Beispiel. Doch während die Bundeskanzlerin stets den Eindruck erweckt, mehr zu halten, als sie verspricht, war es mit dem amerikanischen Präsidenten genau umgekehrt: Barack Obama hatte vor vier Jahren große Reden gehalten und noch größere Erwartungen erweckt. Doch bei seiner Wiederwahl, vier Jahre später, hatte sich beides eingependelt. Die Reden wurden kleiner, die Ansprüche reduziert. Diese Strategie ging auf.

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Dabei waren seine Leistungen nicht gering. Er hat eine Depression verhindert, einen Krieg beendet, Osama bin Laden erledigt, eine Gesundheitsreform eingeführt, die Arbeitslosigkeit unter acht Prozent gedrückt. Das kann sich sehen lassen. Doch wie geht’s nun weiter? Gut zwei Wochen nach Obamas klarer Bestätigung im Amt zeichnen sich seine Ambitionen auf drei großen Politikfeldern ab. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass er sie meistert. In diesem Fall würde Obamas Präsidentschaft als bedeutend in die Geschichtsbücher eingehen.

Da ist, erstens, der Haushalt. Amerikas Schulden sind hoch. Das jährliche Defizit beläuft sich auf mehr als eine Billion Dollar, die Gesamtverschuldung ist auf knapp 16,5 Billionen Dollar gestiegen, Amerikaner sind heute pro Kopf höher verschuldet als Griechen. Im Haushaltsstreit muss sich Obama bis zum Jahresende mit den oppositionellen Republikanern, die im Repräsentantenhaus erneut in der Mehrheit sind, geeinigt haben. Falls nicht, treten automatisch  Ausgabenkürzungen um fast 700 Milliarden Dollar sowie Steuererhöhungen in Kraft. Der Abgrund, in den beide Seiten schauen, heißt „fiscal cliff“ – den Begriff hat Notenbankchef Ben Bernanke einst geprägt. Eine Reihe von Finanzexperten glauben, dass die ohnehin lahmende US-Wirtschaft dann in eine Rezession taumelt und die Zahl der Arbeitslosen rapide nach oben schnellt.

Obamas Trumpf in dieser Lage sind, paradox gesagt, die Republikaner. Denn deren Zustand ist desolat. Sie haben nicht nur eine Wahl verloren, sondern wurden auf einigen Politikfeldern geradezu abgestraft. Dazu zählen ihr gesellschaftlich-kultureller Moralismus, ihre mangelnde Sensibilität für die Nöte von Einwanderern und ethnischen Minderheiten sowie ihr Rigorismus in Sachen Steuererhöhungen. Eine Mehrheit der Amerikaner ist inzwischen dafür, dass Haushalte mit einem Jahreseinkommen von mehr als 250.000 Dollar geringfügig mehr Steuern zahlen, um allzu drastische Ausgabenkürzungen zu verhindern.

Um diesen Konflikt zu lösen und die Konservativen zur Einsicht bringen, dass sich allein durch Kürzungen und das Stopfen von Steuerlöchern der Haushalt nicht sanieren lässt, muss sich Obama direkt ans Volk wenden. Dass er das kann, hat er zuletzt im Wahlkampf bewiesen. Das einzige Druckmittel, das der Präsident in der Auseinandersetzung mit den Republikanern hat – von denen viele auf Drängen der Tea Party einen Eid darauf abgelegt haben, niemals Steuererhöhungen zuzustimmen -, sind die Wähler. Zwischen denen und den Fiskalkonservativen in der eigenen Partei wird sich jeder republikanische Abgeordnete entscheiden müssen. Soll die Partei, wenn es um das Wohl des ganzen Landes geht, endgültig zum Njet-Block werden? Dann würde sie der mutwilligen Blockade bezichtigt, und es würden automatisch die Steuern für fast alle erhöht, also auch für die Mittelschicht, was doch eigentlich verhindert werden sollte.

In der Defensive sind die Republikaner auch beim zweiten Großprojekt Obamas – der Reform des Einwanderungsrechts. Rund elf Millionen illegale Immigranten leben in Amerika, zum Teil seit vielen Jahren. Die meisten von ihnen stammen aus Lateinamerika. Die Latinos haben überwiegend für Obama gestimmt, ebenso wie die Einwanderer aus asiatischen Ländern. Ihre Zahlen steigen stetig. In absehbarer Zeit werden die Weißen in Amerika nicht mehr in der Mehrheit sein. Fast jeder Latino kennt einen „Illegalen“, weiß um dessen Nöte, sich ohne gültige Papiere und in ständiger Angst davor, entdeckt und abgeschoben zu werden, über Wasser zu halten.

Auf der folgenden Seite: Das Programm für die zweite Amtszeit

Für die Republikaner galt bis zur Wahl: Der Weg aus der Illegalität führt nicht in die Legalität, sondern raus aus dem Land. Diese Haltung hat sich gerächt. Doch noch ist der Kampf um das politische Herz von Latinos und Asiaten nicht entschieden. George W. Bush etwa, der Anteil nahm am Schicksal der Latinos und offen war für eine Liberalisierung des Einwanderungsrechts, hatte durchaus Sympathien bei vielen Latinos. Auch die Katholische Kirche unterstützt entsprechende Reformvorhaben.

Sollten die Republikaner auch auf diesem Gebiet bei ihrem prinzipiellen Njet bleiben, riskieren sie, sich endgültig von den Latinos und Asiaten zu entfremden. Damit würden sie ihre Erfolgsaussichten bei der Wahl in vier Jahren drastisch reduzieren. Obama muss die Gelegenheit ergreifen und jetzt offensiv in diese zweite großgesellschaftliche Auseinandersetzung gehen. Von Ronald Reagan stammt der Rat: „Wenn es Dir nicht gelingt, ihnen das Licht zu zeigen, lass sie die Hitze spüren.“

Die dritte und bei weitem schwierigste Herausforderung heißt Iran, genauer gesagt: das iranische Atomprogramm. Obama hat mehrfach versprochen, eine atomare Bewaffnung Teherans unter keinen Umständen zu dulden. Damit ist er im Wort. Doch die Zeit für eine diplomatische Einigung läuft ab. Offenbar sucht Washington derzeit intensiv den direkten Kontakt zu den Mullahs. Obama wäre wohl bereit, einen hohen Preis für deren überprüfbaren Verzicht auf eine weitere Urananreicherung zu zahlen. Diplomatische Beziehungen, Sicherheitsgarantien, Aufhebung der Sanktionen: Nichts wird ausgeschlossen.

Die zum Teil chaotischen Entwicklungen in der arabisch-muslimischen Welt seit Beginn des Arabischen Frühlings zementieren Obamas Kurs. Sollte der Iran nukleare Kapazitäten exportieren können, etwa an die Hisbollah oder die Hamas, würde sich die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes atomarer Waffen in der Region drastisch erhöhen. Je turbulenter und kriegerischer sich der Nahe Osten entwickelt, desto unabdingbarer ist es aus Sicht des Weißen Hauses, den Iran von seinem Atomprogramm abzubringen.

Ein harter Kurs Washingtons, der durchaus die Drohung mit dem Einsatz von Militär einschließt, wird durch zwei weitere Faktoren unterstützt. Zum einen muss Obama keine Abwahl aus dem Amt mehr fürchten. Er ist also relativ frei in der Wahl der Mittel und braucht keine Rücksicht auf möglicherweise steigende Benzinpreise zu nehmen. Zum anderen wird Amerika zunehmend unabhängig vom arabischen Öl. Schon in acht Jahren werden die USA mehr Öl fördern als Saudi-Arabien, Russland oder der Irak. Die eigene Erpressbarkeit durch ölexportierende Länder nimmt ab. Um 2030 herum wird sich das Land komplett selbst mit Energie versorgen können.

Haushalt, Einwanderer, Iran: Diese drei Themen markieren den Fahrplan Obamas in seiner zweiten Amtszeit. Ein Nebeneffekt könnte die Domestizierung der ideologisch überhitzten Opposition sein. Wenn der Präsident erfolgreich ist, könnte sich der so oft beschworene Niedergang Amerikas als dessen Wiedergeburt entpuppen.

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