Antrieb der Zukunft - Der E-Auto-Hype und die Realität

Die deutschen Automobilkonzerne streiten sich offen über den Antrieb der Zukunft. Volkswagen setzt im Alleingang auf die Batterie. Man fragt sich nur warum.

VW setzt voll auf Elektro. Aber weshalb? / dpa
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Autoreninfo

Nils Heisterhagen ist Sozialdemokrat und Publizist. Zuletzt sind von ihm im Dietz-Verlag erschienen: „Das Streben nach Freiheit“ und  „Die liberale Illusion“.

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E-Autos bestimmen die Diskussion um die Zukunft des Antriebs wie nie. Kein Fernsehabend vergeht, wo nicht das neue E-Auto von VW, Audi oder Renault beworben wird. Nach Tesla drängen nun die großen Volumenhersteller mit E-Autos auf den Markt. War das E-Auto mit dem Porsche Taycan oder mit Tesla S-Modell eher etwas für die Oberschicht, wollen VW und andere nun mit E-Autos der Kompaktwagenklasse dem E-Auto zum Durchbruch verhelfen.

Bei 15,6 Prozent lag im September 2020 der Marktanteil von E-Autos bei den Neuzulassungen in Deutschland. Aber gut die Hälfte von den 15.6 Prozent sind Plug-in-Hybride. Der Trend geht allerdings deutlich nach oben. Darauf bauen auch deutsche Autobauer. Volkswagen will etwa bis 2028 70 neue E-Modelle auf den Markt bringen. Und VW ist sich mit seiner E-Strategie so sicher, dass es von der Regierung verlangt, auf die Elektrobatterie zu setzen und kaum bis gar nicht auf E-Fuels und Wasserstoff, wie in der Süddeutschen Zeitung zu lesen ist. Konterkariert wird dieser VW-Vorstoß davon, dass die VW-Tochter Porsche angekündigt hat, in E-Fuels-Forschung zu investieren. Auch die VW-Tochter Audi forscht zu E-Fuels.

Zur Brennstoffzelle hört man wenig

Man fragt sich nun irritiert, warum Volkswagen hier bloß so energisch ist. Wie soll CO2-Neutralität im Verkehr hergestellt werden, wenn fast der ganze Bestand an Fahrzeugen noch mit Verbrennungsmotor fährt und sich der Anteil der E-Autos auch nicht rasant ändert? Laut einer repräsentativen Bosch-Umfrage würden sich heute immer noch die Hälfte für einen Verbrenner entscheiden. Und VW schrieb selbst 2019 zu seinen E-Plänen: „Der E-Anteil in der Flotte soll bis 2030 auf mindestens 40 Prozent steigen“. Das heißt: VW verkauft 2030 immer noch 60 Prozent Verbrenner. Und diese Verbrenner sollen dann nicht mit synthetischen Kraftstoffen fahren, die klimaneutral sind, sondern mit umweltbelastendem Benzin und Diesel? Das klingt nicht nach einer sonderlich durchdachten Strategie. Von den 60 Prozent wären auch Potenziale für das Wasserstoffauto möglich.

Das Thema Wasserstoff wird von VW aber nur durch Audi behandelt – und das auch eher stiefmütterlich. Davon abgesehen, dass Wasserstoff auch für die Produktion von E-Fuels zentral ist, weil diese mit (grünem) Wasserstoff und mit CO2 aus der Umgebungsluft hergestellt werden, hört man zur Brennstoffzelle wenig von den deutschen Autobauern – besonders wenig von VW. Zwar sagen einige Experten, dass es in Zukunft ohnehin eine Arbeitsteilung der Antriebe geben wird: LKW, Busse und kleinere Nutzfahrzeuge werden eher mit der Brennstoffzelle fahren, und PKW mit der Elektrobatterie. Aber vor allem asiatische Autobauer scheinen dort anderer Meinung zu sein. Bis zum Ende des Jahrzehnts wollen etwa Toyota und Hyundai jeweils 500.000 Wasserstoffautos produzieren. China könnte 2030 etwa 1 Million Brennstoffzellenautos auf der Straße haben, schätzen Experten.

40-50 Prozent E-Autos – und dann?

Dafür spricht, dass China jüngst ein Milliarden-Förderprogramm für die Brennstoffzelle aufgesetzt hat. Zwar sind 1 Million oder 2 Millionen Wasserstoffautos bis 2030 nichts gegen die 22 Millionen E-Autos, die allein VW in den nächsten zehn Jahren verkaufen will, aber darum geht es auch nicht. So sagte der Autoexperte Andreas Radics im Interview mit „Automobil-Industrie-Vogel“: „Der von Deutschland eingeschlagene Weg, Brennstoffzellen in erster Linie für Lkw, Schiff- und Luftfahrt zu nutzen, greift langfristig zu kurz.

Länder wie China, Korea und Japan haben erkannt, dass der Pkw zwar nicht die Anwendung der ersten Stunde, sehr wohl aber der künftige Volumenträger der Brennstoffzellen-Technologie sein und ihr so zum Durchbruch verhelfen wird.“ Mit anderen Worten: Was kommt nach 2030, wenn die Autobauer weltweit vielleicht 40-50 Prozent E-Auto Flottenanteil haben? Sollen dann weiterhin 50 Prozent klimaschädliche Verbrenner verkauft werden, oder eben besser klimafreundliche Verbrenner und Wasserstoffautos?

Schweineteurer Aufbau der Ladeinfrastruktur

Diese Frage des Anteils der E-Autos ist auch keineswegs sicher beantwortet. Es stellen sich nämlich erhebliche Infrastrukturfragen, die natürlich für die Kaufentscheidungen von Konsumenten ein zentraler Faktor sind. So machte Christian Tribowski für das Handelsblatt Research Institut 2019 eine Rechnung auf: „Allein für eine Million Elektro-PKW müssten 100.000 Ladesäulen installiert sein. Zum Vergleich: In Deutschland standen im Jahr 2017 gerade einmal – mit sinkender Tendenz – 114.000 Zapfsäulen zur Verfügung, die fast 46 Millionen zugelassene PKW problemlos versorgten. Die Infrastrukturkosten für die adäquate Anzahl von Ladesäulen wären damit enorm. Eine öffentliche Ladesäule kostet mit Installation und Wartung etwa 10.000 Euro, wie die Nationale Plattform Elektromobilität im Jahr 2014 berechnet hat.“

Das heißt dann: „Für jeweils eine Million E-Autos wären also eine Milliarde Euro an Investitionen notwendig, wenn Skalen- und Lerneffekte unberücksichtigt bleiben. Die Anzahl der notwendigen Ladesäulen liegt aber im Millionenbereich, wenn alle zugelassenen PKW irgendwann einmal elektrisch betrieben werden sollten. Noch nicht in der Kalkulation berücksichtigt ist der Ausbau des Stromnetzes, der durch diese hohe Anzahl an Ladesäulen notwendig wird.“

Kurzum: Der Aufbau der Ladeinfrastruktur ist schweineteuer. Allein für Deutschland reden wir von Multi-Milliarden-Investitionen bis 2030 – und das zusätzlich zu der bestehenden Tankstellen-Infrastruktur. Also warum nicht die bestehende Tankstellen-Infrastruktur nutzen – für Wasserstoff und E-Fuels? Man müsste das sowieso, wenn etwa VW bis 2030 eben „nur“ 40 Prozent E-Anteil an seiner Flotte haben will und man beim Rest nicht nur mit fossilen Verbrennern weiter machen will.

Woher kommt der leidenschaftliche E-Hype?

Woher kommt also der Widerstand gegen Wasserstoff und E-Fuels? Es erklärt sich einfach nicht. Zwar muss ein Konzern wie VW nun mehr auf E-Autos setzen, weil die EU-Gesetzgebung die EU-Flottenemissionswerte so niedrig setzt, dass VW handeln muss, wenn es bei Nicht-Einhaltung der Grenzwerte nicht Milliarden an Strafzahlungen leisten will. VW kann gerade nichts anders. Stimmt schon. Das ist aber noch lange kein Grund, gegen Wasserstoff und E-Fuels zu pöbeln.

Von den jüngsten Durchbrüchen beim Wasserstoffauto wurde hier noch gar nicht gesprochen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat gerade ein Wasserstoffauto präsentiert, was wohl nicht mehr als 15.000 Euro kosten würde. Bei der Rückumwandlung von Methanol in Wasserstoff hat das Leibniz-Institut für Katalyse gerade zudem mit dem Kaskade-Verfahren einen Durchbruch errungen. Auch die Kosten für die Produktion von Wasserstoff könnten bald rasant sinken.

Berücksichtigt man all diese Argumente für Wasserstoff, fragt sich, wo der leidenschaftliche E-Hype bloß herkommt? All die Argumente für Wasserstoff werden nun meist mit dem vermeintlichen Totschlagargument beendet, dass Batterieautos einen sehr viel besseren energetischen Wirkungsgrad haben. 70 Prozent bei der Batterie, etwa 30 Prozent bei Verbrennern und 20-30 Prozent bei der Brennstoffzelle. Mit anderen Worten: Bei der Batterie geht weniger Energie verloren und bei der Brennstoffzelle verpufft am meisten Energie. Danach sollen die Diskussionen um den Antrieb der Zukunft bitte beendet werden – zugunsten der Batterie. So leicht ist es aber nicht.

Öl-Multis setzen auf Wasserstoffära

Wahrscheinlich wird in der Tat das Stadtauto der Zukunft und der Kompaktwagen (die Golf-Klasse) der Zukunft batterieelektrisch fahren. Aber bei den Vielfahrerautos Passat, Audi A6, BMW 5er etc., und auch bei SUVs ist das Rennen noch nicht entschieden. Fest steht: Es bleibt zum Beispiel bei VW die Frage, womit die 60 Prozent Autos denn fahren sollen, die laut Konzernstrategie 2030 eben nicht Batterieautos sein sollen? Es gibt da keine Alternativen zu E-Fuels, Wasserstoffverbrennern oder der Brennstoffzelle. Und was werden die Öl-Multis Shell, BP, Total, ExxonMobil tun? Die bauen keine E-Ladesäulen, die wollen das weiterhin bei ihnen getankt wird – eben dann irgendwann Wasserstoff oder E-Fuels. Energetische Wirkungsgrade werden das Rennen nicht entscheiden, sondern Kostensenkungen beim Wasserstoff und die Interessen der Öl-Multis. Die Öl-Multis haben nämlich längst verstanden, dass die Kohlenstoffära bald endet und die Wasserstoffära kommt.

Zuletzt gibt es noch ein entscheidendes Wertschöpfungsproblem für Autobauer. Laut einer aktuellen Studie der Boston Consulting Group könnte viel von der Wertschöpfung der Autobauer zu den Zulieferern gehen – insbesondere den Batterieproduzenten. Bei der Lithium-Batterie sind deutsche Hersteller und Zulieferer aber vor allem von asiatischen Produzenten ziemlich abgehängt. Hier ginge also Wertschöpfung verloren. Volkswagen versucht das Problem etwa mit dem Herr zu werden, dass sie auf die nächste Generation der Batterie setzen, nämlich die Feststoffbatterie. Hierfür haben sie sich mit dem Start-up QuantumScape zusammengetan – das Start-up kommt aber auch aus den USA. Die Gefahr besteht, dass Automobil-Wertschöpfung aus Deutschland abwandert, weil man zu einseitig auf eine Tunnellösung setzt.

VW musste etwas tun

Deutsche Autozulieferer wie Bosch scheinen hingegen auch mehr auf die Wertschöpfungskette mit Brennstoffzellen zu setzen. Aber wenn VW sich der Brennstoffzelle verweigert, fällt Bosch natürlich ein Kunde weg. Mit der Gefahr, dass sich ein Brennstoffzellen-Wertschöpfungsnetzwerk eher in China, Japan und Südkorea bildet. Also ein doppelter Wertschöpfungsverlust für Deutschland droht hier – bei Batterie und Brennstoffzelle.

Man kann VW verstehen. Sie mussten etwas tun. Sonst würde die EU sie bestrafen. Natürlich ist Europa der größte Markt neben China für VW. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Autowelt ab 2030 nicht ganz anders aussieht. Technologieoffenheit schadet nie. Technologieoffenheit ist vielmehr der Garant dafür, dass man nicht katastrophal falsch liegen kann.

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