Tourismus - Der verhasste Gast

Ferienzeit ist Reisezeit. Doch in Hotspots wie Venedig oder Barcelona protestieren die Einheimischen zunehmend gegen Touristen. Dabei will kein Reisender ein Tourist sein. Die Abwehrhaltung ist aber in beiden Fällen heuchlerisch

Gegen die riesigen Kreuzfahrtschiffe mutet Venedig wie eine Zwergenstadt an / picture alliance
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Lissabon im August, ein herrlicher Tag, ich schlendere durch die Altstadt. Euphorisiert von der Schönheit um mich herum, wähne ich mich auf den Spuren von Fernando Pessoa und António Lobo Antunes, als ich einen Schriftzug an einer Hauswand sehe. Auf Englisch steht da: „Warum heißt es Touristensaison, wenn man sie nicht erschießen kann?“ Es ist nicht der erste Spruch dieser Art, den ich gesehen habe, meistens sind sie simpler. „Tourists go home“ ist ein Favorit.

Diese Form der Fremdenfeindlichkeit ist kein portugiesisches Lokalphänomen, sondern ein europäisches, wenn nicht sogar ein weltweites. In Barcelona und auf Mallorca gibt es Demos gegen Touristen, in Dubrovnik, Florenz, New Orleans und Thailand wurden Maßnahmen getroffen, um dem Massentourismus Einhalt zu gebieten. Machen wir uns nichts vor: Diese Maßnahmen richten sich gegen Sie und mich. 82 Prozent der Deutschen hatten für dieses Jahre eine Reise geplant. Und jeder, der reist, ist ein Tourist.

Niemand will Tourist sein

Dabei möchten wir es natürlich nicht sein. Denn wie der Sonnenbrand gehört zu jeder Reise die Klage über die anderen Reisenden. Touristen, das sind doch die, die nur in Horden auftreten, sich schwitzend auf Bussitze und die Klappstühle der Restaurants mit den unendlichen Menükarten zwängen, sich geschmacklosen Nippes andrehen lassen, die Sprache nicht kapieren und den Weg nicht wissen. Aber wir doch nicht. Wir sammeln keine Souvenirs, sondern Erfahrungen. Wir beschweren uns nicht über fehlendes Toilettenpapier, sondern haben unser eigenes dabei, die Papprolle vorher herausgedrückt. Wir schauen uns nicht den Eiffelturm an, sondern sitzen in einem ach so authentischen Café in Montmartre.

Wenn wir dann doch nicht an einer Sehenswürdigkeit vorbeikommen, achten wir in den Fotos peinlichst genau darauf, dass außer uns selbst und unserer Familie, dem imposanten Bauwerk oder dem herrlichen Strand möglichst keine anderen Reisenden zu sehen sind. Schließlich sind die im Gegensatz zu uns eine „Menge glotzender Tölpel“, wie der Dichter Lord Byron sich schon Anfang des 19. Jahrhunderts über andere Engländer beschwerte, die es gewagt hatten, gleichzeitig mit ihm Rom zu besuchen.

Tourist bleibt Tourist

Doch diese Distanzierung vom „herkömmlichen“ Tourismus hat nichts dazu beigetragen, die Zahlen der Reisenden zu senken. Im Gegenteil: Vor allem in Südostasien haben sich wahre Highways für den alternativen Tourismus entwickelt. So kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass man in Kuta (auf Bali) auf genau die Globetrotter aus Deutschland, Holland, den USA oder Australien trifft, mit denen man schon in Jakarta (Indoniesen) am Tobasee (Sumatra) oder auf der Insel Penang (Malaysia) das eine oder andere Tiger Beer getrunken hatte. Auf die Einheimischen wirken wir dabei übrigens genau wie die von uns verhassten Massentouristen. Auch wir verlangen in jedem Restaurant nach Gabel und Messer, verstopfen die Straßen und Gehwege und trinken zu viel. Egal wie versteckt, idyllisch und geheimtippmäßig der Ort ist, wo wir sind. Nach uns ist er das ein Stück weniger.

Mehr als eine Milliarde Reisen machen die Menschen pro Jahr, das ist doppelt so viel wie vor 20 Jahren. Das liegt vor allem an Billigfliegern, der Erfindung von Couchsurfing und Airbnb und nicht zuletzt daran, dass nun auch viele Chinesen es sich leisten können, zu verreisen.

Und vor allem die europäischen Hotspots spüren die Folgen. 28 Millionen Menschen haben Venedig im vergangenen Jahr besucht, eine Stadt von 55.000 Einwohnern. Ständig legen monströse Kreuzfahrtschiffe an, die die Altstadt wie eine Ansammlung von Zwerghäusern anmuten lassen. 

Einheimische wehren sich

Die Einwohner beginnen, sich zu wehren. 2000 von ihnen haben eine Initiative unter dem Namen #EnjoyRespectVenezia gegründet, die hohe Ordnungsstrafen für Taten wie „Picknick in der Öffentlichkeit“ und sogar, „zu langes stehen auf Brücken“ vorsieht. In Florenz wurden die Treppen und Plätze vor einigen Kirchen mit Wasser bespritzt, damit sich niemand dort niederlässt. In Barcelona, 30 Millionen Besucher im vergangenen Jahr, schlug ein Teil der Anti-Touristen-Proteste sogar in Gewalt um, als Protestler Autoreifen zerschlissen, Hotelfenster einschlugen und durch Menschenketten die Gäste vom Baden abhalten wollten.

Man kann den Ärger verstehen. Tatsächlich gibt es in Venedig unzählige Souvenir-Läden, aber nur noch zwei Kinos. In der Altstadt von Barcelona oder Dubrovnik kann man sich im Sommer teilweise kaum noch bewegen. Aber was sollte man dagegen tun? Schließlich kann man den Chinesen genauso wenig das Recht zu reisen absprechen wie britischen Junggesellen-Gruppen.

Heuchlerische Beschwerden

Und wenn man es genauer betrachtet, dann sind die Beschwerden der Einheimischen über Touristen ähnlich heuchlerisch wie die derjenigen, die sich partout nicht als Touristen sehen wollen. Die Tourismus-Industrie ist die größte der Welt geworden. Sie trägt zehn Prozent zum globalen Bruttoinlandsprodukt bei und sichert jedem elften Menschen einen Arbeitsplatz. In Ägypten und der Türkei sorgen die aufgrund der Terrorgefahr ausbleibenden Touristen für riesige Haushaltslöcher. Und auch in Spanien und Italien wäre die Jugendarbeitslosigkeit noch verheerender, würde es die Touristen nicht geben, die auf Hauswänden und Plakaten aufgefordert werden, wieder nach Hause zu gehen.

Nachdem ich das Graffito an der Lissaboner Hauswand betrachtet habe, erblicke ich um die Ecke ein winziges kapverdisches Restaurant. Der Besitzer winkt mich fröhlich hinein. Ich bin der einzige Gast. Als ich mich nach dem fantastischen Essen bedanke, bittet mich der Wirt, all meinen deutschen Bekannten von seinem Restaurant zu erzählen. Ich überlege kurz. Dann sage ich: „Mit Vergnügen!“

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