Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Er gilt als der „Gott der Vorleser“: Harry Rowohlt. Erst kürzlich sprach er vier Kinderbücher ein

Göttliche Vorlesungen - Die besten Hörbücher für den Winter

Vier begnadete Vorleser holen mit ihren Stimmen vier Klassiker zurück in die Gegenwart: Pier Paolo Pasolini, Henry David Thoreau, „Pu der Bär“ und „Der Wind in den Weiden“ – die besten Hörbücher für den Winter

Pasolini liebte die Zeit kurz nach Mittag, wenn Italien in Wärme und Ruhe versank. Die sinnliche Gegenwart des alltäglichen Lebens lag noch in der Luft, aber auch die Neigung zum Traum war in dieser ersten Erschöpfung des Tages schon zu spüren – jetzt fing er an zu arbeiten.

Ein geglätteter Klassiker ist der vor neunzig Jahren geborene Pasolini noch lange nicht. Dem steht seine Auffassung von der Sexualität als einer Naturkraft entgegen, die der heutigen Auffassung der gesellschaftlichen Konstruktion von Gender und Sex widerspricht; auch seine Liebe zu den einfachen Leuten, um die er trauert, als sie beginnen, sich den Idealen des Konsumismus anzupassen; und schließlich seine Homosexualität, die er anerkannt, aber keineswegs „integriert“ wissen will.

Mit seinen persönlichen Ausdeutungen vermeintlich feststehender Begriffe ist Pasolini ein Realist ohne „Realismus“, ein Katholik ohne Kirche, sexuell emanzipiert, ohne zu verkennen, wie das Reden über Sex in einen normativen Bekenntniszwang mündet. Immer wieder hebt Hans Ulrich Reck Pasolinis Drang hervor, dem Wirklichen ganz nahe zu kommen. In den theoretischen Passagen ist er dabei manchmal zu komplex überbaut, in den erzählerisch-interpretierenden dann aber wieder so luzide und erhellend, dass man sogleich Pasolini neu lesen, seine Filme wieder sehen will. Ergreifend ist das Gedicht auf Marylin Monroe, die „povera sorella minore“: Pasolinis „kleine Schwester“. Hier berührt sich die Verletzlichkeit beider, und ihr jeweils so anders gelagertes Außenseitertum brennt sich in unser Gedächtnis ein.

[gallery:Literaturen: Die besten Romane für den Herbst]

Henry David Thoreaus beste Zeit war der frühe Morgen, wenn die Welt den ersten Schöpfungsmorgen wiederholt. Wer farb- und lichtempfindlich ist, wird nach den erdwarmen, die Renaissance heraufbeschwörenden Bildern Pier Paolo Pasolinis den Kontrast zum gewaschenen, nüchternen Farbklang in Thoreaus „Walden“, diese calvinistische Farbpalette aus Luft, Licht, Wasser und Eis geradezu körperlich spüren. Der amerikanische Schriftsteller und Anarchist Thoreau gehörte zu den Transzendentalisten um den Philosophen Emerson, suchte Gott in der Natur, ein Naturschwärmer ist er aber keineswegs.  „Walden“ ist das Tagebuch einer Robinsonade in der Gesellschaft, das Auge des Waldsees blickt kritisch geschärft auf deren Äußerlichkeiten, auf die Sucht nach Überflüssigem, die die Herrschaft begünstigt. Deswegen ist Thoreau gleichermaßen naturinnig wie grimmig, sein Tagebuch Haushaltsbuch und philosophische Reflexion gleichermaßen, das Dokument einer nüchternen, auf- und abgeklärten Beobachtungsgabe. Legt Bernd Geiling Wert auf eine vorwärtsdrängende, sachliche Schilderung, so betont Klaußner den Tagebuchcharakter des Buches und liest es als philosophisches Journal. Hier entstehen die Gedanken wie ein sich langsam erhellender Morgen, subtil und klar.

Während die Dunkelheit langsam in die Morgendämmerung übergeht, erleben die Ratte und der Maulwurf im Kinder-Roman „Der Wind in den Weiden“ ihre Epiphanie. Auch bei der Beschwörung des bald wieder verschwundenen Gottes Pan auf der Flussinsel bleibt Harry Rowohlt brummend, knarzig, erfrischend weltlich, da stehen keine Räucherkerzen neben dem Mikrofon. Wenn der Sommer vergangen ist und wir unsere kleinen Transzendenzerlebnisse aus Sonne, Liebe und Luft schon längst ins Bilderalbum geklebt haben, wärmen wir uns an der grandiosen Edition „Harry Rowohlt für Kinder“. Hier sind wir am Fluss oder im Hundert-Morgen-Wald und hören dem Gott der Vorleser zu, der zum Glück nicht verschwindet, wenn es dann endgültig hell geworden ist.

Hans Ulrich Reck Pier Paolo Pasolini – Poetisch-Philosophisches Portrait
Edition Apollon, Königs Wusterhausen 2012. 2 CDs, 151 Min., 21,99 €

Henry David Thoreau Wo und wofür ich lebte
Gelesen von Burghart Klaußner. Diogenes, Zürich 2012. 1 CD, 1 Std., 27 Min., 17,90 €

Henry David Thoreau Walden: Ein Leben mit der Natur
Gelesen von Bernd Geiling. Hoffmann und Campe, Hamburg 2009. 4 CDs, 3 Std., 30 Min., 29,95 €

Harry Rowohlt für Kinder Der Wind in den Weiden. Pu der Bär
Kein und Aber, Zürich 2012. 16 CDs, 17 Std., 30 Min., 29,90 €

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.