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Instrumentenkunde - Ob die Geige vom Teufel erfunden wurde?

Unser Kolumnist spürt seinem Instrument nach - und gelangt vom Himmel direkt in die Hölle

Autoreninfo

ist Violinist und für seine Einspielungen von Musik des 18. und 19. Jahrhunderts berühmt. Zuletzt erschienen sein Buch „ Toi, Toi, Toi - Pannen & Katastrophen in der Musik“ und die CD „The Romantic Violinist“.

Foto: Harald Hoffmann / Deutsche Grammophon

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Geige oder Fidel? Ich weiß nicht mehr, wie oft ich gefragt wurde, was der Unterschied sei. Für mich hat es irgendwie mit Himmel und Hölle zu tun. Dieses uralte Gegensatzpaar menschlicher Träume und Ängste kann sich manchmal auch auf die Musikwelt beziehen. Und natürlich auf die Geige, ein Instrument, um das sich viele Legenden ranken: Die einen sagen, niemand habe sie so gut spielen können wie der Teufel in der Hölle, andere schreiben ihr märchenhafte Zauberkräfte zu, die den Menschen glauben lassen, dass der „Himmel voller Geigen hängt“, wie es in der Operette heißt. Für jede singende Geige gibt es eine tanzende Fidel. Und in der Tat, seit Jahrhunderten haftet der Fidel ein etwas schäbiger oder gar gefährlicher Ruf an: ein Instrument der „unteren Klassen“, das verführt und becirct. In Jonathan Swifts „Gullivers Reisen“ etwa freut sich der Protagonist: „Ich war im Körper vollkommen gesund, und meine Seele genoss größte Heiterkeit ... keine Lords, Fiedler, Richter und Tanzmeister.“

Dabei weiß niemand wirklich, wer die Geige erfunden hat. In Europa kann man den Werdegang der Geige bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen, wo sie tatsächlich Fidel hieß; sehr wahrscheinlich liegt ihr Ursprung jedoch in Asien. Es hat nicht weniger als 450 Jahre gedauert, ehe sie ihre heutige Form angenommen hat. Die Erfindung von Instrumenten wie des Rebab, welches durch das Streichen seiner Saiten gespielt wird, kann man mit dem Auftauchen des Bogens, der von den Arabern oder von nordischen Stämmen aus Asien eingeführt wurde, in Verbindung bringen. Ob die Entwicklung zur Fidel und dann weiter zur Geige allerdings in Europa, dem Nahen Osten, Indien oder Zentralafrika stattfand, bleibt ein Rätsel. Die Fidel wurde vor der Brust, am Knie, im Schoß oder an der Schulter gehalten – im Gegensatz zur Geige, die unters Kinn gehört.

Die frühesten Formen von Saiteninstrumenten sind das Ravanastron (es soll einem indischen Herrscher im Jahre 5000 v. Chr. gehört haben) und die Sarangi, Letztere der Geige am ähnlichsten, gedrungen und kastenförmig, mit einer verwirrenden Anzahl von bis zu 40 Metallsaiten. Dank ihrer Handlichkeit bedeutete dies für den Vorreiter der Geige auch Mobilität. Es wird vermutet, dass die Geige zusammen mit der „Roma“-Wanderung um das Jahr 300 v. Chr. in Nordwestindien ihre Reise begann; von dort ging sie um circa 100 n. Chr. nach Persien und weiter nach Europa. Das Auftauchen der Roma im Europa des 14. Jahrhunderts (vor allem in Ungarn, wo jeder ungarische Edelmann einen Roma als Geiger in seinem Gefolge hatte) scheint ein Grund zu sein, weshalb die Italiener und insbesondere Andrea Amati, der Quasi-Erfinder der Geige, auf das Instrument aufmerksam wurden.

Ob die Geige vom Teufel erfunden wurde? Viele Legenden besagen jedenfalls das Gegenteil, zum Beispiel ein Märchen der Sinti und Roma: Darin wird von einem armen Bauernburschen erzählt, der sich in eine schöne Prinzessin verliebte, sie aber nur haben durfte, wenn er dem König etwas bringen würde, das es noch nie gegeben hatte. Die Feen-Königin Matuya wusste Rat, gab ihm einen Stab und ein hölzernes Kästchen mit einem Loch in der Mitte und bespannte beides mit langen Haaren von ihrem Kopf. Dann ließ sie erst ihr silberhelles Lachen in das Loch fallen und danach ein paar Tränen. Und als der Junge mit dem Stab über das Kästchen fuhr, klang es so schön und lieblich wie ihr Lachen und so wehmütig und traurig wie ihr Weinen. Der König war begeistert und gab dem Burschen seine Tochter zur Frau.

Wenn aber von Hölle die Rede ist, darf er natürlich auch nicht fehlen: Niccolò Paganini, der „Teufelsgeiger“, der vor 230 Jahren in Genua geboren wurde. Wir wissen nicht, wie er gespielt hat, doch es muss höllisch aufregend gewesen sein. Die Leute gerieten jedenfalls überall, wo er auftrat, in Ekstase, und viele meinten, dass er beim Teufel höchstpersönlich in die Lehre gegangen sei. Paganini selbst pflegte dieses Image durch sein Outfit: „Wenn er, ganz in Schwarz, auf die Bühne kam“ – so hat es Heinrich Heine beschrieben – „sah er aus, als sei er der Unterwelt entstiegen.“

Umso skurriler ist es, dass Anfang des 19. Jahrhunderts die Geige offiziell in Indien „eingeführt“ wurde, als der Kapellmeister der britischen Armee das Instrument Baluswami Dikshitar in Fort St. George in Madras übergab. Die Folge: Es gibt kein anderes westliches Instrument, das sich in der indischen Musik so gut integriert hat wie die Geige, sodass ein Konzert vokaler Musik ohne Geigenbegleitung in Indien kaum mehr vorstellbar wäre.
So hat die Geige – pardon, die Fidel – nach knapp 2000 Jahren zurück zu ihren Wurzeln gefunden. 

Daniel Hope ist Violinist von Weltrang. Sein Memoirenband „Familien­stücke“ war ein Bestseller. Zuletzt erschienen sein Buch „Toi, toi, toi! – Pannen und Katastrophen in der Musik“ (Rowohlt) und die CD „Recomposed by Max Richter – Vivaldi, The four Seasons“ (Deutsche Grammophon). Er lebt in Wien

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