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(picture alliance) Drei mal drei macht vier - Pippi Langstrumpf können auch schrecklichste Prognosen nichts anhaben

Armut - Warum wir Pippi Langstrumpf brauchen

Deutschland ist verrückt nach Pippi Langstrumpf und das hat einen guten Grund: Mit ihrem Lebensmut und ihrer Kraft ist sie vielen ein Vorbild. Gerade in einem Land wie Deutschland, in dem es nicht unbedingt gerecht zugeht. Die Sonntagskolumne

Ob Julnissen, Santa Claus oder das Christkind. Unter vielen Weihnachtsbäumen lagen am gestrigen heiligen Abend sicherlich Pippi-Langstrumpf-Bücher, Pippi-Langsstrumpf-DVDs, Pippi-Langstrumpf-Strümpfe. Die Süddeutsche Zeitung zitierte vor kurzem eine Untersuchung nach der 99,6 Prozent aller Deutschen das kleine „wilde, unangepasste, unkonventionelle und bunte Mädchen“ mit ihrer „Kombination aus roten Haaren, Sommersprossen und bunter wild gewürfelter Kleidung“ kennen würden. Mit diesen Attributen charakterisierte gerade das Landgericht Köln das Astrid-Lindgren-Geschöpf und verurteilte einen Discounter zu 50.000 Euro Schadenersatz. Dort waren Pippi-Langstrumpf-Kostüme angeboten worden, ohne die nötige Lizenzgebühr an die Erbengemeinschaft Astrid Lindgren zu zahlen.

Und damit waren sie nicht die einzigen, die auf den Pippi-Zug aufspringen. Ob kroatische Pippi-Limonade, Taka-Tuka-Wein oder diverse Kindertagesstätten mit Namen Villa Kunterbunt – Pippi ist allgegenwärtig. Deutschland ist Pippi-verrückt. Die Sehnsucht nach der Pippi in uns vergeht auch im hohen Alter.

Und das hat einen guten Grund: Pippi ist – trotz prekärster Lebensverhältnisse – immer frohgemut, immer guter Laune. Sie gibt nicht auf. Viele Kolumnen habe ich in diesem Jahr verfasst. Häufig war das Thema die Armut in Deutschland. Verzweifeln könnte man ob der Schreckensmeldungen, der vielen Studien und Volksbefragungen, die alle eine Nachricht haben: Vielen Menschen in diesem Land geht es schlecht. Vielen Kindern fehlt es an hoffnungsfrohen Zukunftsperspektiven, vielen Eltern fehlt es an Kraft, vielen Alten an Unterstützung. Sie alle könnten ein bisschen etwas von Pippi Langstrumpfs Lebensmut gebrauchen, um mit den Ungerechtigkeiten in diesem Land fertig zu werden.

Pippi geht nicht zur Schule. Wenn sie sich langweilt, vertreibt sie sich ihre Zeit als Sachensucherin, wobei der wirtschaftliche Erlös ihrer Beschäftigung gegen Null geht. Geld spielt in ihrem Leben keine Rolle. Obwohl Pippi ein – aus heutiger Sicht – verwahrlostes Waisenkind ist, müssen wir uns um sie keine Sorgen machen. Als Polizisten kommen, um sie in ein Heim zu bringen, spielt sie mit ihnen Fangen, bis die Ordnungshüter von ihr ablassen. Behördengänge lehnt Pippi ab, Jugendeinrichtungen kommen nicht an sie heran, aber das ist nicht schlimm. Ihre Einschlaflieder singt sie sich selbst. Die Füße auf dem Kopfkissen. Spaghetti schneidet sie mit der Schere. Pippi findet immer eine Lösung.

Die Menschen in Duisburg oder Gelsenkirchen hätten dieser Tage wahrlich noch mehr langstrumpfschen Flair nötig als der Rest der Republik. Der paritätische Wohlfahrtsverband hat in seinem Armutsbericht von 2011 das Ruhrgebiet zur absoluten Problemzone erkoren. Trotz des starken Wirtschaftswachstums in den vergangenen Jahren ist die Armut in ganz Deutschland nicht zurück gegangen, beklagt auch dieser Bericht als einer der letzten im Jahr 2011. Sämtliche Alarmglocken sollten schrillen ob der besorgniserregenden Zahlen aus dem größten Ballungsgebiet Deutschlands: Während es im bisherigen Sorgenteil der Republik, dem Osten, langsam aufwärts geht, herrscht in Städten wie Essen, Mühlheim an der Ruhr oder Gelsenkirchen Hoffnungslosigkeit und Tristesse: Die Zahlen der Hartz-IV-Empfänger verharren in Höchstwerten oder steigen sogar an. „Wenn dieser Kessel mit fünf Millionen Menschen einmal zu kochen anfängt, dürfte es schwer fallen, ihn wieder abzukühlen“, warnt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.

Während der Weihnachtstage schaffen wir es zeitweise sehr erfolgreich, die Debatten über Hartz-IV-Regelsätze, Bildungschancen benachteiligter Kinder und drohende Altersarmut mit Lametta, Kerzenschein und Kirchengesängen zu übertünchen. Eine großzügige Spende an arme Kinder und der Gänsebraten schmeckt wieder deutlich besser. Was zynisch klingt, ist Realität – und nur menschlich. Und deswegen brauchen wir Pippi Langstrumpf. Weil sie Hoffnung gibt, wenn es ganz schlimm kommt. Weil ihre Geschichten den Menschen aus den Studien Kraft geben kann. Denn die Berichte über notleidende Menschen in Deutschland werden auch im Jahr 2012 wieder erscheinen.

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