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Edward Hopper/ picture alliance

T.C. Boyles „Hart auf Hart“ - Der amerikanische Traum ist krank

Mit biblischer Monumentalgewalt erzählt T. C. Boyle von einem Amerika, in dem die Lust an der Gewalt triumphiert 

Autoreninfo

Elke Heidenreich, geboren 1943, ist Autorin, Kabarettistin und Journalistin.

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Dieser Text ist eine kostenlose Leseprobe aus dem Magazin Cicero. Wenn Sie das Monatsmagazin für politische Kultur kennenlernen wollen, empfehlen wir Ihnen das Cicero-Abo zum Vorzugspreis.

 

 

Puerto Limón ist ein karibischer Hafen an der Küste von Costa Rica, hier legen die dicken Kreuzfahrtschiffe an. An Bord zumeist reiche Rentner, Carolee und Sten gehören dazu, denn, wie Carolee sagt: „Wozu geht man in Rente, wenn man dann nur rumsitzt und verfault?“ Sten läge ganz gern nur rum, aber er gönnt seiner Carolee den Spaß, und nun liegt das Schiff im Hafen, und eine Gruppe Kreuzschifffahrer schlingert in einem heißen Bus zu einem Landausflug mit Urwalderkundung. T. C. Boyle beschreibt das so, dass man auf keinen Fall dabei sein möchte. Und es kommt noch schlimmer: Als die Reisenden ausgestiegen sind, tauchen drei kahlköpfige junge Männer auf, fuchteln mit Pistolen herum und verlangen Geld, Handys, Schmuck. Die verschüchterte Rentnertruppe lässt Kameras und Rucksäcke auf den Boden fallen, und Sten sieht die Angreifer: „Sie waren Amateure, Kinder, die Räuber und Gendarm spielen, Kleinkinder, Idioten, zu dumm, um Angst zu haben. Und warum sollten sie auch Angst haben? Das hier war leichte Beute, lauter Senioren, so verängstigt und verzweifelt, dass sie kaum ihre Armbanduhren ablegen, geschweige denn Widerstand leisten konnten.“

Und in Sten steigt eine große, ruhige Wut hoch. Er ist Vietnamveteran, Marine und, schreibt der Autor: „einmal Marine, immer Marine.“ Er hat gelernt: nicht verwunden, sondern töten, und er nimmt einen der jungen Männer in einen speziellen Würgegriff und bricht ihm das Genick.

Was für ein Anfang für einen Roman! Sten muss zwar jetzt ein paar unangenehme Stunden und Befragungen über sich ergehen lassen, aber letztlich fährt er mit seinem Kreuzfahrtschiff weiter und gilt nicht als Mörder, sondern als Held. Dieser Anfang ist wichtig, um alles, was auf den etwa 400 Seiten danach passiert, richtig einzuordnen.

Die Eltern sorgen sich nur pro forma um den Sohn
 

Denn da geht es um Stens und Carolees Sohn Adam, einen zutiefst gestörten jungen Mann mit Kampfanzug, Glatze, reichlich Muskeln, Waffen. Welche Werte mögen diese Eltern diesem Kind vermittelt haben? Adam nennt sich Colter, nach einem Trapper aus dem 18.  Jahrhundert, der Indianer ermordet und allein im Wald überlebt hat. Adam fiel schon auf der Schule auf, durchlief verschiedene Therapien, jetzt ist er volljährig und macht, was er will.

Ein Feld mit Schlafmohn hat er tief im Wald angebaut, durch den Handel damit will er reich und unabhängig werden. Mit seinen Eltern will er nichts mehr zu tun haben, die sorgen sich aber pro forma noch ein bisschen um ihn. Erst recht, als Adam Sara kennenlernt, eine durchgeknallte Hufschmiedin, die mit ihrem freundlichen Hund allein lebt und auf alles pfeift, was da Staat ist – Führerschein, Anschnallpflicht, Geschwindigkeitsbegrenzung, Hundesteuer. Sara hält jedes Gesetz für eine Beschneidung ihrer persönlichen Freiheit und die Krankenversicherung für Unterdrückung. Sie nimmt Adam als Anhalter mit, er landet in ihrem Bett, er ist Mitte zwanzig, sie vierzig. Die Mutter interessiert nichts anderes als dieser Altersunterschied, den Vater interessiert im Grunde gar nichts, er ist froh, wenn Adam keinen Ärger macht.

Der Leser aber ahnt, dass sich ein ganzes Ärgergewitter zusammenbraut bei dieser explosiven Adam-Sara-Mischung. Adam, der erste Mensch – Sara, die Frau Abrahams, sind diese Namen Zufall? Der Roman „Hart auf hart“ hat etwas von biblischer Monumentalgewalt: Menschen verstrickt in ihre Biografien, in die Geschichte ihres Landes, ausweglos.

Sara fängt an, diesen Wilden, der kaum spricht, zu lieben; sie hatte lange niemanden mehr in ihrem Bett und ist in ihrem Trotz gegen alle oft einsam verzweifelt. Und Adam ist eben nicht Colter. Er weiß nicht, welche Pflanzen im Wald man essen kann und welche giftig sind, wo man Wasser trinken kann und wo besser nicht, er braucht Sara als Anlaufstation, wo er verpflegt und versorgt wird und auch seine Triebe befriedigen kann; mehr ist es bei diesem stumpfen, vom Hass verzerrten Burschen nicht.

George W. Bush hat nach den Septemberanschlägen von 2001 leichtfertig von der „Achse des Bösen“ geredet. Hier begegnen wir der Achse der Gestörten, von deren Amokläufen und Bombenattacken in den USA wir ja wieder und wieder lesen und hören. Was ist los in diesem Land, in dem sich laut der New York Times etwa tausend hate groups mit kruden Verschwörungstheorien zusammengeschlossen haben, sovereign citizens – Leute wie Sara, die bei einer Verkehrskontrolle sagen: „Ich bin eine souveräne Bürgerin. Ich habe keinen Vertrag mit Ihnen.“ Leute wie Adam, die durch die Wälder schleichen und auf alles schießen, was sich bewegt.

Die amerikanischen Wunden: Fremdenhass, Gesundheitswahn, Sexbesessenheit, Gewalt
 

Die Eskalation ist programmiert. Das Drama liegt, sagt T. C. Boyle in Interviews, tief in der amerikanischen Geschichte: Die Gewaltbereitschaft der Pioniere, die die Indianer abgeschlachtet haben, um deren Land zu besiedeln, steckt in den Genen – bei Faulkner können wir das auch lesen, ebenso bei D. H. Lawrence, dessen Satz von 1923 dem Roman „Hart auf hart“ vorangestellt ist: „Die amerikanische Seele ist ihrem Wesen nach hart, einzelgängerisch, stoisch und ein Mörder. Sie ist noch nicht geschmolzen.“

T. C. Boyle legt in fast all seinen Romanen – dies ist der 15. – den Finger in eine der amerikanischen Wunden: Fremdenhass, Gesundheitswahn, Sexbesessenheit, Gewalt. Er nimmt sich reale Geschehnisse, reale Figuren und zeigt dann mit seiner unnachahmlich lässigen, dabei immer präzisen Erzählweise, was woher kommt und was wohin führt. In diesem Fall: Aus Gewalt wächst Gewalt, und die wird gerade in Amerika nicht weniger, sondern mehr. Dieses Buch ist von einer düsteren Radikalität, es erzählt davon, wie Maßstäbe verrutschen, wie dünn die Decke der Zivilisation ist und was passiert, wenn eine im Kern gewalttätige Gesellschaft ihre Waffenlobby nicht in den Griff kriegt. „Wir leben“, sagte T. C. Boyle kürzlich, „nicht mehr in einer Demokratie.“

Sein großartiger neuer Roman lässt uns das Blut gefrieren, wenn wir zu Ende denken, welches Gewaltpotenzial noch in einem Land schlummert, das seine Kriegsniederlagen nicht verwunden hat, eine Wirtschaftskrise durchläuft, ein Rassenproblem hat – der schwarze Präsident ist ein Feindbild für viele – und Amokläufer wie am Fließband produziert. Und dazu muss es nicht einmal „die ganze Heil-Hitler-Polizeistaat-Scheiße“ sein, über die Sara sich aufregt. Für Adam reichen schon mexikanische Playlisten im Radioprogramm, um durchzudrehen. „Hart auf hart“ zeigt, wie krank der amerikanische Traum ist: Vollkommene Unabhängigkeit – und wenn einem jemand dumm kommt, wird geschossen. Dies ist das Buch einer amerikanischen Tragödie.

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T. C. Boyle „Hart auf hart“, aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Hanser, München 2015. 400 S., 22,90 €

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