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Angela Merkel - Die Domina aus Deutschland

Die europäische Krisenpolitik der Bundeskanzlerin zerfällt in zwei unvereinbare Teile: Versprechen an die Sparer und Konjunkturprogramme hier, Zwangsabgaben der Bankkunden und knallhartes Spardiktat bei den anderen. Die Wut der restlichen Welt ist verständlich

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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Dieser Tage soll sich Angela Merkel über Paparazzi aufgeregt haben, die ihr beim Osterurlaub in Ischia aufgelauert und Fotos von ihrer Patchworkfamilie verbreitet haben. Dabei kann sie froh sein, dass es nur Paparazzi waren und nicht ein aufgebrachter italienischer Mob.

Die Kanzlerin ist derzeit die Hassfigur des europäischen Auslandes. Sie wird als die Frau mit der Peitsche wahrgenommen, als Domina aus Deutschland, die alle Länder in Not kujoniert und zum Sparen zwingt; bis hart an die sozial, ökonomisch und gesellschaftlich erträgliche Grenze, und manchmal auch darüber hinaus. Was Griechenland und Zypern – deren Schlendrian und skrupelloses Finanzgebaren ist damit nicht entschuldigt! – an Akutmaßnahmen abverlangt wird – dagegen nimmt sich die Agenda 2010 von ihrem Vorgänger Gerhard Schröder wie ein Wellnessprogramm aus. Anders gesagt: Auch hierzulande würden die Leute auf die Straßen gehen und könnten aufgetürmte Autoreifen brennen, wäre Merkel zu den Maßnahmen gezwungen, die sie von anderen verlangt.

Es ist dabei müßig, eine Position einzunehmen im Streit um die Richtigkeit dieses Spardiktats. Vielleicht haben Leute wie der Nobelpreisträger Paul Krugman recht, die schäumend und mit markigen Worten gegen die europäische Verarmungspolitik der Kanzlerin anschreiben. Vielleicht haben auch die Berater recht, die ihr genau diesen Kurs empfehlen.

Man muss nicht den Nobelpreis für Wirtschaft bekommen haben und auch nicht Kanzlerberater sein. Es reicht ein Blick auf Merkels eigene Politik, um zu sehen: Hier passt etwas nicht zusammen. Die Kanzlerin spricht mit gespaltener Zunge, sie misst mit zweierlei Maß. Ihre Politik scheint dem Sponti-Spruch zu folgen, der einmal aus dem Namen einer Hilfsorganisation gemacht wurde: „Brot für die Welt – aber die Wurst bleibt hier!“

Beispiel 1: der Umgang mit den Sparern. Als die Krise vor einigen Jahren dabei war, auch Deutschland zu erfassen, da stellte sich die Kanzlerin eines Abends Anfang Oktober 2008 mit ihrem damaligen Finanzminister vor die Kameras und erklärte die Spareinlagen der Deutschen für sicher. Diese Garantie war zwar nie durch irgendwas gedeckt, wie inzwischen auch Merkels damaliger Kanzleramtsminister De Maizière einräumt. Aber das Signal war – und das konnte auch eingehalten werden: Eure Sparbücher tasten wir nicht an. Komme, was wolle.

Ganz anders jetzt im Falle Zyperns. Dort gehörten Merkel und ihr heutiger Finanzminister zu denjenigen, die zunächst auch den Kleinsparern ans Geld wollten und schließlich die 100.000-Euro-Lösung mitgemacht haben. Zwar bestreiten Merkel und Schäuble, dass sie die treibenden Kräfte hinter dem Griff nach dem Geld der Kleinsparer waren, aber erstens ist kein Widerspruch ihrerseits dazu aktenkundig, zweitens ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass so was ventiliert bis fast beschlossen wird, ohne dass die deutsche Bundesregierung dahinter steht. Auch gegenüber Portugal zeigt Merkel  keine Gnade, obwohl das Verfassungsgericht den Sparhaushalt des Landes wegen der Kürzung von Renten und Sozialleistungen für teilweise verfassungswidrig erklärt hat.

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Beispiel 2: der Umgang mit Konjunkturprogrammen. Zu jener Zeit, als die Krise auch Deutschland bedrohte, da griff die Kanzlerin tief in die Staatskasse. 1,5 Milliarden Euro war ihr die Abwrackprämie wert, um die Schlüsselindustrie Deutschlands vor dem Sog der Krise zu bewahren. Mehr als eine halbe Million Gebrauchtwagen kamen so in die Schrottpresse und wurden durch 600.000 Neuwagen mit je 2500 Euro Staatsstütze ersetzt. An der Neuwagenschwemme von damals knabbern die deutschen Autobauer heute etwas, weil der Markt gesättigt ist. Dennoch erwies sich die Maßnahme als erfolgreich.

Zugleich legte die Regierung ein 50 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm auf, für Straßen, Gebäude, alles Mögliche. Noch heute wachsen neue Schulgebäude in die Höhe, deren Planung auf dieses Paket zurückgehen und nähren die deutschen Bauunternehmer.

Der Logik von Konjunkturhilfen bei notleidenden Nachbarn aber hat sich Merkel komplett verschlossen. Die sollen sparen, bis es quietscht, staatliche Leistungen kürzen und keine Aufhübschprämien für Hotels und Gaststätten auflegen. Das wäre das Äquivalent zur deutschen Abwrackprämie. 

Es geht deshalb gar nicht um die Frage, ob Krugman recht hat, wenn er Merkel beinahe obsessiv als „dim-witted“, also schwer von Begriff, bezeichnet. Es kann auch immer sein, dass viel und prominente Kritik nur beweist, wie richtig man liegt mit seiner Politik. Es muss nicht unbedingt beirren, wenn der britische Economist in einem der besten Magazin-Cover der vergangenen Jahre einen Tanker namens Weltwirtschaft auf den Meeresgrund sinken lässt und eine Sprechblase aus dem Turm fragt: „Frau Merkel, dürfen wir jetzt endlich die Maschinen starten?“

Nein. Es sind nicht die naseweisen Besserwisser aus dem Ausland, die einen wirklich ans Grübeln kommen lassen. Es ist Merkels eigene Politik hierzulande, die ihre Politik in den südeuropäischen Krisenländern falsifiziert und damit den Gedanken nährt: Die Wut auf die deutsche Domina ist völlig berechtigt.

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