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() Das Corbusier-Haus in Berlin: Hier leben 1300 Menschen.
Le Corbusier - ein Nazi?

Er war Möbeldesigner, Maler und Bildhauer, vor allem aber der einflussreichste Architekt des 20. Jahrhunderts. Le Corbusier gilt als Ikone der Moderne. Was kaum jemand weiß: Der architektonische Pionier war ein glühender Nazi-Anhänger und Kollaborateur

Ich dachte, eine Fahrt nach Vichy würde mir helfen, alles besser zu verstehen. Was hatte sich dort Anfang der vierziger Jahre abgespielt, als diese Unterpräfektur in der Auvergne die Hauptstadt des "Französischen Staates" war? Warum hatte Le Corbusier sein Büro und seinen Wohnsitz dorthin verlegt? 2002 erschien ein Band mit Briefen Le Corbusiers. Zu meiner Verwunderung erfuhr ich, dass mein Lieblingsarchitekt in Frankreich mit den Nazis kollaboriert hatte. Während des Zweiten Weltkriegs, zur Zeit der deutschen Besatzung, ließ er sich mit seiner Agentur in Vichy nieder, um Marschall Pétain, dem Oberhaupt eines Hitler-freundlichen französischen Staates, aus nächster Nähe zu dienen. In zahlreichen Briefen hat Le Corbusier seine Bewunderung für das neue Regime zum Ausdruck gebracht und den Widerstand derer, die Frankreich befreien wollten, kritisiert. Als ich an der ETH Lausanne - damals EPUL - studierte, ließen die Professoren uns jedes einzelne Le-Corbusier-Projekt bewundern. Wir verbrachten unsere Ferien mit der Besichtigung seiner Bauten in Marseille, Ronchamp, Passy, Saint Etienne, am Ufer des Genfer Sees und in La Chaux-de-Fonds. All unsere Zeichnungen, selbst die unbeholfensten, nahmen Bezug auf die Werke des Meisters. Wir hängten seine Skizzen auf, zitierten seine Aussprüche. Als ich dann eine Architektin heiratete, schenkte man uns zur Hochzeit zwei Sessel von "Le Corbu", die ich noch heute in Ehren halte. Ich erzählte meinen einstigen Kollegen, was ich in der Lebensgeschichte unseres großen Meisters entdeckt hatte, doch sie baten mich, ihnen ihre Illusionen nicht zu rauben. Einer von ihnen warf mir vor, im Dreck zu wühlen, ein anderer sagte mir klipp und klar, er glaube mir nicht. Eines Tages geriet ich in der Rue de Seine in Paris zufällig in eine Galerie, die Gemälde von Le Corbusier ausstellte. Ich gab dem Galeristen zu bedenken, die Bilder aus dem Jahr 1942 seien vermutlich in Vichy entstanden. Er bat mich, es nicht zu laut zu sagen. Er wusste Bescheid, bedauerte aber diese Tatsache, die einen Wertverlust seiner Sammlungen hätte bedeuten können, und fügte sogar hinzu: "Verstehen Sie mich bitte richtig, ich weiß, es ist paradox, aber es steht zu viel Geld auf dem Spiel. Wenn man das alles zu oft wiederholt, könnte Le Corbusiers Ansehen irreparablen Schaden nehmen. Dann sind alle, die für seine Bilder oder Wohnungen Höchstpreise bezahlt haben, ruiniert." Ich habe es mir hinter die Ohren geschrieben. Denn es ist ja nicht meine Aufgabe, den Marktwert eines Werkes zu beeinflussen. Aber ich bin nun mal so: Den Mund kann ich zwar halten, die Feder aber nicht. Eines Tages ließ ich in einen Artikel für eine Schweizer Wochenzeitung die Bemerkung einfließen, auch "Le Corbu" habe, als Frankreich von den Deutschen besetzt gewesen sei… Hätte ich mal lieber geschwiegen. Denn nun begann der Ärger. Le Corbusiers Freunde meldeten sich brieflich und telefonisch bei mir: Ich sei ein Nestbeschmutzer. Ich beschloss, keine Moralkampagne gegen meine Jugendliebe zu starten. Ich beschränkte mich darauf, meine persönliche Neugierde zu befriedigen. Eines schönen Frühlingstages mache ich mich auf den Weg nach Vichy. Ich beginne mit dem Hotel Carlton, heute ein privates Wohnhaus. Die Concierge findet mich ein bisschen zu neugierig und fragt, wie sie mir behilflich sein könne. Ihr zufolge hatten im Carlton neben dem großen Architekten die berühmtesten Würdenträger des "Französischen Staates" ihre Büros. Ich habe gehofft, Le Corbusier hätte in Vichy in einigem Abstand zu den Machthabern gearbeitet, doch muss ich feststellen, dass er wohlbetucht im Kreise der Kollaborateure wirkte. Seiner Mutter schreibt Le Corbusier in triumphierendem Ton. Von nun an sei er derjenige, der dem Marschall seine guten Ideen zu moderner Stadtplanung einflüstern werde. Le Corbusier kam im September 1940 hierher, um seine Ergebenheit zu bekunden. Aus seinen Briefen spricht ein unerträglicher Opportunismus und Zynismus. Faszination für die starke Macht. Für einen Augenblick der Verwirrung könnte ich Verständnis aufbringen. Wie etwa im Falle Gides, der im Juni 1940 in sein Tagebuch schrieb, Pétains Ansprache habe ihn ergriffen. Doch der anhaltende, geduldige Opportunismus des 53-jährigen Le Corbusier, das ist etwas anderes. Während sich sein Geschäftspartner und Vetter Pierre Jeanneret in Grenoble der Résistance anschließt, verbringt er in Vichy fast zwei Jahre damit, seine Tätigkeiten zu organisieren und vor Ort sein Beziehungsnetz aufzubauen. Und erst nachdem er sich lange eingeschmeichelt hat, kehrt er nach Paris in sein Atelier an der Rue de Sèvres zurück. Nicht etwa, um sich von seiner Zusammenarbeit mit den Nazis zu distanzieren, sondern um im Wald von Fontainebleau Barackenlager zu errichten, deren Gebrauchsanweisungen die Vichy-Regierung herausgegeben hat. Denn die muss dringend das Problem der zwangsumgesiedelten Bevölkerungsgruppen lösen. Fürwahr ein großes Projekt. Am 28.März 1942 schreibt Le Corbusier: "Liebste Maman… Ich habe Abschied genommen von Vichy, von den Leuten, die mich unterstützt und meine leidenschaftliche Beharrlichkeit geschätzt haben. Ein Abschied, geprägt von tröstender Freundlichkeit und Zuversicht… Zum Schluss: All diese Anstrengungen werden eine Organisation mittragen, deren Mitglieder ich in entschlossener Weise zusammenführen darf, um so ein wahrhaft aktives Umfeld zu schaffen." Kurzfristiges Verleugnen, vorübergehende Mutlosigkeit, so etwas könnte man noch angehen lassen. Doch mit Le Corbusiers Versessenheit kann ich mich nicht abfinden. Er war kein gelegentlicher "Collabo", er sehnte die neue Ordnung herbei: "Hitler kann sein Leben mit einem großartigen Werk krönen: der Neugestaltung Europas." Und all dies vor dem Hintergrund eines alten Antisemitismus. Im Zusammenhang mit La Chaux-de-Fonds schreibt Le Corbusier: "Der kleine Jude wird sicher eines Tages bezwungen werden. Ich sage ,kleiner Jude', denn hier kommandieren sie herum, schlagen Krach und plustern sich auf, und ihre Väter haben praktisch die gesamte ortsansässige Industrie geschluckt…" Ich wünschte mir, Le Corbusier, den ich so bewunderte, hätte nach der Nazizeit Gewissensbisse verspürt. Ich möchte seine Werke weiter ohne Hintergedanken bewundern können. Besonders den großen Wandbehang, unter dem einer meiner Berner Freunde arbeitet, im Übrigen als Staatssekretär. Es wäre schön, wenn das Stück uns weiterhin gefiele. Dieser Freund meinte: "Fragt sich nur, ob Le Corbu bloß naiv und hochmütig war oder ein Schwein. Ehrlich gesagt, glaube ich das nicht." Ich erinnere mich an das Denkmal für die Kriegsopfer, das er neben der Kapelle von Ronchamp errichtet hat. Wie konnte er dort bloß schreiben, die auf jenem Hügel gefallenen Résistance-Kämpfer seien Franzosen gewesen, "die für den Frieden starben"? Wie konnte er die Worte derart verdrehen? Und das Andenken an jene, die das Regime bekämpft haben, dessen Handlanger er selbst gewesen ist? Zunächst hatte ich geglaubt, "Le Corbu" verkörpere unsere helvetische Schwierigkeit, zu unserer Haltung im Zweiten Weltkrieg zu stehen. Doch wenn das Regime vier Jahre lang an der Macht bleiben konnte, lag das gewiss nicht nur an den in Vichy lebenden Schweizern. Der gegenwärtige Bürgermeister der Stadt, ein ehemaliger Linker, ist angeblich zur Rechtsextremen übergewechselt. Immer stärker habe ich den Eindruck, diese Stadt bringt eine merkwürdige Stimmung, seltsame Schwingungen hervor. Aber das ist natürlich nur Einbildung. Es wäre nun an der Zeit, ein Hotel zu suchen, auf einer Restaurant-Terrasse zu Abend zu essen, diesen schönen Tag auf angenehme Weise ausklingen zu lassen. Dann schlafen zu gehen, um morgen erfrischt durch die Stadt und ihre Parkanlagen zu laufen. Aber genau das kann ich mir nicht mehr vorstellen. So als ahnte ich bereits, dass meine Puste nicht reichen wird, um den Sonnenaufgang am Allier zu bewundern. Lieber ändere ich meine Pläne. Ich gehe ein paar Schritte und beschließe, vor Einbruch der Dunkelheit wieder abzureisen. Ich halte es nicht mehr aus, ich flüchte aus Vichy. Übersetzung: Maria Hoffmann-Dartevelle

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