Tierwohl, Tönnies und mehr Transparenz - „Klöckner ist eine Verteidigerin des alten Systems“

Nach Corona, schlechten Arbeitsbedingungen und Billigfleisch bei Tönnies will Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) unter anderem eine Tierwohl-Abgabe einführen. Tatsächlich hätten die meisten Pläne nichts Gutes, weder für die Bauern noch die Tiere, kritisiert ihre grüne Vorgängerin im Amt, Renate Künast, im Cicero-Interview.

Quarantäne in NRW wegen Corona bei Tönnies / dpa
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Renate Künast war grüne Bundeslandwirtschaftsministerin im rot-grünen Kabinett von Gerhard Schröder. Sie war langjährige Vorsitzende der Grünen und ist Mitglied des Deutschen Bundestages.

Frau Künast, vor 20 Jahren haben Sie als Landwirtschaftsministerin nach BSE- und Dioxin-Skandalen eine ökologische Agrarwende eingeleitet. Wegen Corona-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben diskutiert die Politik nun wieder über Arbeitsbedingungen, Tierschutz und Fleischkonsum. Braucht es erst Krisen wie Corona, um Veränderungen zu erwirken?
Es braucht vor allem Entschlossenheit. Wenn ich heute meine alten Reden ansehe, bekomme ich wieder ein Gefühl dafür, wie viele damals doch sagten: Ach, wie lächerlich, das muss ja nicht. Ob es nun um Artenvielfalt, gesunde Böden, Wetterextreme oder die Wirkung von Chemie ging. Und auch heute sind die Kräfte, die das alte System, die alte Art, Geld zu verdienen, am liebsten beibehalten wollen. Dabei geht es bei Gütern wie Boden, Wasser, Luft und Klima ums Gemeinwohl. Man muss die Dinge zusammendenken, denn sie wirken zusammen.

Die heutige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner will nun ernst machen. Eine Tierwohl-Abgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch soll eine Transformation der Tierhaltung mitfinanzieren.
Ich bin erstmal froh, dass überhaupt etwas vorangeht. Grund zum Jubeln ist das aber nicht. Bevor das bei Tönnies wegen Corona so eskalierte, gab es noch Zoff bei den Gesprächen zwischen SPD und CDU/CSU. Irgendwann hat man die Ministerin dann aufgefordert, Empfehlungen der Borchert-Kommission für mehr Tier- und Umweltschutz umzusetzen. Erst dann hat die Ministerin sich dazu bereit erklärt.

Da könnten Sie doch mal ein Lob aussprechen und sagen, besser spät als nie.
Ja, aber warum soll ich Sie jetzt dafür loben? Wir sagen, es ist schön, dass es die Borchert-Empfehlungen gibt. Aber das ist bei weitem nicht das, was möglich und dringend nötig ist. Die Ministerin hat sich eben nur einige wenige Aspekte herausgegriffen. Deshalb bringen wir heute auch unseren eigenen Antrag ins Plenum ein.

Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner / dpa

Ist Ihnen die Ministerin zu sehr Bauernpräsidentin?
Nein, dann würde man ja annehmen, dass sie sich für das Wohl der Landwirte einsetzt. Ihre Vorschläge haben aber nichts Gutes für das Bauerntum. Klöckner ist eine Verteidigerin des alten Systems. Schon als Bundestagsabgeordnete aus Rheinland-Pfalz hatte sie im Grunde immer gesagt, die bisherigen Strukturen seien doch gut. Natürlich könne man hie und da ein bisschen was verbessern. Aber sie war nie inspiriert. Das gehört auch zur notwendigen Entschlossenheit. Wir Grüne haben damals etwa an neue Einnahmequellen für die Landwirte gedacht. Die Solarzellen auf Stalldächern kamen ja nicht einfach so. Landwirtschaft hat grundsätzliche Probleme, da reicht es nicht zu sagen: Hie und da eine kleine Reform, aber das alte System ist gut.

Renate Künast im Bundestag / dpa

Immerhin ernährt uns dieses alte System.
Die großen Agrarverbände, auch der Deutsche Bauernverband, halten bis heute an der Export-Idee fest: Sie wollen möglichst groß und möglichst effizient sein. Die FPD und die Union sagen, lieber nicht zu viel regeln. Aber wir merken eben jetzt, dass auch andere Kriterien wie etwa ausbeuterische Arbeitsverhältnisse, ausgelaugte Böden oder die Nitrat-Bodenbelastung zur Gesamtrechnung gehören. Die Kosten dafür zahlen alle, übrigens auch die Vegetarier und Veganer. Ein toter Boden bleibt ein toter Boden, auch wenn Sie ihn vielleicht noch ein Jahr mit Chemie pimpen können. Das Problem sind ja nicht die Bauern. Aber eine global agierende Industriestruktur berät die Landwirte seit Jahren eben in diese Richtung, ob sie nun Bayer-Monsanto, Syngenta oder ChemChina heißen. Mit der Digitalisierung bekommen diese Firmen eine noch größere Macht, weil sie Daten erheben können, von denen der Staat nur träumen kann. Im Namen von angeblich größerer Effizienz kommt es zu noch größerer Intransparenz, zu weiterem Raubbau und Belastung der Natur. Das wird uns auf Dauer nicht ernähren.

Auch wenn alles mit allem zusammenhängt, können sie nicht alles auf einmal lösen.
Das stimmt, aber man darf auch nicht verharren und am Alten festhalten. Man muss Krisen nutzen und sich auf  wesentliche Weichenstellungen fokussieren. Ich habe mich damals auf EU-Ebene mit Dänemark zusammengetan und mich für den Ökolandbau eingesetzt. Das gab ohne Ende Kampagnen gegen mich, immer mit der Behauptung, ich würde jetzt die Bauernfamilien schlecht reden. Ein kommunikativer Trick: Menschen als Opfer hinzustellen, die ich gar nicht kritisiert habe. Trotzdem kam das Biosiegel und es hat uns nicht geschadet, im Gegenteil. Nun will auch die EU-Kommission 25 % Ökolandbau.

Was würden Sie anders machen als die Große Koalition?
Zuallererst wollen wir, dass aus dem freiwilligen Tierwohl-Label ein verpflichtendes Tierschutz-System wird. Ein Kunde, der wissen will, woher sein Fleisch kommt und wie das Tier gelebt hat, braucht verlässliche, verpflichtende, staatlich festgelegte Mindeststandards. Sonst sind diejenigen Landwirte und Produzenten, die sich um Tierschutz kümmern, immer die Dummen. Wer seine Sauen auch auf die Wiese lässt, der sollte auch mit Wiese auf der Packung werben dürfen. Wer seine Tiere nur in beengten Ställen darben lässt, sollte das nicht dürfen. Deshalb fordern wir auch, dass irreführende Werbung und Produktaufmachungen, die eine kleinbäuerliche und artgerechte Haltung vorgaukeln, verboten werden. Was drauf steht, muss eben wirklich drin sein.

Von weniger idyllischen Verpackungen verschwindet aber wohl noch keine Massentierhaltung. Sie wollen eine Reduktion der Tierbestände erreichen. Sollte es nicht die freie Entscheidung der Landwirte sein, so viele Tier zu halten wie sie wollen?
Sie haben in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen Landkreise, da gibt es mehr Tiere als Menschen. Wir wissen nicht, wohin mit der Gülle. Wir haben ein Ammoniak- und ein CO2-Problem. Die Landwirtschaft und ganz speziell im Bereich der Tierhaltung muss auch ihren Beitrag gegen die Klimakrise leisten. Natürlich haben wir eine freie Wirtschaft. Aber wir behandeln bei Autos die Benziner ja auch anders als die Dieselautos, die Elektro- oder Wasserstoff-Autos. Die Frage ist nicht: Darf der Staat regulieren? Sondern: Darf der Staat nicht regulieren? Eben weil sonst Schäden entstehen, die wir alle wieder bezahlen müssen, wie etwa durch höhere Wasserpreise oder am Ende damit, dass wir hier irgendwann nichts mehr anbauen können.

Wie die Ministerin fordern die Grünen eine Tierwohl-Abgabe von 4 Cent pro 100 Gramm Fleisch. Frau Klöckner erhofft sich davon auch eine Änderung des Konsumverhaltens. Wie realistisch ist das?
Ein paar Cent mehr ändern kein Konsumverhalten. Aber ich erzähle ja wirklich nichts Neues, wenn in jedem Ernährungsberater steht, dass zu viel Fleisch ungesund ist. Probleme wie Rheuma, Gicht, Arthrose oder Übergewicht haben eben auch Ernährungsursachen, und immer mehr Menschen wissen darum und ernähren sich schon jetzt weniger fleischlastig. Eine Verbraucherabgabe auf Fleisch müsste natürlich sozialpolitisch flankiert werden, indem der Mindestlohn und die ALG-II-Sätze erhöht werden. Die in der Tat sehr wichtige Nachfrageseite könnte aber sehr wohl auch noch anders gesteuert werden und auch da vermissen wir Ideen der Regierung.

Was stellen Sie sich vor?
Wir müssen im Bund und in den Ländern anfangen, die Kantinen in Kindergärten, Schulen, Universitäten und Altersheimen umzustellen. Natürlich nicht per ordre mufti von oben. Aber man könnte zum Beispiel die Vergabekriterien verändern und dies unterstützen. Mehr Bio auf dem Speiseplan heißt auch weniger Fleisch von der Menge her. Das ist gesünder, und davon profitieren alle. Wir müssen mit allem sehr viel schneller sein, als die Regierung es derzeit plant. Städte wie Bremen und Berlin haben sich längst auf den Weg gemacht. Wir brauchen zudem ein unabhängiges Monitoring, denn ein 0,25 Quadratmeter mehr Platz für eine Sau von 110 Kilo sind noch kein Tierschutz, die Wirkung der Tierhaltung muss überwacht werden. Daraus werden dann sicher höhere Anforderungen werden.

In ihrem Antrag fordern die Grünen außerdem ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen. Soll so, wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) Dieselfahrverbote erwirkt, Peta Stallschließungen erzwingen?
Ja, wir stellen uns vor wie im Umweltbereich eine Liste von Verbänden zu erstellen, die sich im Kern mit Tierschutz und Tierhaltung beschäftigen. Am Ende könnte vielleicht sogar der Schweinehalter-Verband dazugehören. Auch die beschäftigen sich ja mit Initiativen, die deutlich über das hinausgehen, was die CDU jemals wollte. Ist so.

Aber wie wollen Sie mit all diesen Regeln, die Kosten verursachen werden, verhindern, dass die Betriebe ins Ausland abwandern, solange sie keine EU-weite Lösung haben?
Man muss vorangehen. Die Eier-Kennzeichnung haben wir in Deutschland zuerst gemacht. Die Kampagne für ein Biosiegel und ein sehr umfassendes Programm für den Umbau der Landwirtschaft mit Forschungsgeldern und Projektförderung haben wir damals auf den Weg gebracht. Andere sind gefolgt. Wir müssen natürlich zeitgleich anfangen, europaweit einheitliche Regelungen anzuschieben. Und wegen der hohen Investitionskosten sind das oftmals nur Drohgebärden. Wir sollten mit einem verpflichtenden Herkunftskennzeichen antworten.

Noch so ein Riesenthema für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft?
Man braucht für Entschlossenheit keine EU-Ratspräsidentschaft. Sie müssen jederzeit andere Mitgliedsstaaten suchen, die mitmachen und EU–Initiativen ergreifen, das geht immer. Wenn man will, dass eine Geschichte anfängt, dann aber nur wartet, dass alle Ja sagen, dann hat man den Mechanismus der EU nicht verstanden. Man muss selber anfangen, Wege und Methoden vorstellen, die zeigen, dass man damit Geld verdienen, aber gleichzeitig Klima, Arten, Boden und Wasser schützen kann.

Die Fragen stelte Bastian Brauns, Ressortleiter Wirtschaft

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