Wirtschaft zum Koalitionsvertrag - Bald nicht mehr wettbewerbsfähig?

Der Koalitionsvertrag von Union und SPD stößt bei Wirtschaftsverbänden auf harsche Kritik. Sie bemängeln vor allem den fehlenden Blick in die Zukunft sowie neue Regulierungen im Arbeitsmarkt

Viele Wirtschaftsverbände wenden sich enttäuscht von der Großen Koalition ab / picture alliance
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Karl-Heinz Büschemann war unter anderem Chefreporter im Wirtschaftsressort der Süddeutschen Zeitung und arbeitet als Wirtschaftsjournalist in München.

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Es muss für die Verhandler der kommenden Großen Koalition ernüchternd sein. Was sie nach quälenden Gesprächen mehr als vier Monate nach der Bundestagswahl auf 177 Seiten zu Papier gebracht haben, stößt in der Wirtschaft auf schroffe Kritik. Wirtschaftsverbände, aber auch Experten für Volkswirtschaft übertreffen sich gegenseitig mit vernichtenden Bewertungen des Koalitionsvertrages. „In der Gesamtschau ist die deutsche Industrie mit dem Koalitionsvertrag unzufrieden“, sagt Dieter Kempf, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Viele in der Wirtschaft sind ähnlich ernüchtert.

Es ist für Politiker der Normalfall, von Wirtschaftsvertretern gescholten zu werden, sobald sie neue Gesetze erlassen, die Unternehmen und Arbeitnehmer betreffen. Das kommt naturgemäß häufig vor. Aber der Ton, in dem „die Wirtschaft“ in diesen Tagen über die neue Koalition und ihre Pläne herfällt, ist besonders ungnädig. Vor allem stößt Verbänden und Ökonomen der aus ihrer Sicht mangelnde wirtschaftliche Weitblick der kommenden Koalition auf. 

Angst um Wettbewerbsfähigkeit

So kritisiert BDI-Chef Kempf in etwas holprigen Worten, es gebe „beim Geldausgeben eine klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt in Zukunftssicherung“. Und er bemängelt gleich weiter, dass in der Steuerpolitik trotz guter Wirtschaftslage „der Mut zu Entlastungen und zu Strukturreformen“ fehle. Deutschland müsse sich dem internationalen Steuerwettbewerb stellen, fordert er. „Wir vermissen ein klares Bekenntnis zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung.“ In der Digitalisierung sei „der große Wurf nicht erkennbar“. Die neue Groko müsse diese Legislaturperiode „dringend nutzen, um nachzuarbeiten und Deutschland zukunftsfest zu machen“.  Der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, beklagt „die massiven Mehrausgaben“, die von der neuen Koalition geplant sind, und dass die neue Regierung „die Arbeitsmarktreformen der Schröder-Ära weiter zurückrollen“ wolle.

Die größte Sorge in Unternehmerkreisen ist, dass Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verliert. Bei Banken, Autokonzernen oder Maschinenbauunternehmen geht die Furcht um, dass Deutschland auf die Herausforderungen der digitalen Revolution nicht ausreichend vorbereitet ist. Und weil US-Präsident Donald Trump zuletzt mit seiner großen Steuerreform die Unternehmen massiv entlastet hat, gibt es in den Führungskreisen ein Wunschdenken, auch Deutschland müsse seine Steuerbelastung herunterfahren, um die Unternehmen konkurrenzfähiger zu machen.

Belastungen größer als die Vorteile

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, bemängelt die fehlende Bereitschaft in Berlin, die Unternehmen zu entlasten. Die Pläne der künftigen Koalition seien „völlig unverständlich“, kritisiert er. „Es wäre genug Geld dagewesen, um Steuern signifikant zu senken.“ Auch Holger Bingemann vom Außenhandelsverband ist erbost. Er sehe zwar einige positive Akzente im neuen Regierungsplan, aber die Belastungen für die Wirtschaft seien eindeutig größer als die Vorteile. „Den Preis für steigende Ausgaben zahlen nicht Union und SPD, sondern die Unternehmen, die Beschäftigten und die Steuerzahler.“ Ingo Kramer, der Präsident des Bundesverbandes der Arbeitgeberverbände, hält den Vertrag für „geprägt von rückwärts gewandter Umverteilung und unverantwortlicher Belastung der jungen Generation, ohne die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen abzusichern“.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall beklagt sich zudem über neue Regulierungen im Arbeitsmarkt und den Ausbau des Sozialstaates. Die Pläne seien „noch scheußlicher als erwartet“. Damit reagiert der Verband auf die geplanten höheren Rentenleistungen und auf die geplanten Einschränkungen bei befristeten Arbeitsverträgen. Künftig sollen Firmen mit mehr als 75 Mitarbeitern nur noch höchstens 2,5 Prozent der Beschäftigten ohne sachliche Begründung befristet anstellen dürfen.

Lob für Wohnraumoffensive

Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat früher viel Energie darauf verwendet, den schlechten Zustand der deutschen Verkehrsinfrastruktur zu beklagen. Heute sieht er die künftige Koalition in der Pflicht, die Chance zu nutzen und von der zurückliegenden Großen Koalition Versäumtes nachzuholen. Deutschland müsse Europa reformieren und seine Versprechen von 2013 einlösen, „die Digitalisierung erfolgreich zu gestalten und die Qualität des Bildungssystems für alle nachhaltig zu verbessern“.

Immerhin gibt es auch positive Bemerkungen aus der Wirtschaft über die Pläne der künftigen Koalition. Der Bankenverband freut sich, dass die künftige Bundesregierung „der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland“ wieder mehr Aufmerksamkeit schenken werde und die Bedeutung erfolgreicher Banken ausdrücklich anerkenne. Auch der Hauptverband der deutschen Bauindustrie sieht in der Einigung der Koalitionäre einiges Gutes: Es sei positiv, dass die Verkehrsinvestitionen mindestens auf dem heutigen Niveau gehalten werden sollten. Auch die geplante Wohnraumoffensive, mit der die neue Koalition der Miet- und Immobilienpreisentwicklung entgegenwirken will, findet die Zustimmung des Bauindustrieverbandes. Immerhin: Diejenigen, denen Aufträge winken, sind zufrieden.

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