Ryanair - „Wir sind in 2018 und nicht am Anfang der Industrialisierung“

Nach der Ryanair-Hauptversammlung drohen weitere Streiks. Im Interview sagt Janis Schmitt von der Pilotengewerkschaft „Vereinigung Cockpit“, warum die Mitarbeiter das Vertrauen verloren haben und jetzt auch die Aktionäre nervös werden

Auf zu neuen Flughäfen: „Ryanair soll endlich merken, dass es nicht ohne die Mitarbeiter geht“ / picture alliance
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Tobias Maydl ist Student und freier Journalist.

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Janis Georg Schmitt ist Mitglied im Vorstand der deutschen Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit (VC) und selbst aktiver Pilot bei einer Airline.

Herr Schmitt, bei Ryanair gab es eine Hauptversammlung. Im Vorfeld hat Ihre Gewerkschaft an die Aktionäre appelliert, die Führungsspitze auszutauschen. Ein Management, das Ryanair zur zweitgrößten Airline Europas gemacht hat. Warum müssen die Vorstände gehen?
Es ist mittlerweile leider unmöglich, mit diesem Management vernünftige Verträge auszuhandeln. Vom gelebten Führungsstil hat sich da nichts geändert: Das „Teile-und-Herrsche-Prinzip“ ist immer noch gang und gäbe – nach dem Motto „Ihr seid mir jetzt böse oder gegen mich, deswegen bestrafe ich euch“. Das macht es schwer, ein modernes und faires Tarifmodell durchzusetzen. Ein vertrauensvoller Umgang mit den Mitarbeitern scheint mit dem aktuellen Management nicht möglich zu sein. Einschüchterungsversuche und Feindseligkeiten gegenüber den Mitarbeitern sind an der Tagesordnung. Da ist das Vertrauen einfach weg.

Dennoch will Ryanair bis Weihnachten alle Piloten, die in Deutschland ihre Basis haben, direkt anstellen. Warum reicht Ihnen das nicht?
Das ist zwar an sich positiv, aber freiwillig machen die das auch nicht. Dafür gibt es eventuell gesetzliche Gründe. Die Festanstellung ist aber zunächst einfach nur ein Überschriftenwechsel im Vertragswerk, an den Arbeitsbedingungen ändert sich nichts.

Was beklagen die Piloten in Deutschland?
Seit längerem monieren wir die variable Vergütung, die wenig berechenbar ist. Wenn ich krank bin oder aus anderen Gründen nicht fliegen kann, bekomme ich nur ein geringfügigen Teil meines Gehaltes. Da kann es schon vorkommen, dass sich Piloten krank ins Cockpit setzen. Bei den Gehältern ergibt sich generell das Problem, dass die Lohnsteuern in Irland und die Sozialabgaben in Deutschland abgeführt werden müssen. Die sind beide aber jeweils höher als im anderen Land, weswegen Ryanair-Piloten von beiden Welten das jeweils schlechtere haben, bezogen auf die Abgaben. Aber auch bei den Arbeitsbedingungen als solches setzen wir an, was Kündigungsschutz oder Stationswechsel anbelangt. Es kann nicht sein, dass man sich immer neu bewerben muss, wenn man die Station wechselt. Das ist bei anderen Airlines fairer geregelt. Wir wollen auch weg vom Prinzip: Maximal ausschöpfen, was der Gesetzgeber erlaubt. Man sollte die gesetzlichen Vorschriften wie andere Airlines auch als absolutes Limit sehen, und nicht versuchen, die gesetzlichen Limits als Zielmarke zu verstehen. Das schadet dem gesamten Personal und verringert die Sicherheit für die Passagiere.

An welcher Stelle geht Ryanair denn in die Vollen?
Zum Beispiel bei den Flugstunden. Der Gesetzgeber erlaubt, 900 sogenannte Blockstunden im Jahr zu fliegen. Das klingt erstmal nach relativ wenig. Bei den Blockstunden ist aber nur die reine Flugzeit gemeint. Die ganzen Standzeiten, also wenn Passagiere ein- und aussteigen, oder wenn man wetterbedingt nicht sofort starten kann – das alles ist nicht mit eingerechnet. Und das wird auch nicht vergütet! Viele Piloten berichten uns, dass sie 100 Blockstunden im Monat eingesetzt werden und schon Ende September auf ihr Jahresmaximum kommen. Die restlichen drei Monate verdienen sie dann entsprechend weniger.

Janis Schmitt / privat

100 Blockstunden im Monat – auf wie viel Arbeitsstunden kommt man also eigentlich?
Das ist schwer zu sagen, das variiert von Station zu Station. Ryanair fliegt aber überwiegend kürzere Strecken. Da hat man dann natürlich mehr unvergütete Bodenzeiten als bei Langstreckenflügen. Aus eigener Erfahrung als Pilot kann ich sagen: Wenn man mehrheitlich kürzere Strecken fliegt, kommt man bei 900 Blockstunden locker auf 1800 bis 2000 Dienststunden im Jahr. Also sind 200 Stunden durchaus möglich.

Das ist eine andere Größenordnung.
Und deswegen wollen wir, dass darüber verhandelt wird. Über solche Themen müssen wir sprechen. Natürlich ist das mit Einbußen an Produktivität verbunden. Und das scheut Ryanair bekanntlich. Aber wenn Ryanair nun Gespräche über einen Tarifvertrag ermöglicht, dann muss dem Management bewusst sein: Das kostet nun mal mehr – kommt aber den Mitarbeitern und dem Arbeitsklima zugute. Vielleicht dämmt ein Tarifvertrag dafür auch die hohe Fluktuationsrate ein. Allein vergangenes Jahr haben über 600 Piloten Ryanair verlassen.

Trotzdem hat Ryanair Ersatz gefunden. Ist es nicht begrüßenswert, wenn Piloten bei Ryanair eine Anstellung finden, wenn sie anderswo offenbar keine bekommen?
Das ist richtig. Momentan funktioniert der Markt auch relativ gut, global gesehen. Aber was ist mit den Menschen, die bei Ryanair fliegen, weil sie in Bremen oder Memmingen stationiert sind und es dort eben keine andere Airline gibt? Warum soll es dort keine Verbesserung geben? Zudem ist der Markt ja auch Schwankungen unterworfen. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Ryanair dies im Zweifel zu seinen Gunsten ausnutzt und seine Konditionen diktiert. Und auch die Aussage „Es ist doch toll, dass ihr einen Job habt“ greift zu kurz.

Ryanair drohte erst wieder, Kapazitäten in Deutschland abzubauen, wenn die Gewerkschaften weiterhin unnachgiebig bleiben. Wie schätzen Sie diese Aussage ein?
Ob Ryanair das jetzt durchsetzt oder nicht: Die Drohung zeigt wieder einmal das „Teile-und-Herrsche-Prinzip“. Deswegen brauchen auch gerade wir ein Tarifmodell. Es kann nicht sein, dass eine Firma auf Basis von Gemütszuständen sagt: Wir verlagern die Produktion, ihr könnt mitkommen oder halt nicht. So geht es nicht. Airline-Mitarbeiter sind keine Nomaden Wir sind in 2018 und nicht am Anfang der Industrialisierung.

Europa im Jahr 2018, dazu gehört auch ein gemeinsamer Binnenmarkt. In Polen stellt eine Ryanair-Tochter jetzt Verträge aus, die stark einer Personalpolitik folgen, wie sie Ryanair bisher betrieben hat. Befürchten Sie nicht, dass Jobs in Deutschland verloren gehen, wenn die Arbeitsbedingungen hier „zu gut“ werden?
Uns bleibt keine andere Wahl, als bessere Arbeitsbedingungen und klare Sozialstandards zu fordern. Wenn die Kosequenz dann ist, dass das gleiche Spiel in Polen wiederholt wird, wie es bis dato in anderen europäischen Ländern gemacht wird, dann bedarf es auch dort Nachholbedarf. Und für das Kabinenpersonal hat sich in Polen bereits eine Gewerkschaft gegründet. Kurzfristig wird man das umgehen können, aber langfristig wird es auch dort zu ähnlichen Szenarien kommen. Das ist ja nicht allein ein deutsches Problem, es ist ein europäisches. Wünschen würden wir uns deswegen, wenn auch die EU-Kommission darauf im Rahmen ihrer „sozialen Säule“ stärker schauen würde. Die jüngsten Äußerungen von Sozialkommissarin Marianne Thyssen begrüßen wir da sehr.

Vorerst bleibt das Problem bestehen und Sie haben weiter Streiks angekündigt in mehreren europäischen Ländern. Pünktlich zum Beginn der Herbstferien. Nehmen Sie die Urlauber als Geiseln für Ihre Verhandlungsziele?
In den Medien hört man immer vom 28. September. Ob wir uns da als Gewerkschaft beteiligen, steht noch gar nicht fest. Wir hoffen, dass es dazu gar nicht erst kommen muss. Dass wir uns stattdessen mit Ryanair an einen Tisch setzen können und zu vernünftigen Verträgen kommen. Bis jetzt gibt es da aber leider noch nichts Großartiges zu vermelden. Den Urlauber wollen wir nicht bestrafen, darum geht es nicht. Ryanair soll endlich merken, dass es nicht ohne die Mitarbeiter geht.

Ryanair scheint ihre Streikdrohung gelassen zu sehen. Offenbar erschienen viele Mitarbeiter auch bei Arbeitskämpfen zum Dienst. Anfang September mussten auch „nur“ 150 von 400 Flugverbindungen aus und nach Deutschland gestrichen werden. Warum kommen die Mitarbeiter trotzdem, wenn die Bedingungen angeblich so schlecht sind?
Das ist natürlich eine von mehreren Betrachtungsweisen. So gut wie alle Flüge von Deutschland aus sind Anfang September ausgefallen. Aus anderen Ländern sind natürlich Flüge gelandet, dort durfte das Personal auch gar nicht streiken. Das Reisechaos mag zwar ausgeblieben sein, weil Ryanair im Vorfeld großzügig Flüge abgesagt hat. Aber das zeigt eben doch, dass man im Vorfeld damit rechnete, die Flüge würden ausfallen. Und man sieht auch, dass Ryanair da mittlerweile Gegenwind spürt vonseiten der Aktionäre.

Apropos Aktionäre: Die wollte man bei der jüngsten Hauptversammlung erst von den Journalisten abschirmen, dann wurde sie doch zugelassen. Was sagt das über die Ryanair-Führungsspitze aus?
Es ist verständlich, wenn Ryanair erst versucht, die Presse rauszuhalten, wenn im eigenen Unternehmen eventuell nicht alles gut läuft. Jedes Unternehmen möchte gut dastehen in der Öffentlichkeit. Aber auch bei der Wiederwahl des Vorstands wurden einige Mitglieder abgestraft. David Bonderman, der das Geschäftsmodell maßgeblich mit vorantreibt, kam nur auf 70,5 Prozent. Das zeigt: Der Vorstand steht unter Druck, weil die Aktionäre befürchten, die Öffentlichkeitswahrnehmung könnte kippen aufgrund der Streiks.

Billig fliegen und faire Arbeitsbedingungen – widerspricht sich das nicht generell und muss man sich als Passagier langfristig von „Billigfliegern“ verabschieden?
Ich glaube, dass es weiterhin einen Bereich „low cost“ geben wird, in dem man dann womöglich auf  gewissen Service verzichten muss. Flüge für einen Euro, oder auch für zwölf Euro anzubieten, das halte ich für unlauteren Wettbewerb. Das kann gar nicht funktionieren in Anbetracht von Treibstoffkosten, Versicherung, Wartung und vielem mehr. Trotzdem macht Ryanair 1,45 Milliarden Euro Gewinn. Und die Mitarbeiter zahlen die Zeche. Bei Easyjet zum Beispiel gibt es Tarifverträge und vernünftige Gehälter. Streikwellen sind da bisher ausgeblieben. Dennoch sind die durchschnittlichen Ticketpreise nur um ein paar Euro höher als bei Ryanair. Das ist immer noch günstig. Und das hat auch Zukunft. Vielleicht schaffen wir es, auch die Passagiere zu einem Umdenken zu bewegen. Rindfleisch im Supermarkt für nur einen Euro würden die meisten ja auch nicht kaufen.

 

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