- „Philipp Rösler kann zufrieden sein“
Monatelang ist es der FDP nicht gelungen, sich politisch zu profilieren. Beim gestrigen Koalitionsausschuss konnte sie nun einige ihrer Anliegen durchsetzen. Dennoch räumt Gerd Langguth den Liberalen kaum Chancen bei der Wahl 2013 ein
Herr Langguth, sind die Beschlüsse des
Koalitionsausschusses als Gewinn für die Wählerschaft zu werten
oder haben sich CDU, CSU und FDP vielmehr selbst
beschenkt?
Beides. Es wurden Themen besprochen, die im Raum standen und die
gelöst werden mussten. Sie mussten aber auch deswegen gelöst
werden, weil sich die Koalition als regierungsfähig präsentieren
musste. Der Koalitionsausschuss war die letzte Chance vor den
Bundestagswahlen.
Ist es der Koalition denn gelungen, sich als
regierungsfähig zu präsentieren – zumindest für die kommenden elf
Monate bis zur Bundestagswahl?
Ich denke, ja. Das Betreuungsgeld war das umstrittenste Thema. Da
kam Merkel wegen des Vetorechts der FDP nicht voran. Nun fand man
eine Lösung. Und was bleibt Schwarz-Gelb denn anderes übrig, als
den Willen zu einer erneuten Koalition kundzutun?
Man könnte ein Scheitern der Koalition in Kauf
nehmen?
Sich aus Unionssicht heute schon für eine andere Koalitionsaussage
als für Schwarz-Gelb stark zu machen, wäre töricht. Täte Merkel
heute ihre Präferenz einer Koalition etwa mit der SPD kund, würde
diese das brüsk zurückweisen müssen – der Kanzlerkandidat
Steinbrück hat für seine Person erklärt, dass er keinesfalls bereit
wäre, in ein Kabinett Merkel einzutreten.
Eine kluge Entscheidung?
Dies ist eigentlich eine erstaunliche Aussage. Nach der
Bundestagswahl könnte eine Situation entstehen, in der eine Große
Koalition unvermeidlich ist. Dann würde sogar Frank-Walter
Steinmeier als Stellvertreter des Bundeskanzlers in Betracht
gezogen werden müssen. Steinbrück müsste sich erneut auf den
politischen Ruhestand vorbereiten. Aber auch andere Konstellationen
sind denkbar: Theoretisch käme sogar Schwarz-Grün in Betracht, auch
wenn sich die Grünen heute offiziell mit aller Heftigkeit dagegen
wehren. Alles ist offen. Entscheidend wird die Statistik am
Wahlabend sein. Die Grünen würden dann zuschlagen, wenn eine
Koalition mit Merkel ihre einzige Chance zu einer
Regierungsbeteiligung ist. Hinzu kommt ein – nicht sehr
wahrscheinliches, aber doch denkbares – Szenario, bei dem nur
Union, SPD und Grüne in den Bundestag kommen und alle anderen
Parteien – FDP, Linke und die noch nicht vertretenen Piraten –
unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen. Das könnte sogar zu einer
absoluten Mehrheit der Union führen.
Dass erneut Schwarz-Gelb die Mehrheit erzielen, halten
Sie jedoch für unwahrscheinlich?
Die FDP ist durch die Fünf-Prozent-Hürde gefährdet. Schwarz-Gelb
ist zum jetzigen Zeitpunkt recht unwahrscheinlich. Aber das hatten
kluge Leute auch vor der letzten Bundestagswahl gesagt. Der Wähler
und die Wählerinnen sind heute immer unkalkulierbarer. Ich glaube,
dass es auf eine große Koalition herausläuft.
Dennoch konnte sich die FDP in der vergangenen Nacht
durchsetzen – die Praxisgebühr fällt weg. Kann Philipp Rösler
zufrieden sein?
Ja, das kann er. Mir scheinen die Ergebnisse ein Punktsieg für die
FDP zu sein, nicht nur, weil die unpopuläre Praxisgebühr
abgeschafft wurde, sondern weil es ihr gelang, im Zusammenhang mit
dem Betreuungsgeld dafür zu sorgen, dass nicht nur das Modell einer
Barzahlung möglich ist, sondern dass eine Bildungskomponente hinzu
kam. Immerhin wurde das Betreuungsgeld durch das faktische
Hinhalten der FDP jetzt auf den 1. August kommenden Jahres
verschoben, das dann zeitgleich mit den Kita-Zahlungen eingeführt
wird.
Und die CDU?
Die CDU bekam auch einiges aus dem Pott. Zum Beispiel eine
Aufbesserung der Rente von Geringverdienern. Die
Haushaltskonsolidierung, dass nämlich bis 2014 das „strukturelle
Defizit“ des Bundeshaushaltes beseitigt werden soll, war zwar eine
Forderung der FDP, musste aber auch der CDU recht sein. So können
alles in allem die Koalitionspartner zufrieden sein, auch wenn
ihnen der Ruf des „Kuhhandels“ – wie vom Parlamentarischen
Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann – entgegenschallte.
Seite 2: Wer wird der Kanzlerin gefährlich?
Die Opposition hatte angekündigt, eine Verfassungsklage
einzureichen, sollte das Betreuungsgeld beschlossen werden. Könnte
sie den Entschluss wieder kippen?
Dieser Klage gebe ich nicht viele Chancen. Die Opposition wird
versuchen, alles zu problematisieren. Das ist auch ihr gutes
Recht.
Könnte Peer Steinbrück der Kanzlerin gefährlich
werden?
Steinbrück ist aus der Troika der SPD der für Merkel gefährlichste
Gegner. Er hat während der Großen Koalition sehr vertrauensvoll mit
ihr zusammengearbeitet; er weiß, wie Merkel tickt. Das gilt
allerdings auch umgekehrt. Ein Kuschelwahlkampf wie bei der letzten
Wahl wird es sicherlich nicht geben. Das hängt damit
zusammen, dass Steinbrück ein stärkeres Profil hat als Steinmeier
es hatte.
Ansonsten sehe ich jedoch kaum inhaltliche Unterschiede zwischen beiden Merkel und Steinbrück, auch wenn Steinbrück versucht, eine unmittelbare Konfrontation mit der Kanzlerin herbeizuführen, zum Beispiel im Bundestag. Sie ist dem bislang aber geschmeidig ausgewichen. Ich sehe noch nicht die große Polarisierung, auch wenn Steinbrück sich darum bemühen muss, das eigene Wählerpotenzial auszuschöpfen. Es gibt auch noch keine Wechselstimmung, zumal Merkel auch bei den SPD-Wählern eine hohe Akzeptanz hat. Im Gegensatz zu Kohl 1998 hat man sie sich noch nicht sattgesehen. Die Umfragewerte von Angela Merkel sind schon seit längerer Zeit erstaunlich hoch. Auch die Nominierung von Peer Steinbrück hat hieran nicht viel geändert.
Nicht zuletzt, weil Steinbrück genauso wie Merkel – das
haben Sie immer wieder betont – vielmehr „pragmatischer
Problemlöserin“ als „Ideologe“ ist?
Ja, auch Peer Steinbrück wird sich mit einer harten Polarisierung
schwertun. Der ist Merkel letztlich zu ähnlich, um wirklich als
eine Alternative für sie angenommen zu werden. Die alten
ideologischen Schlachten sind vorbei. Mit ihrem Pragmatismus
entspricht Merkel einer breiten Stimmung in der Bevölkerung.
Wenn nicht Steinbrück, könnte ihr dann der Euro die
Wiederwahl streitig machen?
Der Euro wird alles bestimmen. Merkel versucht, schwierige
Entscheidungen in Sachen Euro, insbesondere bezüglich
Griechenlands, auf die Zeit nach den Bundestagswahlen zu
verschieben. Der Euro liegt Merkel politisch schwer im Genick, ja.
Er könnte für sie auch schicksalshaft sein. Ich vermute aber, dass
angesichts vieler, zum Teil auch widersprüchlicher Aussagen aus der
SPD zum Euro viele Deutsche ein größeres Risiko in der Wahl der SPD
sehen. Denn diese hat sich in Sachen Eurobonds und Eurobills sehr
weit aus dem Fenster gehängt. Das übergroße Vertrauen in die
Europapolitik Merkels wird vermutlich bis zu den Bundestagswahlen
anhalten.
Auch, wenn Deutschland bereits vor der Wahl – und davon
gehen viele Experten aus – den europäischen Sparkurs deutlich
stärker spüren wird als bisher?
Die Konjunktur kann infolge der Eurokrise zu einer großen
Belastungsprobe für die Deutschen werden. Sicher wird die
Eurorettung im kommenden Jahr die Deutschen auch etwas kosten.
Trotz der wirtschaftspolitischen Kompetenz von Steinbrück stellt
sich aber die Frage der Alternative zur Kanzlerin. In der
Bevölkerung wird vermutlich die Meinung vorherrschen, dass die SPD
insbesondere den südlichen Ländern in der EU viel weiter
entgegenkäme als Merkel und die CDU. Übrigens kommen Krisenzeiten
immer der Exekutive entgegen.
Professor Dr. Gerd Langguth unterrichtet Politische Wissenschaft an der Universität Bonn. Er ist ehemaliges Mitglied des Bundestages und des CDU-Parteivorstanden sowie Autor zahlreicher politischer Sachbücher, unter anderem einer Biographie über Angela Merkel.
Das Interview führte Jana Illhardt
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