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(picture alliance) Raj Rajaratnam - Der selbsternannte "König der Könige" der Wall Street ist wegen Insiderhandels zu 11 Jahren verurteilt worden

Neue Regeln - Neue Lücken - Schlupflöcher in den Gesetzen

Für das Chaos an den Märkten werden gerne Insider-geschäfte verantwortlich gemacht. Als Lösung gelten international einheitliche Regeln – auf EU-Ebene haben die sich als desaströs erwiesen

„König der Könige“ bedeute sein Name, hat Raj Rajaratnam seinen Zuhörern früher immer wieder gerne ungefragt mitgeteilt. Und eine Zeit lang gehörte der Gründer des Hedgefonds Galleon auch zu den Königen an der Wall Street. Seinen Erfolg verdankte er einem weitverzweigten Informantennetzwerk hochrangiger Manager aus der IT-Branche, die er dafür bezahlte, ihm kursrelevante Informationen vorab zu geben.

Mit seinen Insidergeschäften hat Rajaratnam mehr als 60 Millionen Dollar verdient. Ein Geschworenengericht in Manhattan setzte seinem Treiben im Mai ein Ende und sprach ihn in allen Anklagepunkten schuldig. Dem aus Sri Lanka stammenden Fondsmanager droht nun eine langjährige Gefängnisstrafe. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Überraschend an dem Fall war das harte Vorgehen der New Yorker Staatsanwälte, die Rajaratnam und seinen Komplizen auf die Schliche kamen, indem sie deren Telefone anzapften und den Mailverkehr mitlasen – Ermittlungsmethoden, die bisher eher dem Kampf gegen Mafia- und Drogenkartelle vorbehalten waren. Solch eine Vorgehensweise wäre nach deutschem Recht derzeit unmöglich, weil Insiderhandel und Kursmanipulation nicht zu den Tatbeständen gehören, bei denen Abhörmaßnahmen erlaubt sind, es sei denn, es wäre auch noch Geldwäsche im Spiel.

Nach den Kursstürzen der vergangenen Wochen an den internationalen Finanzmärkten tauchte, wie immer in Krisenzeiten, der Verdacht auf, dass bei alldem Manipulateure und Insider am Werk waren, die gezielt Gerüchte streuten oder schon vorher alles wussten, um daraus Kapital zu schlagen. Verdienen kann man schließlich auch an fallenden Kursen, man muss nur die richtigen Optionen erwerben oder Wertpapiere leer verkaufen. Der ehemalige Risikovorstand der Commerzbank sagte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sogar: „Im Prinzip lebt der ganze Markt nur von Insidergeschäften (…) Die Privatanleger sind da immer die Dummen, weil sie es zuletzt erfahren.“ Einen Beleg für seine Behauptung blieb er allerdings schuldig. Dass die derzeitige Untergangsstimmung an den Märkten eher eine Folge der hohen Staatsverschuldung diesseits und jenseits des Atlantiks ist, will gerade die Politik nur ungern zur Kenntnis nehmen.

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So verwundert es auch nicht, dass die amerikanische Börsenaufsicht eine Ermittlung gegen die Ratingagentur Standard & Poors (S&P) einleitete wegen des Verdachts auf Insiderhandel, nachdem die Agentur die Bonität der USA herabgestuft hatte. Nun schauen sich die Ermittler die Konten und Depots der S&P-Mitarbeiter an, die an dem Ratingurteil beteiligt waren. Das ist ein Ermittlungsschritt, den wir auch aus Deutschland kennen, wenn die Aufsichtsbehörde Bafin dem Verdacht auf Insiderhandel nachgeht.

Es gelingt jedoch nur sehr selten, diesen Verdacht zu erhärten. Das wiederum liegt nicht etwa daran, dass ohnehin alle unter einer Decke stecken. Die Mechanismen europäischer und internationaler Kapitalmarktaufsicht laufen an dieser Stelle leer. Die deutsche Aufsichtsbehörde Bafin greift täglich auf Daten zu, anhand derer sie Auffälligkeiten im Kursverlauf einzelner Aktien ermitteln kann. Wenn etwa für eine börsennotierte Aktiengesellschaft ein attraktives Übernahmeangebot abgegeben wird, sichtet die Bafin die Handelsdaten der betroffenen Aktie aus den Tagen vor Bekanntgabe der Übernahme. Denn zu diesem Zeitpunkt hat der Insider schon gehandelt, also bevor der breite Markt die kurserheblichen Umstände kennt. Man untersucht mittels spezieller Software die Handelsumsätze und den Kursverlauf auf Auffälligkeiten. Schöpft die Behörde einen Verdacht, lässt sie sich von den Banken diejenigen Kunden namentlich benennen, die diese Aktie vor dem Übernahmeangebot gehandelt haben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum diese Methode gerade in nervösen Zeiten versagt.

Gerade in nervösen Marktphasen versagt diese Methode aber, weil es bei fast allen Wertpapieren zu auffälligen Kursausschlägen kommt. Die deutschen Ermittler erwischen daher eher den Vorstandsassistenten, der sein Sonderwissen anlässlich einer Übernahme zu Geld macht. Das Ausnutzen exklusiven Wissens können sie bei marktweiten Krisen kaum aufdecken. Sobald in den geheimen Beratungen über Rettungsschirme, Ratings oder Käufe von Staatsanleihen greifbare und für die betroffenen Wertpapiere kurserhebliche Beschlüsse gefasst werden, wimmelt es hinter diesen Türen nur so von Insidern. Die kann man zwar noch ermitteln, aber ihr Sonderwissen bezieht sich auf den gesamten Markt, an dem betroffene Wertpapiere in Krisenzeiten ohnehin stark schwanken. Auffällig ist dann eigentlich alles. Die Aufsichtsbehörden sind nicht unwillig, sondern einfach überfordert, diese Sachverhalte auf Anhaltspunkte für Insiderhandel auszuwerten.

In der Politik ertönt seit dem Ausbruch der Finanzkrise immer wieder der Ruf nach einheitlicher internationaler Regulierung, weil Aktien und Anleihen nun einmal weltweit gehandelt werden. Insiderhandel mit griechischen Anleihen ist schließlich in Frankfurt genauso lukrativ wie in New York. Diese Pauschalforderung ist jedoch aus mehreren Gründen falsch. Erstens erfasst unser Recht bereits die beschriebenen Fälle, das Problem liegt in deren Ermittlung. Zweitens befeuert eine solche Diskussion das ohnehin schwierige Ringen um den Euro mit einer Verschwörungstheorie, für die es keine greifbaren Anhaltspunkte gibt. Natürlich ist es denkbar, dass in Entscheidungsprozesse eingebundene Personen ihr Sonderwissen zum eigenen Vorteil missbrauchen oder auch nur dem besten Freund mitteilen, der es dann ausnutzt. Das ist aber schon strafbar.

Der Rechtsstaat verzettelt sich, wenn er immer komplexere Gesetze schafft, nur um jeden denkbaren Exzess aufdecken zu können. Das gilt jedenfalls so lange, wie es keine Anhaltspunkte für einen nachhaltigen Missbrauch gibt. Und ein solcher ist bei aller Vorsicht nicht ersichtlich. Ein Recht, das dazu führt, dass im Anschluss an eine Krisensitzung die Bankkonten oder Telefonverbindungen der Teilnehmer routinemäßig überprüft werden, entspricht nicht unserem Verständnis von rechtsstaatlicher Demokratie. Ähnlich liegt es beim Streuen von Gerüchten. Die bewusst lancierte Falschmeldung stellt eine Marktmanipulation dar. Es ist aber schwierig, den Urheber zu ermitteln und zu beweisen, dass er es war, der diese Gerüchte bewusst wahrheitswidrig gestreut hat. Aufsichtsbehörden erfassen bereits heute sämtliche Handelsdaten. In Deutschland werden in den Börsensälen geführte Telefongespräche mitgeschnitten. Dort, wo die Preisfeststellung stattfindet, sind sogar Mobiltelefone verboten.

Daher stellt sich eher die Frage, ob nicht die Versuche, die Regeln des Bank- und Kapitalmarktrechts im Detail auf europäischer oder gar auf internationaler Ebene zu vereinheitlichen, nicht längst weitgehend gescheitert sind. Gewiss bedarf es auch internationaler Regulierung, allerdings besteht die Gefahr, dass die nachfolgend skizzierten Fehlentwicklungen fortgeschrieben werden.

Die EU hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten das Bankenaufsichtsrecht und das Kapitalmarktrecht durch EU-Richtlinien, die die Mitgliedstaaten in nationales Recht umsetzen mussten, umgestaltet. Diese Angleichung ist in weiten Teilen missraten. Zwar verfolgte die EU etwa mit der Bekämpfung des Insiderhandels und der Marktmanipulation sinnvolle Vorhaben. Bei zahlreichen Gesetzen verlief das aber so schlecht, dass man das EU-Recht mittlerweile als Gefahr für die Kapitalmärkte ansehen muss. Das mag eine gewagte These sein, lässt sich aber anhand von Beispielen belegen, etwa dem der Marktmanipulation. Damit wollte die EU die unlautere Beeinflussung von Börsenpreisen unterbinden. Im deutschen Recht finden sich infolge der Umsetzung sprachlich verquaste, unbestimmte Rechtsbegriffe, die aus den EU-Vorgaben übernommen wurden. Schlechte Definitionen und nur schwer nachvollziehbare Verweise sind kein Einzelfall, sondern durchziehen das europäisierte Recht.

Nun können Juristen zwar auch mit sprachlich misslungenen Gesetzen umgehen. Urteile, Kommentierungen und wissenschaftliche Untersuchungen können chaotische Gesetze in ruhige Bahnen lenken. Dazu konnte es in weiten Teilen des umgesetzten EU-Rechts aber nicht kommen, weil die EU immer neue Richtlinien erlässt, die das Recht modifizieren oder ergänzen. Die Regelungen haben keine Zeit, sich zu setzen, um Rechtssicherheit stiften und präventiv wirken zu können. Die Regelungswut der EU auf dem Gebiet des Bank- und Kapitalmarktrechts überfordert inzwischen sogar Richter und Staatsanwälte und überlastet zudem die Parlamente der Mitgliedstaaten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum einheitliche Regulierungen Krisen eher befördern als abmildern.

Bisher hat die Europäisierung des Bank- und Kapitalmarktrechts die Entstehung von Krisen eher gefördert als verhindert. In den Jahren 2001 und 2002 spielte sich unter der Geltung des EU-Rechts die Dotcom-Krise ab. In einem historisch bemerkenswert kurzen Abstand wütete in den Jahren 2007 und 2008 die noch schwerere und systemische Finanzmarktkrise, die ganze Volkswirtschaften an den Abgrund führte. Gewiss wäre es zu viel verlangt, vom EU-Recht zu erwarten, es könne globale Krisen verhindern. Es gelingt ihm aber nicht mal, die Folgen abzumildern, während ein Staat wie Kanada, der eigene Schwerpunkte in seinem nationalen Bankenrecht gesetzt hat, die Krise sehr viel besser gemeistert hat.
Die Internationalisierung des Rechts birgt nämlich auch immer die Gefahr, dessen Schwachstellen weltweit zu verbreiten.

Es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern um die Erkenntnis, dass der Prozess der Harmonisierung des Bank- und Kapitalmarktrechts ein Irrweg ist, wenn er zu sehr ins Detail geht. Es gibt nämlich zahlreiche Akteure in den Banken und an den Finanzmärkten, die nach genau den Schwachstellen suchen und diese ausnutzen. Wird die Lücke irgendwann erkannt und geschlossen, geht das Spiel von vorne los. Das Ganze erinnert an die Fabel von Hase und Igel, bei der der Gesetzgeber immer verlieren muss. Internationale Regulierung ist geboten, aber sie muss sich sprachlich klar auf justiziable Grundsätze beschränken, die dann auch keine Umgehung dulden. Die weitere Ausführung sollte den einzelnen Staaten überlassen bleiben.

Die Finanzkrise ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Lücken ausgenutzt werden. Einige Banken umgingen den Grundsatz der Eigenkapitalunterlegung, indem sie unter Einschaltung formal eigenständiger Zweckgesellschaften zweistellige Milliardenbeträge in strukturierte US-Immobilienkreditpakete pumpten. Die Mittel für diese Anleihen nahmen die Zweckgesellschaften durch kurzfristige Kredite in Gestalt sogenannter Commercial Papers auf. Deren Zins lag unter der Rendite, die man aus Anleihen erwartete. Die Differenz war dann die Gewinnspanne. Für die Rückzahlung der kurzfristigen Kredite verbürgte sich die dahinterstehende Bank. Durch diesen Kunstgriff der Rückzahlungsgarantie kam es zu einem Gleichlauf der Bonitäten zwischen der Zweckgesellschaft und der dahinterstehenden Bank. Nur so konnten sich die Zweckgesellschaften billig refinanzieren, um in die höherverzinsten Kreditpakete investieren zu können. Als sich diese Anleihen als unseriös entpuppten, wurden sie unverkäuflich. Da die Zweckgesellschaften den Kauf aber über kurzlaufende Kredite finanziert hatten, brauchten sie frisches Geld, das ihnen der Markt jedoch verweigerte. Die Garantien wurden gezogen. Bis dahin erstklassige Banken, die dahinterstanden, konnten diesen Verbindlichkeiten nicht nachkommen. Das Volumen war zu groß. Wie auf Schienen glitten sie Richtung Insolvenz und mussten vom Staat mit Steuergeldern gerettet werden.

Bevor die internationale Regulierung gewisser Grundsätze in Angriff genommen wird, sollte man eine sorgfältige Risikoanalyse durchführen, um sich in Zukunft vor allem gegen die gefährlichen Systemrisiken schützen zu können. Allgemeine Insolvenzrisiken können mit dem Grundsatz der Eigenkapitalunterlegung eingefangen werden. Jenseits dessen bedarf es einer Analyse der „modernen Anlageangebote“, die von klugen Köpfen in den Finanzlaboren entworfen werden. Es hat sich gezeigt, dass die Komplexität dieser synthetischen Finanzprodukte viele Marktteilnehmer überfordert. Schließlich wird auch zu prüfen sein, ob und wann bestimmte Handelspraktiken das System gefährden können und deshalb eingeschränkt werden müssen. Diesen Kern gilt es möglichst klar zu umreißen. Dann ist es auch als Ultima Ratio vertretbar, Verstöße dagegen strafrechtlich zu verfolgen und einschneidendere Ermittlungsmaßnahmen zu erlauben.

Eine das Finanzsystem gefährdende und immer tiefer führende Abwärtsspirale ist ausgeschlossen, weil dem feste Grundsätze entgegenstehen, die keine Ausnahme zulassen und systemische Risiken einfangen. Oberhalb dieser Schwelle muss es anstelle unverständlicher und ermüdender EU-Regelungen die Möglichkeit geben, ein in der Tradition der jeweiligen Rechtsordnung stehendes und deshalb den Rechtsanwendern gut zugängliches Bankenrecht zu formen. Dabei soll es dann durchaus einen Wettlauf geben, den wir an anderer Stelle Wettbewerb nennen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre hat auch die Finanzbranche ein Interesse an guter Regulierung. Wenn dabei die Idee der Verwirklichung eines EU-Binnenmarkts auf dem Finanzsektor leidet, ist das hinzunehmen.

Der Ausblick ist weniger trübe als es scheint. Zwar kann heute niemand sagen, wie die Staatsschuldenkrise im Einzelnen verlaufen wird. Sie ist aber zu meistern und hat auch ihre guten Seiten. Immer mehr Marktteilnehmer verstehen Vertrauen nicht mehr nur als abstrakte Voraussetzung für funktionierende Märkte, sondern als Wert und Voraussetzung für das eigene Geschäft. Die Flucht in das Gold, den Schweizer Franken oder Bundesanleihen ist Ausdruck einer Sehnsucht nach Sicherheit und die Kehrseite enttäuschten Vertrauens. Man kann Vertrauen jedoch zurückgewinnen. In einem darauf zielenden Wettbewerb liegen große Chancen.

Christian Schröder ist Professor für Kapitalmarktstrafrecht an der Martin-Luther-Universität in Halle-Wittenberg

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