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(picture alliance) Opfer und ihre Antwälte sind fassungslos, dass NSU-Ermittlungsakten wissentlich vernichtet wurden (Symbolfoto)

Aktenvernichtung - Wie reagieren die NSU-Opfer auf Fromms Rücktritt?

Die Angehörigen der Opfer des NSU-Terrors sind in besonderer Weise an rückhaltloser Aufklärung über die Pannen bei der Fahndung interessiert. Wie reagieren sie auf den Rückzug des Verfassungsschutz-Chefs?

Fünf Tage waren vergangen, seitdem Semiya Simsek über die Medien erfahren hatte, dass mutmaßlich Rechtsextremisten die Mörder ihres Vaters Enver waren. Dann klingelte am 16. November 2011 ein Mann vom BKA bei ihr zu Hause. Sie kannte ihn, er gehörte zu den Ermittlern der bayerischen Sondereinheit „Bosporus“, die jahrelang versucht hatten, die Familie dazu zu drängen, einen familiären Hintergrund als Tatmotiv zuzugeben. Nun saß der Beamte kleinlaut auf der Couch und sagte: „Wenn das stimmt, was jetzt bekannt wird, dann haben die uns doch auch verarscht.“ Mit „die“ meinte der Mann den Verfassungsschutz.

Semiya Simsek erinnerte sich am Montag an diese Episode und ihre Stimme wird laut.

Gerade ist sie wieder ein paar Wochen in der Türkei, aber die Sache mit dem zurückgetretenen Verfassungsschutzpräsidenten Heinz Fromm und den geschredderten Akten hat sie mitbekommen. Sie sagt: „Der Rücktritt von Herrn Fromm ist ehrenwert, aber er beantwortet keine einzige Frage. Es macht mich wütend, dass eine rückhaltlose Aufklärung durch das Vernichten der Akten vereitelt worden ist. Ich habe immer gedacht, eine Verschwörung könne es nicht sein, aber was sollen wir Opfer denn nun denken?“ Ihr Anwalt Jens Rabe findet: „Den Opfern wird wieder ein Stück Gewissheit gestohlen, weil ein Teil der Aufklärung unmöglich geworden ist. Dabei wurde ihnen vor allem Aufklärung versprochen. Das führt bei den Hinterbliebenen dazu, dass das Vertrauen in die Behörden immer mehr schwindet.“

Auch ein anderer Opferanwalt ist fassungslos. Mehmet Daimagüler, der eine der betroffenen Familien vertritt, sagt: „Ich glaube auch nicht an Verschwörungstheorien, und ich habe gedacht, am Ende eines Prozesses werde ich noch viel weniger daran glauben. Nun bin ich nicht mehr so davon überzeugt.“ Das liegt für den Anwalt auch daran, dass sich etwa die Landesinnenminister geweigert hätten, mit dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zusammenzuarbeiten, so dass zum Beispiel die Opposition in Sachsen einen eigenen Ausschuss auf Landesebene durchsetzen musste, in dem die NPD sitzt. Daimagüler sagt: „Nun bin ich gezwungen, denen zu schreiben, ob ich sichergehen kann, dass persönliche Daten meiner Mandantin nicht in deren Hände gelangen. Darauf bekomme ich die Antwort, vermutlich sei das gewährleistet. Vermutlich!“ Er nennt noch ein anderes Beispiel dafür, warum das Vertrauen in den Aufklärungswillen der Behörden bei ihm nicht sehr ausgeprägt sei: das Verhalten von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Bis heute weigere sich der ehemalige Innenminister, dazu beizutragen, die Frage zu klären, „was ein Verfassungsschützer zur Tatzeit in dem Internetcafé zu suchen hatte, in dem der Besitzer Halil Yozgat ermordet wurde“.

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Daimagüler denkt bereits in die Zukunft und findet: „Wenn es zu einer Reform der Geheimdienste kommen sollte, brauchen wir nicht nur Effizienz, sondern vor allem Kontrolle. Zurzeit weiß die Politik nicht, was der Verfassungsschutz macht, und die Spitze der Behörde weiß es anscheinend auch nicht.“

Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer der rechtsextremistischen Mordserie, Barbara John, sieht keinen Grund, dem zurückgetretenen Verfassungsschutzpräsidenten Respekt zu zollen. Sie sagte auf Nachfrage: „Das ist ein komfortabler Rücktritt, weil er keinen Respekt erzeugt. Achtung für Herrn Fromm wäre nur angebracht gewesen, wenn der Präsident in seinem letzten Amtsjahr mit absoluter Schonungslosigkeit die Schwächen der Versagertruppe aufgearbeitet hätte.“ John merkte zu den geschredderten Akten an: „Nun ist alles denkbar, was eine mögliche Mitwisserschaft des Verfassungsschutzes angeht. Vor diesem Abgrund muss uns allen schaudern.“

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