O2 und Co. - Service des Grauens

Der Internet-Router unseres Autors ging kaputt. Was folgte, ist eine Horrorstory aus der Welt des automatisierten Service, irgendwo zwischen Kafka und Orwell

Geht mal etwas schief, sind die Service-Roboter hilflos / picture alliance
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Ich kann mir ein Leben ohne das Internet nicht mehr vorstellen. Mein Anbieter ist O2, früher war es mal Alice. Die Übernahme war mir egal. Ich habe, seit ich meinen Anschluss habe, den Anbieter nicht gewechselt, nie geschaut, ob ein anderer günstiger wäre. Ich habe keine Lust und keine Zeit, mich damit zu beschäftigen, ob ich so ein paar Euro sparen könnte. Ich glaube, es geht den meisten Leuten so. Aus Bequemlichkeit sind wir sehr loyale Kunden. Das Internet soll funktionieren, fertig. Vor ein paar Monaten dann hat es bei mir aufgehört, zu funktionieren, einfach so. Ich habe alle Tricks ausprobiert, ein-und-ausschalten und so weiter, nichts ging mehr. Ich rief also bei der Hotline an. Es war der Beginn einer Leidensgeschichte, die mir oft das Gefühl gab, ich würde mich irgendwo zwischen einem Kafka und Orwell-Roman befinden, ohne Aussicht auf Rettung.

Bei der Hotline sagte mir eine Computerstimme, ich solle meine Festnetznummer ins Telefon eintippen. Ich besitze kein Festnetztelefon, wie dessen Nummer lautet, weiß ich nicht. Wahrscheinlich steht sie auf irgendeinem Zettel, der im Zuge verschiedener Umzüge verloren gegangen ist. Für die O2-Hotline ist das anscheinend ungefähr so, als hätte ich meinen Pass verbrannt und meine Geburtsurkunde in den Fluss geworfen. Ohne die Nummer bin ich für sie wie ein Asylbewerber auf der Polizeistation: Identität nicht ermittelbar. Bei der Hotline kam ich also nicht weiter.

Die Menschen im Laden können nichts tun

Am nächsten Tag ging ich zu einem O2-Laden ums Eck. Ich schilderte den Verkäuferinnen mein Problem. Da könnten sie mir auch nicht helfen, sagten die äußerst freundlichen Damen, dazu hätten sie nicht die Befugnis. Das ginge nur über die Hotline. Es gebe aber einen Trick. Man müsse einfach abwarten, bis die Computerstimme nicht mehr nach der Telefonnummer fragt, dann würde man zu einem Service-Mitarbeiter durchgestellt.

Gesagt, getan. Ich kam mir zwar reichlich bescheuert vor, zehn Minuten lang auf die ständig wiederholte Frage der Computerstimme nicht zu reagieren, aber gut. Dann wurde ich tatsächlich zu einem Menschen durchgestellt. Ich sagte, dass ich die Telefonnummer nicht wüsste. „Geben Sie mir ihre Kundennummer, dann ist das kein Problem“, sagte der ohrenscheinlich kompetente Mann. Mein Router sei einfach kaputt, stellte er fest. In einer Woche werde ich einen neuen bekommen. Eine Woche ohne Internet ist ziemlich lang. Ich ging also zu meinen Nachbarn, ein älteres polnisches Paar, bei dem ich noch nie in der Wohnung war, und fragte, ob ich deren Anschluss, auch von O2, mitbenutzen dürfte. Ich würde ihnen auch was zahlen. „Überhaupt kein Problem und wir wollen kein Geld“, sagte mir die Frau und suchte die Anschlussdaten heraus.

Zwei Stunden Wartezeit

Eine Woche später kam tatsächlich der neue Router. Ich schloss ihn an, um aber ins Internet zu kommen, musste ich auf eine Seite, auf der ich meine Festnetztelefonnummer angeben sollte. Ich ärgerte mich natürlich, dass ich den Mann vom Service nicht danach gefragt hatte. Aber ich kannte ja den Trick mit dem Abwarten. Also rief ich wieder die Hotline an. Nach dem bekannten Ignorieren der Telefonnummner-Frage sagte mir die Computerstimme, „Ihre voraussichtliche Wartezeit beträgt zwei Stunden.“ Ich weiß nicht, wer zwei Stunden Zeit haben soll, um am Telefon zu hängen. Es können eigentlich nur arbeitslose Singles ohne Kinder sein, eine äußerst kleine Zielgruppe. Aus den Nachrichten erfuhr ich, dass ich mit dem Problem nicht allein war. Zahlreiche Kunden hatten sich beschwert. Unternehmens-Chef Thorsten Dirks sagte, dass es bei der Übernahme von E-Plus zu Schwierigkeiten gekommen wäre. Darauf sei man nicht so gut vorbereitet gewesen. Aber sie würden die Sache angehen und bald werde sich die Lage entspannen.

Man würde zwar denken, dass der Kundenservice, der Service für die Menschen, von deren Loyalität die riesige Firma lebt, bei so einer milliardenschweren Übernahme oberste Priorität gehabt hätte. Aber ich hatte ja Internet, ich wartete also ab. Ich ließ das Ganze ein bisschen schleifen, ich hatte viel zu tun. Aber ein paar Wochen später nahm ich mir einen halben Tag frei, vor allem, um diese Sache zu regeln. Vormittags werden schon nicht so viele Anrufer in der Leitung stecken, dachte ich.

Vermeintliche Verbesserungen verstärken den Unmut

Als ich anrief, merkte ich sofort, dass die Firma bei der Hotline tatsächlich etwas geändert hatte. Jetzt sprachen abwechselnd eine weibliche und eine männliche Computerstimme. „Um Ihnen lästiges Eintippen zu ersparen, passiert jetzt alles sprachbasiert“, sagte eine von ihnen. Und: Diesmal sollte ich nicht meine Festnetz-, sondern meine Handynummer angeben. Ich wusste nicht, was das mit meinem Internetanschluss zu tun hatte, aber gut. Ich sprach also meine Handynummer ins Telefon. Als Antwort kam, „ Wir haben Sie leider nicht verstanden.“ Das ging mehrere Male so. Irgendwann schrie ich die Nummer. Es half nichts, aber irgendwie kam ich trotzdem einen Schritt weiter.

„Was ist Ihr Anliegen?“, fragte die andere Stimme jetzt. Ich wusste nicht genau, wie ich mein Problem beschreiben sollte und sagte „Internet-Konfiguration“, um irgendwie technisch zu klingen. Als Antwort kam, „Meinten Sie: mobiles Internet?“ Ich vergewisserte mich, ob ich nicht die Handy-Hotline angerufen hatte, dem war nicht so, also wiederholte ich „Internet-Konfiguration“. Als Antwort kam: „Meinten Sie: mobiles Internet?“ Das Spiel ging minutenlang so weiter, bis mir wieder in Aussicht gestellt wurde, mit einem Mitarbeiter verbunden zu werden. „Ihre voraussichtliche Wartezeit beträgt 45 Minuten.“ Übrigens: All diese Anrufe kosten Geld. Ich legte auf. O2-Chef Thorsten Dirks sagt, er sehe sich die Zahlen der Hotline jeden Tag an: 80 Prozent der Kunden würden innerhalb von fünf Minuten einen Ansprechpartner haben. Wahrscheinlich tut er dies immer zwischen 3 und 4 Uhr nachts. Ich habe die Sache erst einmal aufgegeben. Ich zahle O2 jetzt jeden Monat einen Betrag für ein Angebot, das ich nicht nutze.

Service-Horrorgeschichten kein Einzelfall

Wer sich im Bekanntenkreis und in den Sozialen Netzwerken umhört, dem wird schnell klar: Service-Horrorgeschichten wie diese kennt jeder. Sie kommen vermehrt in der Telekommunikations-, aber auch in allen anderen Branchen vor. Das Problem ist fast nie ein menschlicher Mitarbeiter, es ist immer der automatisierte Service, der einen in den Wahnsinn treibt. Die Automatisierung ist anscheinend nur auf den Normalfall ausgerichtet. Geht mal etwas schief, versagt sie. Wo das hinführen kann, zeigt eine Sequenz der wunderbaren Fernseh-Serie „Silicon Valley“. Ein Mann steigt voller Begeisterung in ein selbstfahrendes Auto. Dann passiert etwas Unvorhergesehenes – und er landet im Container eines Schiffs, das ihn zu einer Bohrinsel mitten im Ozean bringt, auf der keine Menschen, nur automatische Gabelstapler anzutreffen sind. Sich so die Zukunft vorzustellen, mag technikfeindlich sein – ich bin mir ziemlich sicher, dass es genauso kommen wird. Sollten die Maschinen je gegen die Menschen aufbegehren, werden sie uns nicht bekriegen. Sie werden uns mit ihrem „Service“ langsam zermürben, bis wir verrückt geworden sind.  

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