Welthandel - Das Ende der Waffenruhe

Als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2009 verständigten sich die führenden 20 Wirtschaftsnationen auf freien Handel und multilaterale Kooperation. Mit dem Brexit und der neuen US-Regierung zerbricht nun dieser Konsens – mit fatalen Folgen. Schuld daran haben auch wir Deutschen

Die Weltwirtschaft ist immer noch auf der Intensivstation und hängt am Tropf des billigen Geldes / picture alliance
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Autoreninfo

Daniel Stelter ist Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Diskussionsforums „Beyond the Obvious“. Zuvor war er bei der Boston Consulting Group (BCG). Zuletzt erschien sein Buch „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“.

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Im April 2009 standen die Führer der größten 20 Volkswirtschaften (G20) unter Schock. Die Pleite von Lehman Brothers lag wenige Monate zurück, Banken und Versicherungen konnten nur mit Staatshilfe gerettet werden, die Weltbörsen brachen ein. Welthandel und Produktion stürzten noch drastischer ab als nach dem Börsenkrach von 1929, der bekanntlich der Auftakt zur großen Depression war. Alles sprach dafür, dass die Welt vor einer Wiederholung der größten ökonomischen Katastrophe der Geschichte stand. Erhebliche soziale und politische Folgen waren zu erwarten.

Dieses Bild vor Augen schworen die Vertreter der G20 bei ihrem Treffen in London, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen: „Wir sind überzeugt, dass die einzige sichere Basis für weitere Globalisierung und steigenden Wohlstand für alle, eine offene globale Weltwirtschaft ist.“ Und dann konkreter: „Wir verzichten auf die Errichtung neuer Hürden für Handel und Investitionen.“ Das war ein wichtiges Signal, gelten doch die protektionistischen Maßnahmen der US-Regierung Anfang der dreißiger Jahre als eine der Hauptursachen für die Tiefe und Dauer der großen Depression. Der Welthandel hatte sich in der Zeit von Januar 1929 bis Januar 1933 immerhin gedrittelt.

Depression in Zeitlupe

Die konzertierten Maßnahmen von Regierungen und Zentralbanken verhinderten eine neue große Depression. Billiges Geld der Notenbanken machte es für Schuldner leichter, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Die Bilanzierungsregeln für Banken wurden geändert, um den Ausweis von Verlusten zu vermeiden. Wo nötig, wurden Banken mit Staatshilfe gerettet. Um die Realwirtschaft zu stabilisieren, wurden Konjunkturprogramme aufgelegt, in Deutschland zum Beispiel in Form der Abwrackprämie.

Dabei hielten sich die Regierungen weitgehend an die Abmachungen vom April 2008. Protektionistische Eingriffe nahmen zwar zu, blieben aber in einem vertretbaren Rahmen. Die Welt kooperierte bei der Bekämpfung der Krise.

Heute muss man festhalten: Den G20 ist es zwar gelungen, eine erneute große Depression zu verhindern, jedoch nicht zum Vor-Krisentrend zurückzukehren. In vielen Ländern der Eurozone liegt die wirtschaftliche Aktivität noch immer unter dem Stand von 2008. Überall befindet sie sich unter dem Niveau, das sich bei Fortschreibung des Vor-Krisen-Trends ergeben hätte. Selbst die USA erleben den schwächsten Aufschwung seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Weltwirtschaft ist immer noch auf der Intensivstation und hängt am Tropf des billigen Geldes. Nur durch immer mehr Schulden gelingt es, die Wirtschaft in Gang zu halten. Noch nie hatte die Welt so viele Schulden wie heute: 217 Billionen US-Dollar, was 325 Prozent des Welt-BIP entspricht.

Die Ursachen für diese schwache Erholung sind vielfältig:

1. Die Schuldenlast ist trotz tiefer Zinsen immer noch zu hoch und verringert Konsum und Investition.

2. Die Banken – vor allem in Europa – sind weit davon entfernt, wieder gesund zu sein. Es genügt ein Blick nach Italien. Der Kapitalbedarf europäischer Banken wird auf gut eine Billion Euro geschätzt.

3. Das billige Geld verhindert die Bereinigung von Fehlinvestitionen und Überkapazitäten. Viele Unternehmen existieren nur noch wegen der tiefen Zinsen, können aber nicht investieren und neue Ideen vorantreiben.

4. Im Euroraum verhindern die starren Wechselkurse eine Rückkehr zur Wettbewerbsfähigkeit für Länder wie Portugal und Italien.

5. Die demografische Entwicklung ist eine andere. Wuchs die Erwerbsbevölkerung in Europa im Jahre 2006 noch, so schrumpft sie heute. Dies bedeutet weniger Wachstum.

6. Die Produktivitätszuwächse sind geringer. Dies liegt an der Art der Arbeitsplätze, die geschaffen wurden (in den USA vor allem in einfachen Dienstleistungen) und den geringen Investitionen.

Es ist offensichtlich, dass die derzeitige Wirtschaftspolitik nicht geeignet ist, die Stagnation zu überwinden. Wir bleiben in einer Depression in Zeitlupe gefangen.

Zunehmende Unzufriedenheit

Die offensichtlichen Profiteure der Rettungsmaßnahmen sind die Finanzmärkte und ihre Akteure. Die Vermögenspreise sind weltweit deutlich gestiegen, befeuert vom billigen Geld. Die Banken können in einigen Ländern wie Großbritannien und den USA wieder schöne Gewinne machen, während die Mitverantwortlichen für die Krise nicht zur Verantwortung gezogen wurden. Dies erklärt die zunehmende Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit der Politik. Vom Aufschwung an den Finanzmärkten kommt wenig oder nichts bei ihnen an, die Einkommen stagnieren und eine wirkliche Erholung der Wirtschaft ist nicht in Sicht.

Das Votum für den Brexit und der Sieg Donald Trumps sind in diesem Kontext zu sehen. Es ist verlockend, die Schuldigen im Ausland zu suchen. In der EU, die den Briten zu viel reinredet und Geld kostet oder in den anderen Ländern, die sich mit unfairen Praktiken Vorteile im Handel verschaffen. Gerade Deutschland gerät dabei immer mehr in den Fokus der Kritik. Schon vor seiner Wahl hatte Donald Trump Deutschland und China für die erheblichen Handelsüberschüsse gerügt, während die englische Presse Deutschland vorwarf, sich mit dem Euro unfaire Vorteile zu verschaffen und die EU und die Eurozone zum eigenen Vorteil zu dominieren.

Exportieren nicht immer richtig

Unschuldig an diesen Vorwürfen sind wir nicht. Schon vor einiger Zeit habe ich an dieser Stelle erklärt, dass die einseitige Exportorientierung nicht in unserem Interesse ist, weil, wer viele Waren exportiert, auch viel Geld ans Ausland verleiht. Letzteres ist in einer Welt mit zu vielen Schulden keine gute Strategie. Fast noch schlimmer ist, dass diese Handelsüberschüsse den anderen Ländern Kaufkraft entziehen. Vergangenes Jahr immerhin in Höhe von 8,6 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts. Dies widerspricht den Regeln der EU, die eine Begrenzung auf maximal sechs Prozent vorsehen und dem Geist der G20-Vereinbarung von 2009, die deutlich festhielt, dass kein Land auf eine Förderung der Exporte setzen sollte.

Natürlich gibt es viele Gründe für die deutschen Exportüberschüsse: die Struktur unserer Industrie (vor allem Maschinenbau und Automobil), die Qualität der Produkte und der Fleiß der Mitarbeiter. Es gibt aber auch den Vorteil eines Euro, der die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraumes sichert und deutlich schwächer ist, als es eine Deutsche Mark wäre. Und die Folgen einer Politik, die zu viel spart und zu wenig investiert.

Der Sündenbock für Populisten

So sind wir der ideale Sündenbock für die Populisten in aller Welt, die als Folge der ungelösten Krise mit dem Versprechen an die Macht kommen, „XX wieder groß zu machen“. Nationalistische Strömungen können in diesem Umfeld weiter gedeihen, auch in Europa, wo es immer mehr Politiker gibt, die in einem Austritt aus dem Euro die Lösung für die wirtschaftlichen Probleme ihres Landes sehen. Italien ist dabei der prominenteste, aber keineswegs der einzige Kandidat.

Werden die USA die Welt wie schon in den dreißiger Jahren in einen Handelskrieg führen? Schließlich sind neben Deutschland auch Japan und China im Visier sowie alle Unternehmen, die nicht in den USA produzieren. Noch ist es nicht soweit, aber die Gefahr ist groß. Deshalb sollte die deutsche Politik die Herausforderung angehen und endlich das tun, was sie schon lange hätte tun müssen: mehr im eigenen Land investieren.

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