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(picture alliance) Gezwungen, zu verweilen. Die Residenzpflicht kettet Asylbewerber an ihre Heime.

Asylsuche in Deutschland - Fühlt Euch bloß nicht willkommen

Als erstes Bundesland hat Brandenburgs rot-rote Regierung vor eineinhalb Jahren die Residenzpflicht gelockert. Asylsuchende dürfen sich seitdem relativ frei bewegen - in ihrem Bundesland. Eine Ausweitung auf ganz Deutschland aber ist längst überfällig. Die Sonntagskolumne

Waßmannsdorf ist nur ein Name von vielen. Es ist eines der zahlreichen Flüchtlingsheime in Deutschland. Sie liegen oft in kleinen idyllischen Ortschaften, in denen die Rasen der Vorgärten akkurat gekürzt sind, in denen aber Cafés, Kinos oder Sportplätze weit entfernt sind. Die grauen Flüchtlingsheime versprühen häufig den Charme ausrangierter Schulgebäude aus den 70er Jahren, aus ihren Fenstern ragen Satellitenschüsseln, weil es sonst nichts zu tun gibt für die Bewohner, außer der Welt da draußen im TV hinterherzugucken.

Im vergangenen Jahr wurde das Heim Waßmannsdorf bekannt, weil einer der Wachleute einen Schwarzafrikaner beleidigt und verprügelt haben soll. Sonst hört man nicht viel aus diesen Parallelwelten Deutschlands, in denen selbst die Heimleitung oft nur ein Mindestmaß an Interesse für die Bewohner übrig hat. So kommt es schon einmal vor, dass einer von ihnen über Tage in seiner zellenartigen Behausung liegt und niemand bemerkt, dass dieser Mensch schon seit einiger Zeit tot ist.

Asyl in Deutschland zu suchen, ist kein Spaziergang. Es ist ein Kampf durch bürokratische Instanzen, vor allem aber ein Überleben am Rande des Menschenwürdigen. Das liegt auch an einer kruden deutschen Spezialität, die das Leben der Asylbewerber erschwert: Die Residenzpflicht. Die ist einmalig in der Europäischen Union und besagt, dass sich Asylsuchende und Geduldete nur innerhalb der Grenzen der für sie zuständigen Behörden aufhalten dürfen.

Vordergründig geht es darum, die Hilfesuchenden unter Kontrolle zu haben, sie greifen zu können, wenn die Abschiebung stattfinden soll, sie zu behördlichen Fragen einzubestellen, wenn es um die Klärung ihres Asylantrags geht.

Hinter der Residenzpflicht, hinter den unwürdigen Lebensbedingungen steckt aber auch eine ganz klare Botschaft: Besser, ihr bleibt, wo ihr seid. Deutschland heißt euch nicht willkommen. Und erzählt um Himmels Willen nicht Zuhause herum, es sei euch hier gut ergangen.

Das Leben in deutschen Flüchtlingsheimen ist trist. Etwa 230.000 Menschen in ganz Deutschland sind verdammt, hier zu verharren, ihnen sind die Hände gebunden. Sie warten darauf, dass die Mühlen der deutschen Bürokratie ihre Anträge auf Asyl, auf Duldung, auf befristete Aufenthaltserlaubnis durchgemahlen haben. Und das kann dauern. Viele von ihnen verbringen Jahre in den unwirtlichen kleinen Zimmern, die sie sich häufig noch mit Familienmitgliedern teilen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der parlamentarische Rückhalt zur Residenzpflicht zu bröckeln begann

Langsam bröckelt der parlamentarische Rückhalt der unsinnigen Vorschrift zur Residenzpflicht. Den Anfang machte Brandenburg im Juli 2010 mit der Lockerung des Gesetzes – und zog in der vergangenen Woche positive Schlüsse aus dem bundesweit ersten Versuch. Innenminister Dietmar Woidke, SPD, bestätigte: Weder tauchen die Asylsuchenden im Getümmel der Großstadt unter und entziehen sich der Kontrolle des Staates, noch ist eine Zunahme von Straftaten zu erkennen.

Die rot-rote Regierung in Brandenburg hat damit einen Schritt in die richtige Richtung getan. Nun dürfen Asylbewerber ihren Wohnort verlassen. Sie können von einem Flüchtlingsheim in einem abgelegenen brandenburgischen Dörfchen in entfernte Bezirke des Bundeslandes und mit einer sogenannten Dauerverlassenserlaubnis sogar eine Reise ins nahe Berlin unternehmen. Sie haben endlich die Möglichkeit, sich relativ frei vor Ort um Arbeit zu bemühen, Landsleute zu treffen oder etwa Arztbesuche wie die bei einem Traumatherapeuten wahrzunehmen, der sich in Orten wie Waßmannsdorf nur schwerlich findet. Das alles war bis zum Juli des Jahre 2010 unter Strafe verboten und nur mit langwierigen und demütigenden Antragsstellungen bei der jeweiligen Behörde denkbar, wie es bei Flüchtlingshilfeorganisationen heißt.

In Brandenburg klopfte man sich nun selbst auf die Schulter, denn das Land hatte mit der neuen Regelung eine Vorreiterrolle übernommen. Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen zogen in den vergangenen Monaten nach, mittlerweile plant auch Mecklenburg-Vorpommern, es den norddeutschen Ländern gleichzutun.

Noch immer aber bezieht sich selbst die freiere Regelung nur auf die einzelnen Bundesländer. Eine spontane Reise von Berlin nach Hannover ist weiterhin strafbar. Flüchtlingsorganisationen und Betroffene hoffen darauf, dass eines Tages mehrere Bundesländer zusammengelegt werden, wobei Städte wie Hamburg und Bremen den Anfang machen könnten.

Einem Antrag der SPD im Bundestag zur landesweiten Abschaffung der Residenzpflicht aber, den auch Grüne und Linke unterstützen, stehen CDU und CSU weiterhin strikt ablehnend gegenüber. Auch die Ergebnisse aus Brandenburg konnten die Zweifel der Konservativen nicht zerstreuen.

Und so ist die brandenburgische Neuerung höchstens ein schwaches Signal. Dabei hätte sie mehr Macht, etwas zu verändern – auch auf europäischer Ebene. Es müsste endlich darüber diskutiert werden, die Flüchtlinge ausschließlich in Wohnungen unterzubringen anstatt in grauenhaften Heimen, ihre Integration früh zu fördern anstatt sie so lange wie möglich aus der Gesellschaft auszuschließen. Ihnen ein Gefühl für unser Zusammenleben zu vermitteln, damit sie möglichst schnell daran teilnehmen können.

Die Flüchtlingsdebatte duldet keinen Aufschub. Nur, weil es zur jetzigen Winterzeit keine täglichen Toten an den Außengrenzen der EU gibt, nur weil sich die Schlepper mit ihren als Flüchtlingsboote deklarierten Nussschalen gerade nicht aufs offene Meer trauen und wir in unseren warmen Stuben nicht viel mitbekommen von der Parallelwelt der Flüchtlinge, ist das Problem nicht vom Tisch.

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