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Griechenland-Krise - Die Troika hat versagt

Griechenland hat seine Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds verschoben. Der IWF gewährt diesen Zahlungsaufschub. Das sollte er auch. Sind es doch die Kontrolleure der griechischen Regierung, die zur Eskalation der Tragödie erheblich beigetragen haben

Autoreninfo

Alexander Kritikos forscht als Ökonom am DIW in Berlin, lehrt an der Universität in Potsdam und ist Research Fellow beim IZA.

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Vor ziemlich genau fünf Jahren ließ die griechische Regierung ihre Gläubiger wissen, sie könne ihre Staatsschulden nicht mehr bedienen. Beginn einer Staatsschuldenkrise? In jedem Fall verlangten die Gläubiger die Umsetzung des allseits bekannten rigiden Sparprogramms – Löhne, Renten und andere Sozialleistungen senken, Steuern erhöhen, den Staatsapparat verkleinern.

Als Instanz zur Aufsicht über die Umsetzung der Reformen installierten Griechenlands Gläubiger die Troika, ein Team aus Kontrolleuren von der EZB, der EU-Kommission und des IWF. Die haben in der Zwischenzeit vier griechische Ministerpräsidenten und jeweils sieben Finanz- und sieben Wirtschaftsminister kommen und gehen sehen.

Massiver Irrtum des IWF
 

Das primäre Ziel der Gläubiger lautet von Anfang an, den laufenden griechischen Staatshaushalt (ohne Zinszahlungen) möglichst schnell auszugleichen. Mit anderen Worten: Der Fokus lag auf dem Budget; wie sich die griechische Wirtschaft entwickeln würde, war eher nebensächlich. Man fragt sich bis heute, ob der damaligen griechischen Regierung und der Troika bewusst war, dass Griechenland nicht nur in einer Schulden-, sondern in einer strukturellen Wirtschaftskrise steckte.

Die Prognosen des IWF über die Entwicklung des griechischen Bruttoinlandsprodukts lassen jedenfalls daran zweifeln. Denn zwischen erwartetem und tatsächlich realisiertem BIP klaffte über fünf Jahre hinweg eine Lücke von jährlich 5 Prozent. Ein massiver Irrtum, wenn man sich vor Augen führt, dass Griechenland heute eine Staatsschuldenquote von 120 Prozent anstatt von 175 Prozent hätte, wenn die Prognose des IWF eingetreten wäre. Das gesamte Problem der „zu hohen Staatsschuld“ Griechenlands wäre also vom Tisch.

Der Fokus auf die Staatsschulden hatte erhebliche Folgen, denn was beim Ansatz der Troika bis heute völlig fehlt, ist der Investitionsaspekt zur Lösung der griechischen Krise.

Was wurde erreicht in den vergangenen fünf Jahren? Renten, Sozialausgaben und staatliche wie private Löhne wurden dramatisch gesenkt. Griechenlands Lohnstückkosten zählen heute zu den niedrigsten im Euroraum, vor der Krise waren sie die höchsten – jedoch gibt es kaum etwas, das Griechenland deshalb viel besser exportieren könnte. Und das andere Problem: Das Preisniveau in Griechenland ist kaum zurückgegangen, weshalb dort die Angestellten mit den niedrigen Löhnen ihre Familien kaum ernähren können.

Beharren auf Strukturreformen
 

Tatsächlich konnte so zwar der Primärhaushalt Griechenlands im Jahr 2014 „mit einigen Tricks“ ausgeglichen werden. Fraglich ist, ob das für 2015 auch noch so eintreten wird.

Andererseits hat sich bei den Reformen viel zu wenig getan: Den verabschiedeten Gesetzen fehlten vielfach die Ausführungsbestimmungen, andere Strukturreformen sind völlig liegen geblieben. Das Geschäftsklima in Griechenland hat sich daher kaum verbessert. Vor allem die endlosen bürokratischen Hürden für die Gründung neuer Unternehmen, den Betrieb, aber auch die Abwicklung von Unternehmen, und weitere behördliche Genehmigungen sind hoch geblieben. Kein Wunder, dass in Griechenland kaum jemand investieren will.

Hier zeigt sich deutlich, dass die Politik der Troika gescheitert ist, weil sie nicht auf der Umsetzung dieser Strukturreformen beharrt hat; diese hätten ebenfalls gleich im ersten Jahr geschehen müssen – gleichzeitig mit den Kostensenkungen.

Fehlende Investitionen und atmosphärische Störungen
 

Aber was noch viel schlimmer ist: Dass gerade die jungen, innovativen Unternehmen mit zukunftsfähigen Produkten substanzielle staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung benötigen, steht bis heute nicht einmal auf der Agenda der Troika. Dabei hätte Griechenland eine große Basis an Forschern und Entrepreneuren, die das Land voranbrächten, wenn man sie nur ließe.

Es gibt jedoch keine systematische finanzielle Unterstützung innovativer Unternehmen durch den Staat, der Ideenschutz ist unzureichend, und ein Wissenstransfer zwischen Forschung und Wirtschaft findet nicht statt. Alles, was in den anderen Euroländern selbstverständlich ist, ist in Griechenland nach wie vor schlicht unmöglich. Eine Zahl, die das alles offenlegt: Griechenland investiert keine 0,7 Prozent seines BIP in Forschung und Entwicklung, in anderen Ländern der Eurozone sind es 3 Prozent.

Hinzu kamen von Anfang an atmosphärische Störungen: Der Umgang der Troika mit den verschiedenen griechischen Regierungen war alles andere als kooperativ. Statt mit den Griechen gemeinsame Ziele zu definieren, machten die Kontrolleure nur Vorgaben und kamen regelmäßig nach Griechenland, um im buchhalterischen Sinne „Häkchen“ hinter jede Reform zu machen. Ob diese wirklich umgesetzt wurden oder nur auf dem Papier stehen, scheint die Troika nicht wirklich zu interessieren.

Land ohne Vision
 

Einzelne „Projekte“ der Troika wie die neue Immobiliensteuer haben sich als schwere Fehler erwiesen. Solche Bestandssteuern sind zwar leicht zu erheben, haben aber katastrophale Verteilungswirkungen. Die Reichen können sie ohne Probleme zahlen. Für die weniger Wohlhabenden, deren Haus ihr ganzes Vermögen ist, kann eine solche Steuer die Pleite bedeuten: Ein Lehrer, dessen Gehalt bereits von 1200 auf 700 Euro monatlich gekürzt wurde, kann nicht auch noch 600 Euro Vermögenssteuer aufbringen. Er kann noch nicht einmal sein Haus verkaufen, weil der Immobilienmarkt völlig zum Erliegen gekommen ist.

Umgekehrt war auch der Umgang der griechischen Regierungen mit der Troika alles andere als gut. Das erste Memorandum unterschrieb mancher Minister, ohne es auch nur gelesen zu haben. Versuche, die Vereinbarungen zwischen Gläubigern und Griechenland inhaltlich in irgendeiner Form zu verhandeln, gab es aus Athen nicht.

Auch das hat dazu geführt, dass die Troika in der griechischen Öffentlichkeit bis heute immer nur als „Besatzer“ wahrgenommen wird; der Begriff Reform ist negativ konnotiert. Die Bevölkerung unterscheidet gar nicht mehr zwischen Sparmaßnahmen und Reformen. Das „Androhen“ weiterer Vorhaben treibt sie direkt auf die Straße.

Die verantwortlichen Politiker in Athen haben zu keinem Zeitpunkt eine Vision entwickelt, wohin sie das Land führen möchten. Die Vorschläge der Troika wurden nie als Chance begriffen, das Land zu modernisieren.

Kaputtgespart und destabilisiert
 

Deswegen steht Griechenland da, wo es jetzt vom neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras übernommen wurde, der nicht aus der demokratischen Mitte kommt und schlicht konstatiert: „Griechenland wurde kaputtgespart.“ In einem hat er recht: Die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Griechenland sind nach den Sparmaßnahmen noch größer als vor fünf Jahren. Das hat das Land destabilisiert.

Jetzt beginnt das Spiel also von vorn: eine neue Regierung, der fünfte Ministerpräsident und der achte Finanzminister in fünf Jahren, die wieder glauben, Griechenland stecke nur in einer Staatsschuldenkrise und habe jetzt infolge der Sparmaßnahmen eine Wirtschaftskrise. Dass die Wirtschaftskrise in Griechenland nicht Folge, sondern Ursache der Staatsschuldenkrise ist, muss wenigstens dieser Regierung so schnell wie möglich verdeutlicht werden.

Klar ist in jedem Fall geworden, dass es im weiteren Reformprozess neue Akteure braucht. Die griechische Regierung hat den konstruktiven Vorschlag gemacht, die OECD zu involvieren. Da diese keine eigenen Interessen verfolgt, könnte sie bei den Verhandlungen eine Vermittlerrolle übernehmen.

Aber die Verhandlungspartner werden noch ein weiteres Problem lösen müssen: Reformen werden in Zukunft nur noch möglich sein, wenn der Bevölkerung gleichzeitig glaubwürdige Wege aufgezeigt werden, wie die größer gewordene Ungleichverteilung in Griechenland bei Einkommen und Vermögen wieder abgebaut wird – mehr Steuergerechtigkeit durch die konsequente Erhebung bestehender Abgaben wäre schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

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