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Romankritik - Geschwisterliebe ist ein besonderes Glück

Eberhard Rathgeb erzählt die Geschichte zweier Schwestern

Autoreninfo

Elke Heidenreich, geboren 1943, ist Autorin, Kabarettistin und Journalistin.

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Dieses Buch macht etwas mit mir. Es macht mich ratlos. Es führt mich in Denk-Ecken, die sich als Sackgassen erweisen, es irritiert mich, es lässt mich nach dem Lesen lange nicht los, und ich weiß nicht, ob ich da einer Sache auf den Leim gehe, oder ob mich etwas ganz Ungewöhnliches anrührt. Dröseln wir es also vorsichtig auf.

Es geht um zwei Schwestern, Ruth und Vika. Ruth ist die hübschere, lebensfrohere, die sinnlichere der beiden. Vika ist eher kühl, rational, aber genau durch diese Gegensätze ergänzen sie sich perfekt – was der einen fehlt, das hat die andere, und da zwischen ihnen eine innige Sympathie herrscht, ergänzen sie sich wunderbar und bekämpfen einander nicht mit ihrer Unterschiedlichkeit. Sie fügen sich wie Puzzleteile ineinander und sind einander Trost neben den versagenden Eltern – autoritär und egozentrisch der Vater, depressiv und schwach die Mutter. Die Familie floh vor den Nazis nach Buenos Aires, wo der Vater sich in Liebschaften verstrickt und die Mutter nie Fuß fasst.

Schon früh wissen die Schwestern, dass der einzige Halt die jeweils andere ist. Als Vika lebensbedrohlich erkrankt, sitzt nicht die Mutter Tag und Nacht an ihrem Bett und holt sie ins Leben zurück, sondern die Schwester Ruth. Und Ruth ist es, die zuerst den Mut hat, die Eltern zu verlassen. Sie flieht nach New York, drei Jahre später holt sie die Schwester nach, und von nun an werden die Eltern nur noch im Urlaub sporadisch besucht, ansonsten leben die Schwestern zusammen, bereisen die Welt, sind glücklich. Glücklich? Kann man glücklich sein mit Verzicht auf Liebschaften, auf Männer, auf Kinder und Familie, nur miteinander? Was für eine Art Glück ist das?

Der Roman von Eberhard Rathgeb ist im Grunde ein langer Dialog. Die beiden Schwestern unterhalten sich in einem ewigen Gesprächsritual, einem immerwährenden «Weißt du noch?» Weißt du noch, wie wir weggingen? Weißt du noch, wie dieser Mann mich ansprach, weißt du noch, wie ich ihn nicht an mich rangelassen habe? Und weißt du noch, wie wir durch die ganze Welt gereist sind, frei, unabhängig, immer zusammen? Was für ein schönes Leben! Wir lesen es irritiert: Ein schönes Leben voller Verzicht auf das, was uns ein schönes Leben ist – Leidenschaften, Lieben, auch wenn sie scheitern. Sollte ein ganz anderes Glück denkbar sein?



 

„Kein Paar wie wir“ heißt dieses höchst erstaunliche Buch über die lebenslange Liebe zweier Schwestern, die nun achtzig sind, wieder in der elterlichen Wohnung in Buenos Aires sitzen, zurückschauen und sagen: Es war alles gut und richtig so, wir haben nichts vermisst. „Ihre Seelen glichen zwei ordentlich gepackten Kof

Doch trotz aller Lebendigkeit, die der Maler dank seinem Können einzufangen in der Lage gewesen war, machten die Abgebildeten einen leblosen Eindruck. Wenn man die Gesichter auf den Leinwänden berührte, zuckte man mit dem Finger zurück, da ihnen jene Wärme fehlte, die der geschickte Auftrag der Farben versprochen hatte.“

Das ist die Schlüsselstelle des Buches: Ruth und Vika hatten ein gutes, ruhiges Leben, ja, sie waren glücklicher als viele klassische, gescheiterte Liebespaare, ja, ihnen blieben die Tiefen, die Abstürze erspart, ja. Aber an ihnen glitt auch das Leben vorbei, so sehr sie immer wieder betonen, alles genossen zu haben. In ihren Gesprächen bestätigen sich die Schwestern wieder und wieder das Glück, miteinander alt zu werden, aber ich glaube es ihnen nicht mehr. Es ist ein Glück ohne Leben.

Zu viel unterschwelliger Verzicht, zu viel „Was wäre gewesen, wenn doch …“. Was hätte sein können, wäre ihre Kindheit glücklicher gewesen, hätten sie sich nicht derart symbiotisch aneinander klammern müssen, um zu überleben, hätte es nicht doch ein erfüllteres Leben geben können mit jemand anderem im Bett nebenan als immer nur der Schwester?

Das leise, innige Buch hat eine düstere Unterströmung vom verpassten Leben. Und am Ende mündet es in das Elend, das alle alten, durch den Tod getrennten Paare ereilt: Vika stirbt, Ruth bleibt allein. Sie kommt in ein Heim und ist unfassbar einsam. Jetzt spürt sie deutlich das, was beide manchmal bei ihren Glücksbeschwörungen insgeheim dachten: Wir sind zwei einsame alte Tanten, dachten sie. Wir sind am Leben, aber wir sind aus der Zeit gefallen. Zwei alte Schildkröten in einem Terrarium, für die sich keiner interessiert.“

Sie waren Töchter und sie waren Schwestern. Das ist eine Möglichkeit, zu leben. Ein Glück ist es, glaube ich, nicht. Aber was ist das: Glück? Eine beunruhigende Frage am Ende eines mit großer, gelassener Ruhe erzählten Buches.
 

Eberhard Rathgeb: Kein Paar wie wir
Hanser, München 2013.
186 S., 17,90 €

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