- Das Werk ist klüger als sein Autor
Die Diskussionen um den an Peter Handke verliehenen Literaturnobelpreises machen eines deutlich: Die eigentliche Ehrung ist seine größte Niederlage. Die Kritik aber muss dem österreichischen Autor gelten, nicht dem Komitee
Peter Handkes größter Sieg ist seine größte Niederlage. Peter Handke – seit Jahrzehnten ein Superstar der Literaturszene, brillanter Provokateur und Autor von Weltrang – galt seit vielen Jahren als aussichtsreicher Kandidat für den Nobelpreis für Literatur. Nun hat er ihn also bekommen, den wichtigsten und renommiertesten aller Literaturpreise, ist berühmter als je zuvor und in aller Munde, jedoch nicht so, wie er es gerne hätte.
Zumindest in Europa kennen ihn nun alle, einschließlich jener, die noch nie eine Zeile von ihm gelesen haben – diesen in der Nähe von Paris lebenden Österreicher slowenischer Herkunft, der das verbrecherische Terror-Regime in Serbien verteidigt und verharmlost hat, zum Begräbnis des Massenmörders Milošević angereist und dort eine den Verbrecher huldigende Rede gehalten hat.
Man tendierte zum Vergessen
Peter Handke – ist das nicht der vergeistigte Ästhet, Eigenbrötler und Snob, der seine Lebensgefährtin verprügelt und Journalisten unflätig beschimpft hat? Ja, natürlich. Das alles war seit langem bekannt, doch tendierte man in den letzten Jahren dazu, es zu vergessen. Nach den Skandalen der 1990er und 2000er Jahre wurde Handke wieder als das wahrgenommen, was er in erste Linie immer sein wollte – ein Literat. Damit ist jetzt Schluss.
Mit der Verleihung des Literaturnobelpreises tritt die Literatur in den Hintergrund. Handke wird endgültig zu einem Symbol, einer Metapher oder einer Projektionsfläche. Im kollektiven Gedächtnis wird er nun vor allem als Anhänger eines verbrecherischen Regimes in Erinnerung bleiben, am ehesten vergleichbar mit Literaturnobelpreisträger Knut Hamsun, der mit den Nazis kollaboriert und noch am 7. Mai 1945 einen positiven Nachruf auf Adolf Hitler in einer norwegischen Zeitung veröffentlicht hatte. Wenn ich an Handkes Stelle wäre, hätte ich jedenfalls keine große Lust zum Feiern…
Das Werk ist klüger als der Autor selbst
Kaum jemand wird bestreiten, dass der Autor Handke den Literaturnobelpreis verdient hat. Seine Erzählungen, allen voran „Wunschloses Unglück“, gehören zum Schönsten und Tiefsinnigsten, was man auf Deutsch lesen kann. Seine Theaterstücke sind brillant, einzelne Reflexionen und Beschreibungen fantastisch. Wenn etwas „der Menschheit den größten Nutzen erbracht hat“, wie es in der von Alfred Nobel formulierten Bedingung für die Verleihung des Nobelpreises formuliert wurde, dann trifft dies auf Handkes Werk zweifellos zu.
Glücklicherweise ist das besagte Werk klüger als der Autor selbst. Als politischer Mensch setzt Handke der nüchternen Realität eine Welt der Ästhetik und der „alternativen Fakten“ entgegen, der man nur mit Erstaunen, Widerwillen, im allerbesten Fall mit Belustigung begegnen kann. Allein – seine Figuren und seine Texte wehren sich dagegen. Meist wissen sie nicht, dass ihr Erschaffer in seinem mehr als entbehrlichen „Sommerlichen Nachtrag zu einer winterlichen Reise“ nach Serbien Tatorte des Massenmordes als „mutmaßliche [sic!] Massakerstätten“ bezeichnet und bei dem Auftraggeber dieser Massaker, dem Kriegsverbrecher Radovan Karadžić, 1996 zu Gast war.
Alfred Nobels Rassismus und Antisemitismus
In ihrer Abgründigkeit, Ambivalenz und Tragik sind Handkes Figuren und Texte direkt oder indirekt Träger jener Menschlichkeit, den der Pazifist und Humanist Alfred Nobel mit seinem Preis stärken wollte. In diesem Zusammenhang vergisst man jedoch zu oft, dass in Nobels Briefen nicht nur Idealismus, sondern auch Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus zu finden sind. Muss man da von den zahlreichen Preisträgern wirklich erwarten, dass sie charakterlich tadellos sind?
In letzten Tagen sind Stimmen aufgetaucht, die Handkes Kritikern und jenen, die behaupten, er haben den Nobelpreis zu unrecht verliehen bekommen, vorwerfen, sie würden politische über ästhetische Kriterien stellen. Der Vorwurf ist unfair. Der Nobelpreis selbst ist durch seine Entstehung, seinen Erschaffer und die Art und Weise, wie er definiert ist, ein politischer.
Wer die Welt verbessern will, kann sich nicht auf „ästhetische Maßstäbe“ zurückziehen, wenn er mit politischen und moralischen Argumenten konfrontiert wird. Vielmehr bietet die Verleihung des Literaturnobelpreises an Peter Handke eine weitere Gelegenheit, über die Rolle des Künstlers in der Welt, über seine Verantwortung sowie über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit der Trennung zwischen Person und Werk zu diskutieren…
Ob Handke je Fehler eingestehen wird?
Wäre Handke ein kluger Mensch, wäre er milde und wohlmeinend, hätte er zudem idealerweise eine gute Portion Selbstironie gepaart mit der für jeden Intellektuellen unerlässlichen Fähigkeit zur Selbsthinterfragung, könnte er die nun aufgeflammte Diskussion rund um seine Person nützen, um manches von dem, was er einmal gesagt oder getan hat, zu relativieren, richtigzustellen, Fehler einzugestehen, ironisch zu brechen oder sich schlichtweg zu entschuldigen.
So könnte er vieles wieder gut machen und menschliche Größe zeigen. Dies wird jedoch, fürchte ich, niemals passieren. So bleibt uns nur zu hoffen, dass er ein weises Alterswerk schafft, welches die Biographie seines Autors wenigstens ein bisschen vergessen lässt.
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"In diesem Zusammenhang vergisst man jedoch zu oft, dass in Nobels Briefen nicht nur Idealismus, sondern auch Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus zu finden sind." Spätestens an dieser Stelle habe ich erkannt, dass hier wieder einer dieser neuen Moralisten sein Schwert wetzt, die nicht fähig sind oder sein wollen, historisch zu denken, den damaligen Zeitgeist weder verstehen, noch relativieren können. Die sich erdreisten, an ihrem eitlen Moralmaßstab Persönlichkeiten der Geschichte zu messen und sich dabei noch, dem aktuellen Zeitgeist anbiedernd, der Unterschlagung schuldig machen zu erwähnen, dass es dafür unterschiedliche Maßeinheiten gibt.
Sie scheinen im Artikel das zu sehen, was Sie sehen wollen. Ich erkenne keinen "eitlen Moralmassstab". Dass sich jemand "erdreistet" auch Schattenseiten von Persönlichkeiten der Geschichte (gehört der Dynamiterfinder wirklich dazu, niemand kennt ihn mehr über den Preis hinaus, den er gestiftet hat?) zu erwähnen, kann nur stören, wenn man dem Geniekult des Bürgertums des 19. Jahrhunderts verfallen ist. Und ob sich Antisemitismus wie derjenige von Wagner (Nobels Schriften kenne ich nicht) wirklich mit dem "Zeitgeist", dem sich niemand entziehen konnte, erklären lässt, würde ich stark bezweifeln. Es gab auch schon vor 150 Jahren Menschen, die Rassisten, Antisemiten und Kolonialisten vom Typ eines Luegers, eines Chamberlains, eines Rhodes, eines Wilhelm II skeptisch gegenüber standen.
Das trifft leider auch auf den deutschen Literaturnobelpreisträger Günter Grass von 1999 zu, der es ein Leben lang verheimlichte, dass man ihn zur Waffen-SS eingezogen hatte. Dabei hätte gerade die Eröffnung dieser verheimlichten Schande eine so notwendige Diskussion über Schuld und Verstrickung zur Folge haben können. Aber dazu waren die einen zu feige und zu klein, die anderen zu nassforsch und dummdreist. Das eine ist eben Fiktion und wird es immer bleiben, das andere Leben. Wahres, echtes Leben.
sind gravierend und sollten im Vorfeld der Verleihung des Literaturnobelpreises ganz sicher besprochen werden.
Zuletzt wird dann aber auch ins Gewicht fallen, welche Leute gegen Herrn Handke aufstehen und wer nicht.