Orchestral Tools - Virtueller Virtuose

Ob Interstellar, Mulan oder die neue Star-Trek-Serie „Picard“ – die Instrumente der Firma „Orchestral Tools“ erklingen in der Filmmusik zahlreicher Hollywood- und Netflix-Blockbuster. Ihr Gründer Hendrik Schwarzer hat noch größere Pläne.

Hendrik Schwarzers Business: Er erschafft virtuelle Klangwelten mit echten Instrumenten / Verena Brandt
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Autoreninfo

Bastian Brauns leitete das Wirtschaftsressort „Kapital“ bei Cicero von 2017 bis 2021. Zuvor war er Wirtschaftsredakteur bei Zeit Online und bei der Stiftung Warentest. Seine journalistische Ausbildung absolvierte er an der Henri-Nannen-Schule.

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Wenn Hans Zimmer auf der Suche nach einem ganz bestimmten Sound ist, ruft er Hendrik Schwarzer an. Als Oscar-Preisträger hat der Hollywood-Filmmusikkomponist einen Ruf zu verlieren. Immerhin schreibt er derzeit an der Filmmusik für den neuen James Bond.

Hendrik Schwarzer, 32 Jahre, ist so etwas wie das virtuelle Back-up für Filmmusikkomponisten auf der ganzen Welt. In der kleinen, exklusiven Branche sind die Instrumentensounds seiner Firma Orchestral Tools zum Standard geworden. „Wenn Sie ins Kino gehen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Sie unsere Instrumente hören“, sagt Hendrik Schwarzer.

Mit einem kleinen Team aus Sounddesignern und Marketingleuten sitzt er in einem Dachgeschossatelier mitten in Berlin-Kreuzberg. Hier und am Gründungsstandort in March bei Freiburg arbeiten inzwischen 18 Menschen. „Berlin ist der optimale Ort für uns“, sagt Schwarzer und zeigt auf die umliegenden Dächer. „Man kann Kreuzberg als Silicon Valley der Musik-Tech-Branche bezeichnen.“

Realistisch und nicht künstlich

Schwarzers Business: Er erschafft virtuelle Klangwelten mit echten Instrumenten. Jeden Ton, jeden Lauf, jedes Instrument und jede Stimme lässt er von echten Musikern einspielen, in oft tagelangen, aufwendigen Einzel- und Gruppenaufnahmen. „Jeden Musiker casten wir einzeln, aber der Aufwand lohnt sich“, sagt er. Später landen die Töne in Gigabyte-Größe auf den Festplatten von Orchestral Tools, bereit zum Download für große Komponisten. Die Soundpakete tragen Namen wie Metropolis Ark I, Berlin Strings oder Berlin Woodwinds. Sie sind überall zu hören – ob als chinesisches Orchester in Disneys Realverfilmung des Zeichentrickklassikers „Mulan“ oder im Hollywood-Blockbuster „Interstellar“. Gerade die bombastische Musik von Trailern wird immer häufiger mit virtuellen Instrumenten komponiert. Und Schwarzer unterstützt. Hier ein Fanfareneinwurf, dort ein Hummelflug von Streichern oder ein Chor, der klingt, als würden tausend professionelle Opernsänger ein drohendes Ende der Welt besingen.

Als Aufnahmeort dient das bekannte Teldex Studio in Berlin. „Es hat die perfekten akustischen Eigenschaften für die virtuellen Instrumente, die wir entwickeln“, sagt er. Die Kunst für die Komposition eines Soundtracks sei es, dass der Mix aus echtem Orchester und virtuellen Instrumenten am Ende realistisch klingt und nicht künstlich.

Musik für den Europa-Park

Nur wenige Komponisten würden noch ohne virtuelle Instrumente produzieren, sagt Schwarzer, und das beeindruckt ihn durchaus auch. Er schwärmt etwa von der jahrelangen engen Zusammenarbeit des Komponisten John Williams und des Regisseurs Steven Spielberg. Als beide 1993 mit „Jurassic Park“ in die Kinos kamen, war Schwarzer sechs Jahre alt und träumte schon davon, irgendwann Filmmusik zu komponieren.

Geprägt von selbstständigen Eltern, schmiss er mit 18 Jahren die Schule, gründete mit einem Kumpel seine erste Firma. Ihre Idee: Telefonwarteschleifen-Musik an Unternehmen zu verkaufen. Sie riefen die Firmen an, spielten ihre Minikompositionen ab. „Einige waren so genervt und sagten: Rufen Sie bitte nicht mehr an“, erzählt Schwarzer und muss lachen. Aber sie machten schließlich Gewinn.

Entscheidend für seine Karriere war, dass er Thomas Mack kennenlernte, sagt Schwarzer. Dessen Vater Roland Mack gründete einst den Europa-Park in Rust und beauftragte ihn, die Musik zu den dortigen Attraktionen und Shows zu komponieren und konzipieren.

Eine Art iTunes für virtuelle Instrumente

Wenn Hendrik Schwarzer heute über Pläne spricht, scheint auch in seinem Kopf ein Orchester zu spielen. Er springt von Satz zu Satz. Nicht nur Filmmusikkomponisten, auch einfache „Bed­room-Produzenten“ will er mit einer entwickelten Software „Sine“ erreichen. Der Player soll das Komponieren erleichtern und funktioniert wie eine Art iTunes für virtuelle Instrumente. Stücke lassen sich bauen, abspielen, einzelne Sounds und Instrumente kann man direkt kaufen. Eigentlich Hunderte Gigabyte große Instrumentenbibliotheken lassen sich in Teilen von einer Plattform laden und nach wenigen Minuten einsetzen. „Ein Novum in der Musik-Tech-Branche“, sagt er.

Im Frühjahr sollen erstmals Sounds von Kooperationen erscheinen: darunter auch ein für die aktuelle „Star Trek“-Serie Picard aufgenommener klingonischer Chor. Zu unendlichen Weiten gehören jetzt auch Schwarzers unendliche Klänge.

Dieser Text ist in der April-Ausgabe des Cicero erschienen, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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