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(picture alliance) Sollen die Griechen ihre nationale Autonomie oder den Sparkurs aufgeben?

Europa & der Euro - „Griechenland-Pleite gefährdet nicht die Eurozone“

Die Pleite Griechenlands ist keine Gefahr für die Euro-Konstruktion, meint Thomas Straubhaar vom HWWI. Im Interview mit Cicero Online spricht er über den psychologischen Aspekt eines EU-Wachstumspakets und erklärt, warum Hollande zum französischen Gerhard Schröder werden könnte

Herr Straubhaar, die Süddeutsche Zeitung titelte, dass Populismus und Nationalisten Konjunktur in Europa hätten. Wird sich unter diesen Bedingungen in Griechenland Politik machen lassen?
Das Scheitern einer ersten Regierungsbildung entspricht dem Empfinden einer Bevölkerung, der das Wasser bis zum Halse steht. Die Polarisierung in der Regierung hat ihr Gutes insofern, als dass sie noch schneller den Lackmustest bestehen muss, in welche Richtung sie sich jetzt entwickeln will.

Und welche Richtung wird das sein?
In der Wahl zwischen Pest und Cholera kann sie die Pest wählen, dem Druck von außen nachgeben und ein Stück ihrer nationalen Autonomie aufgeben. Oder sie wählt die Cholera: Das Parlament entschließt sich dazu, den Sparkurs aufzugeben. Momentan scheinen im Land solche Stimmen lauter zu sein, die, aus Not und verletztem Nationalstolz heraus, Griechenland ins Abseits manövrieren.

Ohne Hilfsgelder wäre die griechische Regierung gezwungen, drastische Einsparungen vorzunehmen oder ihr eigenes Geld zu drucken. Faktisch wäre damit Griechenlands Mitgliedschaft in der Währungsunion beendet.
Auf indirektem Wege müsste Griechenland, dem Vertrag von Nizza entsprechend, die EU verlassen, um dann auch den Euro aufgeben zu können. Das wäre nichts anderes als ein „freiwilliges“ Springen über die Klippe. Für die griechische Wirtschaft wäre das mit enorm hohen Kosten verbunden. Bis das Land international wettbewerbsfähig wäre, würde es sehr lange dauern. Und bis dahin wäre es von allen äußeren Kapitalflüssen abgeschnitten. Energie, importierte Rohstoffe, Vorleitungen – alles würde teurer werden. Das wäre ein Desaster für die griechische Regierung und vor allem auch für die Bevölkerung.

Wankt damit die ganze Euro-Konstruktion?
Was für die Eurozone gefährlich ist, sind zwei Dinge: Die stete Unsicherheit und dass irgendwo immer ein paar Euroländer drohen, Griechenland aus dem Euroraum zu werfen, obwohl sie im Grunde wissen, dass sie dazu keine Handhabe haben. Sollten sich die Griechen selbst dazu entscheiden, die Spielregeln zu brechen, dann wäre das ein Schrecken, aber ein Schrecken mit Ende. Damit stehen nicht automatisch die Stabilität der Eurozone und die Zukunft Deutschlands auf dem Spiel.

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War es ein Fehler auf EU-Ebene, bisher keine Investitionsprogramme aufzusetzen?
Natürlich bedarf Griechenland noch lange sehr starker Unterstützung. Die sollte aber in erster Linie nicht finanzieller Natur sein. Was Griechenland fehlt, sind Institutionen. Seine Funktionsfähigkeit und Staatlichkeit genügt den westeuropäischen Standards nicht. Von innen wird sich nur schwerlich etwas verbessern: Die Aristokratie möchte lieber auf dem Status Quo beharren, und das Volk hat weder die Kraft, noch versteht es, was in seinem Land passiert. Die Situation ist ziemlich verfahren, also braucht es Hilfe von außen. Griechenland muss sich stärker auf den Weg in Richtung eines europäischen Protektorats bewegen, bis seine eigenen Strukturen nachhaltig tragfähig werden. Das wird dauern.

Aber Griechenland wurde von Brüssel doch bereits zur Verwaltungsregion degradiert. Vielleicht weniger, um das Land zu stabilisieren, sondern um seine Pleite kontrolliert vorzubereiten. Sämtliche Gelder, die nach Athen fließen, dienen einzig und allein dazu, sich Zeit zu kaufen…
Das war von Anfang an die Strategie, nichts anderes als der Versuch, Griechenland die Zeit zu geben, einen regierbaren Staat zu bilden, um mittel- bis langfristig wieder einigermaßen auf die Beine zu kommen. Und mit jedem Tag, an dem der Pessimismus gegen den Euro in Griechenland wächst, rückt der Tag X – der Tag der Pleite – näher. Schon im Juni wird es meines Erachtens keinen Finanztransfer mehr geben. Sonst würde gutes Geld dem schlechten einfach hinterhergeworfen.

Sehen Sie eine Möglichkeit, dass sich die Eurozone in einen Nord- und Südeuro spaltet?
Nein, das sehe ich nicht. Griechenland wird ein Einzelfall bleiben. Die anderen Länder werden aus dem griechischen Fiasko ihre Lehre ziehen und sich mehr anstrengen, die Auflagen von außen zu erfüllen. Es ist auch ein Signal dafür, dass der Norden dem Süden eine Brücke bauen muss. Hollande und selbst Merkel sehen mittlerweile, dass Sparen alleine nicht sinnvoll ist. Die Bereitschaft, ein Wachstumsprogramm aufzulegen, steigt.

Wäre ein EU-Wachstumspaket denn überhaupt finanzierbar?
Es geht doch nicht um Finanzen! Es geht darum, den psychologischen Aspekt dieses Wachstumsprogramms zu berücksichtigen. Die Kosten über ein solches Paket sind noch völlig unbestimmt, aber die Menschen brauchen ein Licht am Ende des Tunnels! Alleine auch deswegen, um einen Dominoeffekt zu vermeiden.

Seite 2: Hollande, der französische Gerhard Schröder?

Doch die Unsicherheit in der europäischen Schuldenkrise steigt. Das Wahlergebnis am Wochenende entspricht nicht gerade der Wunschkonstellation der Befürworter einer stabilen gemeinsamen Währung oder eines unabdingbar gewordenen Konsolidierungskurses.
Das würde ich vehement bestreiten. Im Gegenteil, für den Euro hätten die Wahlergebnisse deshalb nicht besser ausfallen können, weil Frankreich jetzt die Chance auf Reformen hat und in Griechenland der Druck steigt, Klarheit über den weiteren Kurs zu schaffen.

Die Märkte sprachen eine andere Sprache. Weltweit gingen die Kurse in den Keller. Im asiatischen Handel fiel der Euro unter die psychologisch wichtige Marke von 1,30 Dollar.
Es kann und darf nicht Ziel einer konsistenten, nachhaltigen Politik sein, dass sie sich ständig den Aktienkursen unterwirft und sie als Fieberthermometer für die eigene politische Arbeit nimmt. Die Finanzmärkte dürfen zu keiner Zeit die Politik bestimmen. Es muss umgekehrt sein!

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Wirkten die Wahlen, auch in Frankreich, dann also eher stabilisierend oder destabilisierend?
Auf jeden Fall stabilisierend! Die deutsch-französische Achse wird unter Hollande und Merkel stärker werden. Einem Sozialisten wie Hollande können Reformen, die sich gegen die Masse der Beschäftigten richten, eher gelingen – das hat Gerhard Schröder 2003 klar vorexerziert, als Deutschland ein kranker Mann war. Holland kann der französische Gerhard Schröder werden und eine Agenda 2020 für Frankreich auf den Weg bringen.

35-Stunden-Woche, Rente mit 62, Kündigungsschutz im Alter: Kann Hollande solche Reformen in  Frankreich antreiben?
Die Franzosen wissen haargenau, dass sie nachvollziehen müssen, was Deutschland bereits vor zehn Jahren geschafft hat. Im Zeitalter von Globalisierung und offenen Märkten messen wir uns nicht mehr am Nachbarn, sondern an der Welt, an Südostasien, Lateinamerika, durchaus auch an der USA. Die Art und Weise, wie Hollande Politik macht, wird weit weg sein von Sarkozys teilweise ja schon napoleonischem Regierungsstil. Für Merkel wird Hollandes unprätentiöse und bodenständige Art rein auf persönlicher Ebene eine willkommene Annäherung ermöglichen. Hollande wiederum muss sich jetzt freischwimmen, sich von Merkel in einem gewissen Maße abgrenzen und profilieren.

Dazu wird er nicht viel Zeit haben. Der Druck, der auf ihm lastet, ist enorm…
Das stimmt. Der arme Hollande muss Hammer und Amboss schwingen, muss zwischen kurz-, mittel- und langfristiger Politik, zwischen deutschen, europäischen Interessen und rein nationalen Interessen lavieren. Doch Merkel ist eine kluge Bundeskanzlerin: Sie hat bereits vor der Wahl ganz klar signalisiert, dass sie ihre lange als unverrückbar vertretene Position auflockern und keine reine Entweder-Oder-Politik fahren, sondern ein Sowohl-Als-Auch anbietet wird. Wachstum und Sparen, beides ist wichtig und muss in einen guten Rhythmus gebracht werden.

Manche würden sagen, sie steht allein in Europa.
Nein, das sehe ich nicht so. Ihr ist bewusst, wie schmal, ja fast nicht existent der Grad zu Hollande ist. Deshalb wird sie ihm die Hand reichen, um ihn aus dieser engen Bedrängnis herauszuführen und für beide mehr Handlungsspielraum zu schaffen.

Herr Straubhaar, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sarah Maria Deckert

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