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Konservatives Familienmodell - Vergesst Vater, Mutter, Kind

Kolumne: Stadt, Land, Flucht. Alle warten auf den Richtigen. Jenen Partner, mit dem sie für immer zusammen bleiben. Vielleicht schalten wir mal einen Gang runter, machen uns locker und lassen das Leben kommen

Autoreninfo

Marie Amrhein ist freie Journalistin und lebt mit Töchtern und Mann in der Lüneburger Heide.

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Kinder sind der Grund, um Ehen zu schließen. Und nicht geschlossene Ehen sind der Grund, keine Kinder zu bekommen. Wieso haben wir bloß noch immer dieses romantische Bild der perfekten Beziehung im Kopf, wenn es darum geht, loszulegen mit dem Nachwuchs?

Diese sogenannte normale Familie ist sowieso ein Auslaufmodell. Fast jede dritte Familie hat sich mittlerweile verabschiedet vom Muster „Vater, Mutter, Kind“. Für den Mikrozensus von 2013 wurden 20 Prozent Alleinerziehender und zehn Prozent nichtehelicher oder gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ermittelt. Das Rad dreht sich weiter: „Vater, Mutter, Kind – forever, foreverever“ ist nicht das Modell, auf das man setzen sollte.

Trotzdem bleiben immer mehr Frauen kinderlos. Gerne wird die Regierung beschuldigt, wenn es um die Gründe geht; um die wenig zielführende und ziemlich zerfledderte Familienpolitik aus horrenden Elterngeld- und Kindergeldzahlungen, aus nostalgischem Ehegattensplitting-Steuerkonzept und einer fehlgeleiteten Herdprämie. Aber über all das sehen Frauen und Männer geflissentlich hinweg, wenn sie ihrem Kinderwunsch wirklich nachgeben wollen. Wenn sie denn wollen.

Der eigentliche Grund, warum so wenig Frauen sich für Kinder entscheiden, ist der fehlende Partner. Das bestätigen 84 Prozent der Befragten, die ihre Eizellen in einem New Yorker Kinderwunschzentrum einfrieren ließen, um eine Schwangerschaft herauszögern zu können. Karrieregründe, wie es gerade Facebook und Apple vorgeworfen wird, die ihren Mitarbeiterinnen jenes Social Freezing ermöglichen wollen, nannten dagegen nur 24 Prozent.

Fehlende Liebe also ist es, die uns lähmt. In unzähligen Beziehungsnetzwerken, Apps und Datingplattformen suchen wir nach dem einen richtigen Lebensgefährten – und werden und werden nicht fündig. Hoch sind die Erwartungen, paralysierend die eigenen Ansprüche, entmutigend das Wissen um chemische und hormonelle Prozesse in dieser Sache, der ein bisschen mehr Zufall und Mystizismus gut täte. Aber spätestens seit Eva Illouz ist das traditionelle Bild der großen Liebe auch offiziell entzaubert. Vorbei die Romantik, wie sie „vom 12. bis Mitte des 20. Jahrhunderts vorherrschte“ (Illouz), in der die geliebte Person einem Gotteswesen glich.

War es so? Aus aktuellem Anlass habe ich gerade bei Ingeborg Weber-Kellermann* nachgelesen, wie die Geburt eines Kindes auf dem Land im 19. Jahrhundert vonstatten ging: Hier war es ein Sonntag. Der Bauer und die Dienstboten verließen das Haus, die „religiöse Pflicht“ erschien ihnen „wichtiger als bedrängte Mutterschaft“. Die einjährige Genovev krabbelte im Zimmer herum, wo die Gebärende wimmerte und, zwischen Tod und Leben schwebend ,„betete in ihrem Schmerz“. Bei Einbruch der Dunkelheit erst kam der Bauer zurück und fand neben seiner völlig erschöpften Frau das neugeborene Kind.

Heute ist sicher nicht alles besser, vieles aber schon – vor allem anders. Was die Kindsgeburt einer Familie in unserem Jahrhundert dagegen aufzeigt, ist der Verlust jeglicher Perfektion. Sollte es sie im eigenen Leben überhaupt annähernd gegeben haben. Kinder machen Dreck, bringen den Tagesablauf durcheinander, vermiesen Feierabende, Karrierepläne und Spaziergänge. Das einzige – das nur am Rande und der Vollständigkeit halber – was gut mit ihnen funktioniert: Sie machen glücklich. Wer aber versucht, sich diesem neuen Anteil an Anarchie im eigenen Leben entgegenzustellen, der kann nur scheitern.

Aber all das ist nicht schlimm, wenn wir nur die richtigen Schlüsse ziehen. Wenn uns bewusst ist, dass es ein Widerspruch in sich ist, den perfekten Partner zu finden für diesen einen Plan, der davon lebt, dass ihm jegliche Perfektion abgeht. Dann bleibt ein wenig Raum für Mut. Für das Leben.

*Ingeborg Weber-Kellermann, Landleben im 19. Jahrhundert, Verlag C.H. Beck

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