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Protestkultur - Wenn Heino auf Rammstein trifft

Den Abendlandrettern geht es auch um den Schutz unserer nationalen Kultur. Aber was damit gemeint ist, bleibt rätselhaft 

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Ihren Beitrag zur Energiewende haben die Dresdner Pegida-Leute und deren lokale Ableger von Köln bis Berlin bereits geleistet: Wenn demnächst bei jedem Abendspaziergang der sich patriotisch wähnenden Abendlandretter aus Protest die Lichter abgeschaltet werden, gehen sie womöglich als erste CO2-neutrale Massenbewegung in die Geschichte ein. Auch das wäre ein wertvoller Beitrag zur allenthalben als schützenswert ausgerufenen Kultur – in diesem Fall eben zur Protestkultur.

„Kultur“ ist ja die zentrale Bezugsgröße in diesem seltsam amorphen Kulturkampf, der sich derzeit auf den Straßen und Plätzen einiger deutscher Städte abspielt. Der Islam dient da lediglich als Chiffre für das „Fremde“ an sich, als eine Art Synonym für die aggressive Herausforderung nicht näher spezifizierter westlicher Werte, Sitten und Gebräuche. Die instinktive Abwehr einer Vereinnahmung und Verformung der eigenen „Kultur“ ist freilich kein sonderlich neues Phänomen, sondern ungefähr so alt wie die ersten Höhlenmalereien.

Stellt sich nur die Frage, was mit dem strapazierten Kulturbegriff eigentlich gemeint ist. Vor einiger Zeit hat sich zum Beispiel der in besser gebildeten Kreisen schlecht angesehene Sänger Heino erdreistet, Lieder der Band Rammstein zu interpretieren – worauf die Rammstein-Mitglieder einigermaßen empört reagierten. Was sogar verständlich ist: Hatte Heino doch die brachiale Rammstein-Kultur auf schunkeltaugliches Schlagerniveau verfremdet. Sein Album hat sich trotzdem oder gerade deshalb bestens verkauft.

Derselbe Heino steht heute in der Bild-Zeitung als einer von 50 mehr oder minder Prominenten, die sich dem Aufruf gegen die Pegida-Bewegung anschließen – viele von ihnen aus dem Kulturbereich (Monika Grütters, Hella von Sinnen, Dieter Hallervorden etc.; Helene Fischer fehlt allerdings). Heino gibt dort zu Protokoll, eine Ablehnung von Pegida sei für ihn eine „Frage des Anstands“: Die Bundesrepublik sei ein freies und fortschrittliches Land, das „politisch Verfolgten aus anderen Ländern immer eine Heimat geben“ müsse. Diese Aussage ehrt ihn, wenngleich sie das Pegida-Phänomen auf die Flüchtlingsfrage reduziert.

Zwischen Swingerdienst und Gottesdienst
 

„Pegida ist für die Erhaltung und den Schutz unserer christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur!“ heißt es im entsprechenden Positionspapier. Da stellt sich natürlich die Frage, ob Heino, der in der Bild-Zeitung als „Volkssänger“ firmiert, nicht irgendwie gegen die eigenen Interessen handelt. Denn als Interpret zünftiger Volks-und Wanderlieder ist er ja gewissermaßen eine Ikone heimatlicher Kultur im engeren Sinne (auch wenn die jüdische Komponente in seinem Oevre etwas unterrepräsentiert erscheint). Aber die Rammstein-Episode zeigt eben, dass Heino offenbar einem deutlich weiter gefassten Kulturbegriff anhängt, als viele seiner Kritiker ihm zugetraut hätten; er hat sich durch die Verwurstung von Metal zu Mainstream sogar selbst als Meister der musikalischen Inkulturation erwiesen.

Kurz gesagt: Die Forderung nach „Stärkung bzw. Wiedererlangung unserer nationalen Kultur“ (so heißt es im Manifest der Leipziger Pegida-Filiale) ist ein Rohrkrepierer. Denn was damit gemeint sein soll, wissen weder ihre Urheber noch die in diesen Dingen sicherlich besonders beschlagenen Herren Gauland und Adam von der AfD. Sie können es auch gar nicht, weil jeder seine eigene Vorstellung davon hat, was unter „nationale Kultur“ zu subsumieren ist. Da reicht die Palette bekanntlich vom Swingerclub bis zum sonntäglichen Gottesdienstbesuch.

Der Autor und Merkur-Herausgeber Christian Demand hat den Eiertanz wegen der vermeintlichen Bedrohung „unserer Kultur“ in seinem unlängst erschienenen Band „Die Invasion der Barbaren“ sehr schön auf den Punkt gebracht: „Man kann sich über Kulturfundamentalismus lustig machen, aber er bleibt eine ernste Sache, denn im Namen der Kultur werden Unfehlbarkeitsatteste ausgestellt, und man tut so, als werde der einzelne von seiner Kultur wie von einem gütigen Paraorganismus umschlossen; als werde ihm per se großes Unrecht angetan, wenn seine ,typische Lebensart‘ nicht unter besonderen Schutz gestellt wird; als wäre die perfekte Welt ein globales Freilichtmuseum für bedrohte Kulturen, in dem die einzelnen Arten von jedem Legitimitäts- und Konkurrenzdruck befreit sind, weil, analog zum biologischen Artenschutz, ihre Existenz allein jede einzelne Art bereits hinreichend legitimiert.“ Und das kann sicherlich nicht im Interesse dieses Landes sein.

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