Hugo von Hofmannsthal - Terzinen über Vergänglichkeit

Die Terzinen über Vergänglichkeit von Hugo von Hofmannsthal wurden ausgewählt und kommentiert von Roger Willemsen
 

Noch spür’ ich ihren Atem auf den Wangen:
Wie kann das sein, daß diese nahen Tage
Fort sind, für immer fort, und ganz vergangen?
Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt,
Und viel zu grauenvoll, als daß man klage:
Daß alles gleitet und vorüberrinnt.
Und daß mein eignes Ich, durch nichts gehemmt,
Herüberglitt aus einem kleinen Kind
Mir wie ein Hund unheimlich stumm und fremd.
Dann: daß ich auch vor hundert Jahren war
Und meine Ahnen, die im Totenhemd,
Mit mir verwandt sind wie mein eignes Haar,
So eins mit mir als wie mein eignes Haar.

Ein Zwanzigjähriger schreibt über Vergänglichkeit. Er hat also ein implizites Thema – das waidwunde, weltschmerzliche Schmachten des unreifen Jungen – er hat ein explizites – die Hinfälligkeit alles Lebens und Fühlens – und schließlich instrumentiert er ein zeittypisches Thema, indem er den Bogen schlägt von der barocken Vanitas zur Verfalls-Schwärmerei des Fin de siècle. Von drei Lesarten beherrscht der Jüngling eine, zwei beherrschen ihn. Aber er ist klug, und seine Gedankenlyrik entwindet die Idee dem Schwulst.

1894, der Dichter ist eben 20 und hat «Der Tor und der Tod» gerade geschrieben, entsteht seine erste Terzine über Vergänglichkeit unter dem Eindruck des Todes von Wilhelmine von Wertheimstein, der 74-jährigen Vertrauten. Den Atem der Toten rettet er in den ersten Vers und schwingt sich auf ihm rückwärts durch die Zeit, rückwärts ins eigne Kinder-Ich, zurück in ein Lebewesen namens Hund, der ebenfalls Ich ist, weil er kreatürlich ist, so wie das Tote und längst Gewesene Ich ist, weil es war, so wie ich gewesen sein werde, Wesen, Horn, Knochen, Haar.

So ist der Atem das Medium, in dem das Leben selbst in seiner Zeitlichkeit erscheint, und diese Vergänglichkeit ist es, diese Flucht von Metamorphosen, die den Verlust überbrückt. Was tot ist, lebt und atmet im Nachgeborenen. Die Terzinen, geschrieben in der Situation des Verlusts, stiften Trost durch die Wendung, mit der sie in der Abwesenheit erst recht eine poetische Anwesenheit begründen. Das lyrische Ich rettet sich selbst im Verlust, und das nicht zuletzt, indem es am Ende auf dem Boden der Vergänglichkeit auf das Unvergängliche stößt, das ebenso kreatürlich wie poetisch ist. So tritt der junge Hofmannsthal an die Seite Hölderlins, der sein letztes vollendetes Gedicht beschloss mit dem Vers: «Was bleibet aber stiften die Dichter.»

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