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(picture alliance) Hat den intrigenspannenden Bischof und hoch begabten Barockkomponisten Agostino Steffani wiederentdeckt: Mezzosopranistin Cecilia Bartoli

Mezzosopranistin Cecilia Bartoli - Diva auf Mission

Cecilia Bartoli geht mit Donna Leons Hilfe einem über 300 Jahre zurückliegenden Auftragsmord nach

Ungeschminkt und blass sitzt sie am Konferenztisch. Das hüftlange Haar zurückgebunden, Perlen an den Ohren und am Handgelenk, griffbereit neben sich einen Stapel ausgedruckter Fakten zum Thema. Eine Anwältin im dunkelblauen Nadelstreifenanzug, die in einem Nebenzimmer des Züricher Hotels Eden au Lac Pressetermine absolviert. Eine Anwältin in eigener Sache. Dass Santa Cecilia nicht einfach CDs produziert, sondern immer ein Projekt realisiert, wissen ihre Anbeter. Und dass sie sich für jedes rückhaltlos ins Zeug wirft, wissen die Journalisten. Ihr neuestes heißt „Mission“, das sagt genug. Wer mehr darüber erfahren will, muss eine strenge Geheimhaltungsverpflichtung unterzeichnen. Im Vorzimmer der Diva ist es juristisch kühl. Schließlich geht es um die Lancierung eines zu erwartenden Millionenerfolgs. 500 000 verkaufte Tonträger haben der Bartoli mit fast jeder ihrer Unternehmungen einen wochenlangen Aufenthalt in der obersten Etage der Charts gesichert.

Plötzlich schiebt Cecilia Bartoli den Stapel von sich weg und lächelt. Die Raumtemperatur steigt um zehn Grad. „Was für ein Mann!“, leuchtet sie. „Was für eine Geschichte. Und was für eine Musik!“ Wie der Mann ihrer neuen Träume aussieht, ist mir bekannt: Kohleaugen in einem ungesund weißen aufgedunsenen Gesicht, auf der Brust ein Diamantkreuz an langer Kette, am rechten Zeigefinger ein kirschgroßer Saphir. Seine Lippen sind fest verschlossen, der Blick ist düster. Ein Landsmann der Bartoli, allerdings nicht aus Rom wie sie, sondern aus dem Norden, aus Castelfranco Veneto. Agostino Steffani heißt er, war Chorist, Komponist, Cembalist, Organist, Geistlicher und Diplomat. Auch Kastrat, vermutet sie, denn er wurde mit 13 Jahren als Kirchensänger in Padua vom bayerischen Kurfürsten entdeckt und nach München entführt. Sein Name sagt nur Kennern des Frühbarock etwas. Bis jetzt. Dank Cecilia Bartoli wird sich das ändern. Schließlich hat sie auch Hunderttausende davon überzeugt, dass der als Mozart-Feind geschmähte Salieri ein grandioser Komponist war, dass Kastraten die Popdiven der Händel-Ära waren oder dass Maria Malibrans Name so berühmt sein sollte wie der ihrer 125 Jahre jüngeren Kollegin Maria Callas.

Was macht nun bitte Agostino Steffanis Wiederentdeckung notwendig? „Seine Kammerduette sind Erotik pur“, sagt die Bartoli. „Und seine Opern haben Händel so beeindruckt, dass er ein Steffani-Motiv in seinem ‚Ariodante‘ zitierte, als Hommage. Steffanis Musik hat das, was auch junge Leute anrührt und mitreißt: Rhythmus, der in die Beine geht, und Melodien zum Sterben schön.“ Besonders freut es Cecilia Bartoli, dass das mit dem Sterben durchaus wörtlich zu nehmen ist: Im Juli 1694 erlebte Steffani, eine einflussreiche Gestalt am Hannoveraner Hof, einen der skandalösesten Auftragsmorde der deutschen Adelsgeschichte mit: den am 24-jährigen Oberst Christoph Philipp Graf von Königsmarck, dem Geliebten der Landesherrin Sophie Charlotte. „Niemand weiß genau, wie weit er die Finger im Spiel hatte bei dem Anschlag. Aber eingeweiht war er, dieser mysteriöse Mann.“

Wenn Bartoli spricht, ist ihr Körper in Bewegung. Die Augen rollen von rechts nach links, kullern nach oben und unten, die Hände fliegen wie bizarre Vögel durch die Luft, die Finger ein Gefieder, das sich spreizt und wieder legt. Ihr Oberkörper wiegt sich und biegt sich, als stünde sie auf der Opernbühne. Dort stand sie mit acht Jahren als Hirtenknabe in Puccinis „Tosca“ zum ersten Mal, und dort sollte sie nach dem Wunsch der Eltern, Sänger im Opernchor, einmal als Primadonna stehen. Aber mit 13 wollte sie nicht Opernsängerin, sondern Flamencotänzerin werden, weil eine andalusische Truppe in ihrer Heimatstadt gastiert und sie sogleich infiziert hatte. Den Eltern zuliebe gab Cecilia Bartoli den Plan schließlich auf und studierte Klavier, Posaune und Gesang am Konservatorium ihrer Heimatstadt.

Seite 2: Cecilia Bartoli lässt sich nichts auf der Welt verbieten

Aber Silvana Bazzoni, die Mutter, wird es geahnt haben, dass die Tochter nur scheinbar gehorchte. Cecilia Bartoli lässt sich nichts auf der Welt verbieten, nicht einmal, die Opera proibita, die einst vom Vatikan verbotene Oper, die sie vor ein paar Jahren der Weltöffentlichkeit präsentierte. Dem Flamenco blieb sie treu. Ihm verdankt sie, was ihre Bühnenpräsenz zum Ereignis macht: dass sie den Körper bis in die Fingerspitzen beherrscht. Im Flamenco ist jeder Körperteil Mittel zum Ausdruck. Die Biegung des Fußristes, der Schwung der Hüfte, die Drehungen der Hand im Gelenk, die Krümmung der Finger, die Blickrichtung der Augen, sie alle haben ihre Aussage. Wo immer Cecilia Bartoli gastiert, besucht sie Flamenco-Darbietungen. Und selbst im Nebenzimmer des Eden au Lac tanzt sie mit den Handgelenken, den Augen und gibt so eine Antwort auf die Frage, die sich jeder stellt, der sie erlebt: Wie schafft es die Bartoli, seit ihrem Debüt als Rosina in Rossinis „Barbiere“ vor 27 Jahren diese Spannung zu bewahren, mit der sie ihr Publikum elektrisiert, diese Intensität in jedem Ton?

Silvana Bazzoni, die ihrer Tochter den Flamenco verbot, war die erste und einzige Lehrerin und ist es bis heute. Sie hatte Cecilia die Technik des altitalienischen Belcanto beigebracht, dessen wichtigste Forderung die „messa di voce“ ist: die Fähigkeit, jeden Ton an- und abschwellen zu lassen, vom zartesten Pianissimo zum stärksten Fortissimo und zurück. Also über die Stimme in jeder Sekunde, an jeder Stelle, in jeder Lage so zu verfügen wie über den Körper im Flamenco. Cecilia übertrug auf ihr Dasein als Sängerin auch dessen Philosophie, die in fünf Wörtern steckt: „El cielo y la tierra“, der Himmel und die Erde. Der Himmel, das ist die Melodie, der Rhythmus ist die Erde. Zwischen diesen Elementen bewegt sich Cecilia Bartoli in allem, was sie lebt, singt, denkt. Nur Werke, die sie rhythmisch wie melodisch packen, die sich Himmel und Erde gleichermaßen verschreiben, reizen sie. „Sacrificium“, Opfer, hieß ein früheres Projekt, mit dem sie die irdischen Seelenqualen zwangsweise kastrierter Söhne aus bettelarmen Familien ebenso bewusst machte wie deren überirdisch schöne Stimmen, durch die sie Eltern und Geschwister ernährten.

„Mission“ ist nun auf andere Weise himmelverheißend und menschlich, allzu menschlich. Georg Schnath, niedersächsischer Landeshistoriker, hat sich ein Forscherleben lang der Ehetragödie von Sophie Dorothea gewidmet, der schönen, musischen Prinzessin, die aus Staatsräson mit einem Mann verheiratet wurde, der sich zwar das Recht auf eine Mätresse nahm, sie vermutlich auch schwängerte, seiner Frau aber die Liaison dangereuse mit dem jungen Rivalen verübelte, nicht aus Gefühl, nur aus politischem Kalkül. Dank Cecilia Bartoli werden nun die Entdeckungen des niedersächsischen Spurensuchers publik. Der fand heraus, dass statt der Geliebten vier Höflinge den Grafen erwarteten. Nur einer aber führte den tödlichen Streich: Don Nicolò di Montalban, ein Landsmann des ominösen Steffani, und ebenso geldgierig wie der Kirchenmann. Verhasst waren sie beide vielen, was Steffanis steiler Karriere als Heiratsvermittler, Kapellmeister, Agent, Priester, Operndirektor und Antiquitätenbeschaffer freilich nicht im Weg gestanden hatte. In Hannover, einem 10 000‑Seelen- Kaff, das nur vom Schloss lebte, kassierte er auch in seiner Funktion als Drahtzieher ein fürstliches Gehalt und so hohe Zulagen, dass er immer mit acht Pferden und vier Dienern reiste. Montalban aber war hoch verschuldet, er brauchte das Blutgeld.

Verschaffte es ihm der komponierende Bischof? Kurprinz Georg Ludwig wusste dessen Talente sehr zu schätzen: die Anpassungsfähigkeit, das blitzschnelle Erfassen einer Situation, die Gabe des Improvisierens, vor allem aber die Kunst des Intrigierens.

Seite 3: Intrigen sind der Stoff, aus dem die Oper besteht

„Intrigen“, strahlt Cecilia Bartoli, „sind etwas Herrliches.“ Intrigen sind der Stoff, aus dem die Oper besteht, die Fallstricke zwischen Liebe, Tod, Macht und Ohnmacht. Und für Bartoli etwas Gewohntes, seit sie mit acht Jahren Zeugin jener Ranküne wurde, die Scarpia gegen Tosca und Cavaradossi schmiedet und die in einem Mord, einer Hinrichtung sowie einem Selbstmord endet. Drei Todesfälle, die das singende Kind nicht im Geringsten erschrecken konnten. „Wir hatten keinen Babysitter. Deshalb sind mein Bruder, meine Schwester und ich hinter der Bühne groß geworden. Für uns war Blut rote Farbe. Wir haben Witze darüber gerissen, dass die Ermordeten mit einem Messer in der Brust noch die schönsten Arien singen, und wussten, dass sie nach ihrem Exitus zum Espressotrinken gingen.“

Im wirklichen Leben verjagte der Tod ihr allerdings das Lachen: Cecilias geliebter Bruder Gabriele starb jung, Mitte dreißig. Die Wunde, die das bei ihr schlug, werde nie verheilen, sagt Cecilia Bartoli, bis zu ihrem eigenen Ende. „Und ich glaube nicht, dass mir ein langes Leben beschieden sein wird“, hatte sie damals, kurz nach Gabrieles Tod, erklärt. Um gleich klarzustellen, diese Ahnung sei kein Grund zur Schonung: „Ich singe lieber ein Jahr lang mit der Stimme eines Löwen als 30 Jahre lang mit der eines Schafes.“

Doch sind Intrigen außerhalb der Bühne nicht ein Gift, das den Löwen lähmt? Der Opernbetrieb gilt als Schlangengrube. „Ach, dort ist es ist weniger schlimm als in der Pop- oder Rockmusikszene“, meint die Bartoli. Warum? „Mehr Geld, mehr Intrige, weniger Geld, weniger Intrige“, lacht sie. Bartoli hat ihre Methode, sich gegen Intrigen zu wappnen. Und auch die heißt „cielo y tierra“. Die Diva ist bodenständig. Sie könnte sich, sagt sie, von nichts als Brot ernähren oder von Bohnen, wie ihre Großmutter sie kochte, die Bäuerin war. Sie liebt es, barfuß über die Wiesen zu rennen. Sie bleibt auf dem Teppich und investiert ihr Geld lieber in Bildnisse, Partituren und Briefe bewunderter Musiker oder in ihre Stiftung als in Juwelen oder eine Jacht. Ihre bevorzugte Gesellschaft ist die Familie und der oft mitreisende angeheiratete Kollege Oliver Widmer. Aber sie kann abheben: Als Sängerin in Höhen, die einem Mezzosopran eigentlich verschlossen sind, als Intendantin der Salzburger Pfingstfestspiele in Erfolgsdimensionen, die anderen unerreichbar schienen, als musikalische Missionarin in völlige Euphorie. Was beflügelt sie?

In der Musik des Frühbarock sei es die Freiheit, sagt die Bartoli. „Die lässt Spielraum für Improvisation und Erfindung. Das fehlt uns heute.“ Sie zupft an ihrem Revers. „Ich freue mich ja, dass ich so einen Armani-Anzug in Mailand kaufen kann. Aber ich will ihn nicht überall auf der Welt kaufen können. Alles ist heute uni. Die Menschen trauen sich nicht, anders zu sein.“ Darin jedoch liegt für sie die Qualität des Daseins: unverwechselbar sein zu wollen und es zu werden.

Dass sich daran durch Musik etwas ändern lässt, scheint selbst der missionarischen Bartoli unrealistisch. Und doch glaubt sie daran. „Ich bin Optimistin. Weil uns nichts anderes bleibt, wenn wir unsere Existenz mit Sinn und Freude erfüllen wollen.“ Der Optimismus treibt sie an. Mühelos ist es ihr gelungen, Donna Leon, eine alte Verehrerin, als Verbündete zu gewinnen und anzuregen, der Mordsache Königsmarck samt im Fluss versenkter Leiche und Ränkeschmied Steffani einen Kriminalroman zu widmen. Und es gelingt ihr, jeden, der ihr zuhört, über die Banalität des Alltäglichen zu erheben.

„Ich glaube an die Macht der Musik“, sagt sie. „Musik ist Luft. Die Luft, die uns verbindet. Musik ist Atmosphäre, die jeden erreicht, überall und immer.“ Das ist „cielo“. Dafür nimmt sie es auf sich, Intrigen zu überstehen, auf und hinter der Bühne. Das gehört zum Prinzip „tierra“. Doch es bleibt die Sehnsucht nach einer Welt ohne Intrigen. Wie stellt sich Cecilia Bartoli die vor? „Wie den Blick ins kristallklare Wasser an der Küste von Korsika.“

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