Erhöhung des Rundfunkbeitrags auf der Kippe - Darum zittern ARD und ZDF vor Sachsen-Anhalt

Die bundesweite Erhöhung des Rundfunkbeitrags droht wohl endgültig zu kippen. CDU und AfD in Sachsen-Anhalt wollen im Landtag nicht zustimmen. Für die Bundes-CDU wird dies immer mehr zu einem Problem. Denn der Regierungspartner wertet das Vorgehen als Zusammenarbeit mit Rechtsextremen.

Heiligt der Zweck das Mittel? CDU und AfD könnten gemeinsam abstimmen / dpa
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Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland kann immer weniger damit rechnen, dass die Erhöhung des monatlichen Rundfunkbeitrags um 86 Cent zum 1. Januar 2021 in Kraft treten wird. Zwar haben inzwischen fast alle Länderparlamente den sogenannten Ersten Medienänderungsstaatsvertrag ratifiziert. In Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern gilt es nur noch als Formsache. Selbst für die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen gilt eine Mehrheit als wahrscheinlich. Nur vier Stimmen bräuchte Bodo Ramelow hier entweder von der FDP oder der CDU. In Erfurt heißt es, er habe sie bereits beisammen.

Die entscheidende Hürde ist Sachsen-Anhalt. Hier bleibt die Fraktion der regierenden CDU auch wenige Wochen vor der Abstimmung im Magdeburger Landtag dabei, den Vertrag ablehnen zu wollen und damit die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Weil auch die AfD-Fraktion gegen die Erhöhung ist, hätten beide Parteien im Parlament eine Mehrheit. Sachsen-Anhalt würde damit als einzelnes Bundesland die Erhöhung insgesamt verhindern. Denn bis zum 31.12.2020 müssten alle 16 Länderparlamente zugestimmt haben. Ein solcher Alleingang eines Bundeslandes zur Ablehnung eines Rundfunkstaatsvertrags wäre ein bislang einmaliger Vorgang.

„Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD“

Ob gewollt oder nicht, diese Landesentscheidung hätte als Quasi-Veto Auswirkungen auf die ganze Bundesrepublik – und das längst nicht nur für die Öffentlich-Rechtlichen und deren Budgets. Für die Bundes-CDU droht ein solches Szenario kurz vor ihrer Vorsitzendenwahl im Januar und vor der anstehenden Bundestagswahl zu einem Grundsatzproblem zu werden. Bislang beschäftigt man sich damit aber nur hinter den Kulissen und meidet die öffentliche Debatte. Denn es steht eine gravierende Frage im Raum: Wäre das gemeinsame Abstimmen mit der AfD eine „Zusammenarbeit“?

Laut Bundesparteitagsbeschluss der CDU gilt folgendes: „Die CDU Deutschlands lehnt Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit sowohl mit der Linkspartei als auch mit der Alternative für Deutschland ab.“ Das Präsidium hatte im Februar nach der folgenreichen Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten mit Stimmen von CDU, AfD und Liberalen dazu bekräftigt: „Für die CDU Deutschlands gilt: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD – weder in direkter, noch in indirekter Form.“

Die AfD wittert ihre Chance

Nicht nur in Sachsen-Anhalt brüstet sich die AfD bereits damit, die Ablehnung der Erhöhung sei im Grunde ihr Werk. Jens Cotta, der medienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag, will nun auch die Union dort ein weiteres Mal umwerben und ließ am Freitag ein Statement verbreiten: „Einmal mehr zeigt sich: die AfD wirkt! Seit der Gründung unserer Partei kämpft die AfD gegen die permanenten Gebührenerhöhungen zur Finanzierung eines sich immer weiter ausufernden Staatsrundfunks, der schon lange jedes Maß verloren hat.“

Er fordere die CDU-Fraktion auch in Thüringen auf, diesem positiven Beispiel aus Sachsen-Anhalt zu folgen und mit der AfD in Thüringen gleichzuziehen. „Im Interesse unserer durch die Coronakrise finanziell stark in Mitleidenschaft gezogenen Bürger muss der Selbstbedienungsmentalität der Öffentlich-Rechtlichen endlich Einhalt geboten werden“, so Cotta. Bei der CDU in Sachsen-Anhalt rechtfertigt man das Vorgehen allerdings schon seit langem damit, dass man die Forderungen schon gehabt habe, bevor die AfD überhaupt im Parlament saß. Nun will man sich das Thema nicht wegnehmen lassen und damit womöglich Wähler an die AfD verlieren.

Heftige Kritik von SPD, Grünen und Linken

Die politischen Gegner der CDU rüsten bereits auf. „Die CDU in Sachsen-Anhalt verbündet sich mit der offen rechtsextremen Landes-AfD“, sagte der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil dem Spiegel. Man könne einen solchen Vorgang „nicht einfach so unter den Teppich kehren“ – und das in einer Woche, in der die AfD mit Rechtsextremen auf die Straße gehe. Notwendig sei jetzt ein Einschreiten der CDU-Führung in Berlin. Wo bleibe die Mahnung, das Einmischen von der CDU-Bundesebene und was sage Annegret Kramp-Karrenbauer dazu, forderte Klingbeil den Groko-Partner zu einer Stellungnahme auf.

Zwar ist erkennbar, dass der SPD-Generalsekretär hier versucht, Kapital aus einem Vorgang zu schlagen, der noch gar nicht stattgefunden hat. Ob es ihm schon jetzt gelingen wird, das Thema von der Landes- auf die Bundesebene zu ziehen, ist fraglich. Bei der CDU will man sich auf Nachfrage von Cicero dazu derzeit aber nicht äußern. Dennoch dürfte die Debatte darüber schon sehr bald anstehen: Am 2. Dezember tagt der Medienausschuss im Magdeburger Landtag. An dessen Ende wird eine mehrheitsbasierte Beschlussempfehlung für den Landtag stehen, die entweder lauten wird: Wir nehmen den Ersten Medienänderungsstaatsvertrag an. Oder: Wir lehnen ihn ab. Schon hier wird sich also entscheiden, ob CDU und AfD mit einer gemeinsamen Mehrheit an einem Strang ziehen werden.

„Ein ungeheurer Tabubruch“

Bislang konnte die CDU noch darauf verweisen, dass die Linke im Landtag ebenfalls gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags stimmen wollte. Die Fraktion aber hat sich inzwischen umstimmen lassen. Die Linke kündigt an, den Staatsvertrag anzunehmen.

„Wenn es so kommen sollte, wie die CDU es angekündigt hat, wäre dies das erste Mal in der Bundesrepublik, dass CDU und AfD und damit schwarzbraun eine eigene Mehrheit zu einem Gesetz gegen die demokratischen Fraktionen auf die Beine stellen“, sagte Stefan Gebhardt, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken in Sachsen-Anhalt zu Cicero: „Das wäre ein ungeheurer Tabubruch in der Bundesrepublik, der nicht ohne Konsequenz bleiben darf.“ Den Unvereinbarkeitsbeschluss auf Bundesebene könnte die CDU dann in den Papierkorb werfen, weil er nichts wert sei. „Er steht auf dem Papier. Aber er wird nicht umgesetzt.“

Gilt das Wort Angela Merkels noch?

Mitglieder der sachsen-anhaltischen CDU-Fraktion waren in der Vergangenheit unter anderem mit einem aufgesetzten Papier aufgefallen, in dem sie forderten, „das Nationale mit dem Sozialen zu versöhnen“. Sogar die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel sah sich in Sachsen-Anhalt schon genötigt Stellung zu beziehen, als Mitglieder der CDU-Fraktion mit AfD-Abgeordneten für eine Enquete-Kommission gegen Linksextremismus stimmten. Die Bundeskanzlerin sagte 2017, sie halte dies politisch nicht für richtig. „Wir arbeiten nicht mit der AfD zusammen und wir arbeiten nicht mit der Linken zusammen."

Wenn also schon das gemeinsame Abstimmen mit der AfD für den Einsatz einer Enquete-Kommission von Merkel als Fehler gewertet wurde: Wird es dann für Annegret Kramp-Karrenbauer auch ein Fehler sein, wenn CDU und AfD gemeinsam für oder gegen ein Gesetz stimmen – das wohlbemerkt vom sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten Reiner Haseloff selbst in der Ministerpräsidentenkonferenz mit ausgearbeitet und unterschrieben worden ist?

Koalitionskrach, aber wohl kein Bruch

Bezeichnenderweise äußern sich Haseloff und auch sein Chef der Staatskanzlei, Rainer Robra, derzeit nicht zu den Plänen ihrer CDU-Landtagsfraktion. Diese scheint offenkundig ein Eigenleben zu führen. Dabei droht ernsthafter Krach mit den Koalitionspartnern von SPD und Grünen. Cornelia Lüddemann, die grüne Fraktionsvorsitzende, sagte Cicero: „Die CDU Sachsen-Anhalt muss sich entscheiden, ob sie in einer Zeit, in der die AfD das demokratische System der Bundesrepublik als solches attackiert, mit der AfD einen Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk organisiert oder den Staatsvertrag annimmt.“ Alle Ministerpräsidenten hätten diesen unterschrieben und in 12 Ländern sei er bereits mit Stimmen von CDU und CSU angenommen worden. Die Kritik der CDU Sachsen-Anhalt am öffentlich-rechtlichen Rundfunk bleibe populistisch. Von Konsequenzen für die Koalition aber spricht Lüddemann nicht.

Noch Ende August sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, Rüdiger Erben, dem Spiegel: „Sollten CDU und AfD im Landtag gegen die Beitragserhöhung stimmen, wäre da für uns eine rote Linie überschritten. Das wäre wohl sehr sicher das Ende der Koalition“. Aus diesem „wohl sehr sicher“ scheint wenige Monate später aber ein „wohl sehr unsicher“ geworden zu sein.

Denn dass es wenige Monate vor der kommenden Landtagswahl am 6. Juni 2021 in Sachsen-Anhalt zu einem Bruch der Kenia-Koalition kommen wird, gilt hinter den Kulissen inzwischen als unwahrscheinlich. Aus Kreisen von SPD und Grünen ist zu hören, dass eine vorgezogene Neuwahl kaum noch zu stemmen sei. Zudem sei es mitten in der Corona-Pandemie kaum zu verantworten, noch eine weitere, politische Krise heraufzubeschwören, zumal man nicht wisse, was die CDU dann mit der AfD veranstalten würde, heißt es.

Werden CDU und AfD Erfolg haben?

Fakt ist, die CDU in Sachsen-Anhalt versucht mit Androhung einer Ablehnung des Staatsvertrags einen Druck zu erzeugen, der verfassungsrechtlich eigentlich nicht zulässig ist. Zu hohe Ausgaben und Intendantengehälter, mehr Produktionsstätten im Osten – all das müsste politisch per eigenem Staatsvertrag festgelegt werden. Hingegen: Eine Empfehlung für die Höhe der benötigten Finanzen und damit die Höhe des Rundfunkbeitrags zu ermitteln, obliegt allein der KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten). Und an deren Empfehlung müssen sich die Länderparlamente in der Regel auch halten.

Das stellte zuletzt das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 2007 klar. Demnach scheiden „programmliche und medienpolitische Zwecke“ für ein Abweichen von diesen Empfehlungen aus. „Abweichungsgründe werden sich daher im Wesentlichen in Gesichtspunkten des Informationszugangs und der angemessenen Belastung der Rundfunkteilnehmer erschöpfen“, heißt es dort. Das Bundesverfassungsgericht lehnte damals eine – wohlgemerkt gemeinsame – Entscheidung der Ministerpräsidentenkonferenz von 2003 ab, die KEF-Empfehlungen abzusenken.

ARD, ZDF und Deutschlandradio in Wartestellung

Es ist deshalb damit zu rechnen, dass, selbst wenn CDU und AfD in Sachsen-Anhalt die Erhöhung des Rundfunkbeitrags kippen, das Bundesverfassungsgericht die Erhöhung am Ende wieder durchsetzen wird. Den Intendanten wird schlicht nichts anderes übrig bleiben, als nach Karlsruhe zu ziehen. Denn die Rundfunkanstalten dürfen weder Kredite aufnehmen, noch dürfen sie Schulden machen. Bei seinem Besuch vergangene Woche in Sachsen-Anhalt soll ARD-Intendant Tom Buhrow klargemacht haben, so berichten es Teilnehmer des Treffens: Wenn die Erhöhung von 86 Cent kippe, werde etwa der Sender Radio Bremen unmittelbar pleitegehen.

Auch wenn im Hintergund schon Szenarien und kommende rechtliche Schritte geplant werden, bei den Öffentlich-Rechtlichen hält man sich derzeit offiziell noch bedeckt. Anders als der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil will man zumindest warten, ob der Vorgang Mitte Dezember auch wirklich vollzogen wird. Eine letzte Hoffnung auf eine Umkehr der CDU scheint es zu geben. In einem gemeinsamen Statement sagen ARD, ZDF und Deutschlandradio auf Anfrage von Cicero: „Die CDU in Sachsen-Anhalt wiederholt damit ihre bisherige Position. Wir respektieren den parlamentarischen Prozess. Der Landtag in Sachsen-Anhalt stimmt Mitte Dezember ab.“

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