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Tennis - Wer cool ist, schaut nicht Fußball, sondern Wimbledon

Stilkolumne: Die Deutschen haben ein seltsames Faible für alles Grobschlächtige. Vor lauter Fußball vergessen sie einen modernen Sport für Individualisten: Tennis. Am Montag beginnen die Wimbledon-Meisterschaften in London

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Tennis ist in Deutschland ja etwas aus der Mode gekommen. Das ist bedauerlich, zeigt jedoch zwei Dinge: der Deutsche hat einen leichten Hang zum Opportunismus, und im Grunde ist Tennis den Deutschen immer etwas fremd geblieben.

Woran das liegt? Vielleicht daran, dass Tennis ein Individualsport ist. Das widerstrebt der deutschen Sehnsucht nach Kollektivromantik. Hier liebt man Sportarten, bei denen „die Mannschaft der Star ist“ und „der Teamgeist zählt“. Und „elf Freunde“ muss man auch noch gleich sein.

Zudem hat man in Deutschland ein seltsames Faible für alles Lautstarke, Derbe und Grobschlächtige. Das hält man für volkstümlich und bodenständig und macht es dem Tennis nicht eben leichter. Das ist zwar seit Jahrzehnten ein durchkommerzialisierter Breitensport, im Vergleich zum Fußball kommt es jedoch geradezu distinguiert daher. Zumal in Wimbledon.

So richtig populär war Tennis in Deutschland eigentlich nur in den 80er Jahren, als Stefanie Graf Titel um Titel hortete und Boris Becker sich atemberaubende Tennisschlachten mit John McEnroe lieferte. Da konnte es schon einmal vorkommen, dass die Straßen leergefegt waren und sich Menschentrauben vor öffentlichen Fernsehern bildeten. Überall im Land schossen Tennisanlagen aus dem Boden, und Tennisvereine hatten jahrelange Wartelisten.

Tennis ist eine der ältesten Sportarten


Aus und vorbei. Seitdem das deutsche Turniertennis international im Mittelmaß dahindümpelt, hat das Interesse des Publikums deutlich nachgelassen. Nach den Zahlen des Deutschen Tennisbundes wurden in den letzten 20 Jahren über 4.000 Freiluft- und – je nach Zählung – bis zu 400 Hallenplätze geschlossen. Die Zahl der Vereine nimmt kontinuierlich ab. Und beinahe ein Viertel ihrer 1.400.000 Mitglieder ist älter als 60. Wartelisten? Nur noch bei besonders prestigeträchtigen Clubs.

Schade eigentlich. Denn Tennis ist ein schöner Sport, und einer der ältesten. Als „Jeau de Paume“ fand es im Spätmittelalter europaweite Verbreitung und wurde, wie der Name schon sagt, ohne Schläger, sondern eben mit der Handfläche gespielt.

Irgendwann im 16. Jahrhundert muss dann der Tennisschläger erfunden worden sein. Zumindest lässt Shakespeare seinen Heinrich V. (1599) an prominenter Stelle (1. Akt, 2. Szene) sagen: „When we have match’d our rackets to these balls, we will, in France, by God’s grace, play a set shall strike his father’s crown into the hazard.“

Das moderne Tennis verdanken wir der Erfindung der Vulkanisation durch Charles Goodyear. Mit Bällen aus Kautschuk war es möglich, Tennis auf feuchtem Rasen zu spielen, ohne dass sich diese in nasse Klumpen verwandelten. Für das Regelwerk sorgte dann ein britischer Offizier, Major Walter Clopton Wingfield.

Anders als Fußball war Tennis immer ein Sport der Mode und des Modebewusstseins – sowohl auf als auch neben dem Platz. Das hatte zunächst soziale Gründe. Tennis war ein Oberschichtsport. Vor allem aber war Tennis Anfang des 20. Jahrhunderts das, was wir heute eine Trendsportart nennen. Tennis war cool, Tennis war schick, kurz: Tennis hatte die Aura der Modernität.

Und das aus gutem Grund. Das zeigt sich schon daran, dass wir dem Tennis eine Kulturrevolution verdanken: die Erfindung des weiblichen Sportstars. Dessen Auftreten veränderte das Frauenbild von Grund auf. Die moderne junge Frau war nunmehr schlank, sportlich, selbstbewusst und emanzipiert. Und sie trug dazu die passende Mode.

Die beiden Superstars der 20er Jahre hießen Suzanne Lenglen und Helen Wills Moody, und sie revolutionierten die Sportmode: die bis dahin üblichen Petticoats verschwanden, die Röcke wurden auf Knielänge verkürzt, die Blusen ärmellos, die Stoffe weicher, die Schnitte sportiver.

Wie sehr Tennis als Ausdruck eines progressiven Lebensgefühls wahrgenommen wurde, zeigt auch der Erfolg des Polohemdes in den 30er Jahren. Wie kein anderes Kleidungsstück symbolisierte es Lässigkeit und Unkonventionalität und wurde so zu einer Ikone der Moderne.

Anders als das tendenziell archaische und konservative Fußballspiel war Tennis immer Avantgarde. Es revolutionierte Geschlechterrollen, schuf die Freizeitmode, und symbolisierte einen sportlichen, modernen, unabhängigen Lebensstil. Zudem brachte es ein ganz neues Kulturphänomen hervor: den sich modisch inszenierenden Sportler, den Sportstar als Trendsetter.

Historisch betrachtet: Tennis boomte immer dann, wenn sich eine Gesellschaft in tiefgreifenden Modernisierungsprozessen befand. Das war in Europa in den 20er Jahren so und in den zwei Jahrzehnten nach 68. Entsprechendes lässt sich derzeit in Osteuropa und Asien beobachten.

Wimbledon mit dem perfekten Drink genießen


Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Tennisflaute, die Deutschland seit Jahren erfasst hat, nicht nur das Ergebnis mangelnden internationalen Erfolges deutscher Tennisspieler ist. Vielleicht ist sie einfach Ausdruck eines Landes, das mit der Moderne nicht mehr zu Recht kommt.

Tennis blüht immer dort, wo Dynamik, wo soziale Umwälzungen und gesellschaftliche Veränderungen optimistisch bejaht werden, wo man Spaß hat an Neuerungen und an den Risiken, die mit ihnen einhergehen. In Deutschland jedoch regiert das Beharrungsvermögen, das Bedürfnis, dass alles so bleibt, wie es ist (auch wenn es nicht so bleiben kann) und die Sehnsucht, den Status Quo zu zementieren. Schlechte Voraussetzungen für Tennis. Da passt der gute alte Fußball mit seinen konservativen Idealen und seiner Fritz-Walter-Romantik schon wesentlich besser.

Dennoch und gerade deswegen sollte man sich aber auf Wimbledon freuen – insbesondere in diesen fußballkontaminierten Tagen: das berühmte Londoner Tennis-Turnier beginnt am Montag, den 23. Juni, und läuft bis zum 6. Juli. Und das Schöne ist, dass das Drumherum beim Tennis ungleich spaßiger ist als Dosenbier und Chips. Es muss ja nicht gleich das Schüsselchen mit Erdbeeren und Sahne sein, das in Wimbledon traditionell gereicht wird. Der Champagner, den man dazu trinkt, ist aber auf jeden Fall eine adäquate Begleitung für ein spannendes Match. Oder noch authentischer: ein Pimm’s Cocktail. Einfach 6 Zentiliter Pimm’s No. 1 in einen hohen Tumbler geben. Gurkenscheiben, Erdbeeren, Orangenstückchen und Minze dazu, mit Ginger Ale auffüllen, Eis hinein – fertig. Game, Set and Match.

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