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(picture alliance) Gauck unterzeichnet vorerst nicht

Euro-Rettung im Wartestand - Gauck zieht die Notbremse

Joachim Gauck als ESM-Bremse: Der Bundespräsident sicherte zu, die Gesetze zum Europäischen Stabilitätsmechanismus und zum Fiskalpakt bis zur Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht zu unterzeichnen. Die Euro-Rettung entscheidet sich somit nicht in Berlin, sondern in Karlsruhe

Nach einigen Verhandlungswochen konnten sich Regierung und Opposition auf die Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt einigen. Nun folgen am Wochenende die Gespräche mit den Bundesländern. Schon am darauffolgenden Freitag sollen ESM und Fiskalpakt im Paket durch Bundestag und Bundesrat durchgebracht werden. Ende gut, alles gut?

Weit gefehlt. Der letzte Akt ist zwar förmlicher Natur, indem der Bundespräsident die Ausfertigungsurkunde unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Dazu kommt es allerdings vorerst nicht. Karlsruhe hat bereits Joachim Gauck gebeten, bis zur vollständigen rechtlichen Prüfung von ESM und Fiskalpakt die Gesetze nicht zu unterzeichnen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigte sich von der Bitte aus Karlsruhe indes wenig begeistert: „Ich glaube nicht, dass es klug ist, wenn die Verfassungsorgane öffentlich miteinander kommunizieren.“

Diese Einlassung zeigt: Die Nerven der Bundesregierung liegen blank. Sie hat sich erhofft, mit der raschen Ratifizierung von ESM und Fiskalpakt ein starkes Signal zum 1. Juli an die Märkte auszusenden. Allerdings hätte die Regierung beim Urteil zu den Informationsrechten des Bundestags bereits aufhorchen können, dass Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle und die übrigen Richter in Entscheidungen, die das Demokratieprinzip berühren, eher auf die Entdeckung der Langsamkeit setzen.

Schon bei der Ratifizierung des Lissabonvertrages 2008/2009 ist der damalige Bundespräsident Horst Köhler einer ähnlichen Bitte der Verfassungsrichter nachgekommen. Am Ende mussten Bundestag und Bundesrat nachsitzen und ausgerechnet ihre eigenen Mitwirkungsrechte intensiv nachbessern.

So zeichnet sich ab, dass die Zustimmungsgesetze zum ESM und Fiskalpakt frühstens im Spätherbst dieses Jahres tatsächlich in Kraft treten können. Prompt bricht im politischen Berlin Streit darüber aus, wer für die Verzögerung verantwortlich ist: „Es erweist sich als schlimmer Fehler, dass die Bundesregierung die Ratifizierung des ESM so spät in Angriff genommen habe. Merkel hätte nach dem Beschluss über den ESM am 23. Januar die Ratifizierung sofort in die Wege leiten müssen“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer, Thomas Oppermann.

Auf der nächsten Seite, die Verfassungsorgane müssen an einem Strang ziehen

Im Lissabonurteil stellte das Bundesverfassungsgericht bereits strenge Leitlinien auf, künftig Kompetenzen auf die Europäische Union zu übertragen. In der Entscheidung hieß es, dass sich der Staat entleeren könne, wenn er Hoheitsaufgaben an supranationale Institutionen abgebe. Dies müsse vermieden werden. Im Übrigen ist es Bundestag und Bundesrat untersagt, Kompetenzen, die zur Verfassungsidentität gehören, selbst mit einer Zweidrittelmehrheit an supranationale Einrichtungen zu übertragen. Die Karlsruher Richter zeigten lediglich den Weg über Artikel 146 des Grundgesetzes auf, indem sich das gesamte deutsche Volk eine neue Verfassung geben müsse.

Ernsthaft kann dieser Artikel nur angewendet werden, wenn die Vereinigten Staaten von Europa unmittelbar vor der Tür stehen. Derzeit muss man dies also eher als theoretischen Lösungsweg verstanden wissen. Das Bundesverfassungsgericht hat damit vielmehr eine rote Linie gezogen.

Der permanente Rettungsschirm ist nun so eine supranationale Organisation. Dies bedeutet, dass der ESM als Finanzinstitution eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt und von den beteiligten Mitgliedsstaaten mit Kompetenzen ausgestattet wird. In den Fokus rückt vor allem, dass diese Finanzinstitution ein Geldvolumen von 700 Milliarden Euro überantwortet bekommt, um notleidende Mitgliedsstaaten im Ernstfall aufzufangen.

Der Fiskalpakt hingegen modifiziert die Kriterien von Maastricht dahingehend, dass erstens die in Deutschland bereits geltende Schuldenbremse europaweit eingeführt wird. Und zweitens, dass in Krisenzeiten Mitgliedsstaaten von den vorgegebenen Kriterien zur Neuverschuldung abweichen dürfen. Es ist gewissermaßen der Versuch, den Keynesianismus zu Ende zu denken. Investieren in Krisenzeiten, sparen in guten Zeiten.

Dennoch sind zuvor verfassungsrechtliche Bedenken vollständig auszuräumen. Die Linksfraktion im Bundestag steht mit einem Eilantrag und einer Klage auch schon in den Startlöchern: „Fiskalpakt und ESM greifen so tief in die grundgesetzlich verbrieften Rechte des Parlaments ein, dass das Hau-Ruck-Verfahren der Bundesregierung einem Anschlag auf die Demokratie gleichkommt“, sagte Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi und begrüßte die Bitte des Bundesverfassungsgerichts, das Gesetz nicht auszufertigen.

[gallery:Eine kleine Geschichte des Euro] 

Derzeit sieht alles nach einer Zusammenarbeit der deutschen Verfassungsorgane aus. Gauck sicherte zu, die Zustimmungsgesetze zu ESM und Fiskalpakt bis zur abschließenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu unterzeichnen. Die Bundesregierung  muss sich letztlich dem Drang nach einem schnellen Wirksamwerden der Euro-Rettung widersetzen, um die Kooperation der Verfassungsorgane nicht zu gefährden.

Es wäre fatal gewesen, wenn Gauck die Zustimmungsgesetze zum 1. Juli ausfertigt hätte und Karlsruhe im Nachhinein die Verfassungswidrigkeit hätte feststellen müssen. Alle Verfassungsorgane sind jetzt in dieser schwierigen Zeit zur Kooperation verdammt. Sonst wird aus der Finanz- und Wirtschaftskrise schnell eine veritable Verfassungskrise.  

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