Mietpreise in Metropolen - Im Grunde unbezahlbar

Auf den Straßen fordern viele die Enteignung von Immobilienkonzernen. Tatsächlich explodieren in den deutschen Metropolen nicht nur die Mieten, sondern auch die Preise für Bauland. Die Politik will diesem Trend Einhalt gebieten. Aber geht das?

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Preissteigerungen für Baugrund sind eine Folge normaler Marktmechanismen: Knappes Angebot trifft auf hohe Nachfrage / Moritz Wienert
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Seit bald einem halben Jahrhundert treibt ihn dieses Thema um. Und auch jetzt, mit 92, lässt Hans-­Jochen Vogel nicht locker. Der einstige SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat seiner Partei lebt seit zwölf Jahren in einem Münchner Seniorenstift, Besucher empfängt er in einem nüchternen Besprechungsraum gleich neben dem Speisesaal. Seit kurzem ist Vogel auf einen Rollstuhl angewiesen, aber er wirkt kein bisschen hinfällig. Über Baulandpreise will er sprechen, ein auf den ersten Blick eher dröges Sujet. Doch Hans-­Jochen Vogel kann sich darüber regelrecht echauffieren: Noch immer werde völlig unterschätzt, welchen Einfluss die ständig weiter steigenden Kosten für bebaubaren Grund und Boden auf das Problem der explodierenden Mieten hätten. Aktive Genossen bekommen regelmäßig Post von ihm, in denen er sie mit Zahlen, Daten, Fakten von seinen Thesen überzeugen will. Vor einigen Jahren hätte man das vielleicht als Marotte abgetan, inzwischen aber findet Vogel immer mehr Gehör.

„Ich bin mit diesem Thema schon Anfang der siebziger Jahre als Oberbürgermeister von München konfrontiert worden“, erzählt Vogel. Seit seiner Zeit als Kommunalpolitiker in der bayerischen Landeshauptstadt, später dann als Bundesbauminister kennt er die Preisentwicklung von Bauland genau, er verfolgt die Statistiken bis heute: „Die Baulandpreise sind im Bundesdurchschnitt seit 1962 um 1800 Prozent, die in München seit 1962 um sage und schreibe 34 000 Prozent gestiegen.“ Eine Dynamik also, die die Entwicklung der allgemeinen Verbraucherpreise bei Weitem überflügelt und die in seinen Augen die eigentliche Ursache für die gegenwärtige Mietenmisere ist. Denn wenn die Grundstücke schier unerschwinglich werden, treibt das natürlich auch die Kosten der darauf errichteten oder noch zu bauenden Häuser und Wohnungen in immer größere Höhen.

Sozialer Sprengstoff

Grund und Boden, das wird hier mehr als deutlich, ist eben nicht nur ein knappes Gut – sondern vor allem nicht reproduzierbar. Also keine beliebige Ware, weshalb auch „die Regeln des Marktes nicht unbeschränkt gelten können“, so Vogels Überzeugung. Das Bundesverfassungsgericht sah es ähnlich: „Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen; eine gerechte Rechts- und Gesellschaftsordnung zwingt vielmehr dazu, die Interessen der Allgemeinheit in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütern“, heißt es in einem Beschluss des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 1967.

Schon Anfang der siebziger Jahre machte sich Hans-Jochen Vogel in seiner Partei deshalb für eine Reform des Bodenrechts stark; ihm sei bereits damals klar gewesen, welcher soziale Sprengstoff in dem Thema steckt. Vorkaufsrecht für Kommunen, Abschöpfung der Planungsgewinne bei den Grundeigentümern, Einführung einer Bodengewinnsteuer: So lauteten seine Vorschläge, die in der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt auch beinahe realisiert worden wären – letztlich jedoch vom Finanzministerium torpediert wurden. Seither ist nicht mehr viel passiert.

Den Staat als Immobilienentwickler in die Pflicht nehmen

Aber weil steigende Mieten und explodierende Immobilienpreise inzwischen zu allerlei gesetzlichem Aktionismus führen, sieht Vogel die zweite Chance für einen großen Wurf. Oder besser gesagt für eine Reihe von Maßnahmen, die tiefer ansetzten als politische Kosmetik wie Baukindergeld oder Mietpreisbremse: „Eine Stadt wie Wien zum Beispiel hat seit 100 Jahren ihren Grundstücksbestand stetig vermehrt und kann dort entweder selbst Wohnungen bauen oder die Flächen in Erbpacht weitergeben. Und zwar mit genauen Vorgaben, was die Höhe der Mieten betrifft. Über die moderate Entwicklung der Mieten in Wien können wir in Deutschland nur staunen.“

Tatsächlich leben rund drei Viertel aller Wiener Haushalte in Mietwohnungen, ein Viertel davon befindet sich in städtischem Eigentum. Und jeder fünfte Haushalt in Österreichs Hauptstadt ist in Immobilien eines gemeinnützigen Bauträgers zu Hause. In Deutschland dagegen haben sich Anfang der Nullerjahre viele Städte von ihren kommunalen Wohnungsbeständen in großem Stil getrennt – mit den jetzt vielfach beklagten Folgen. Hans-Jochen Vogel würde den Staat deswegen als Immobilienentwickler gern wieder in die Pflicht nehmen, etwa durch Erweiterung des preislimitierten Vorkaufsrechts. Damit könnten die Kommunen leichter als bisher „ein für die künftige Entwicklung, etwa für den Wohnungsbau wichtiges Grundstück zu einem erträglichen Preis übernehmen“.

Die Privatisierung kommunalen Wohnraums

Dass das Thema Bauen und Wohnen in der deutschen Sozialdemokratie derzeit besonders angesagt ist, verwundert nicht. Die Partei sucht dringend ein Feld, auf dem sie sich sozialpolitisch profilieren kann – zumal die von ihr initiierte und unlängst verschärfte Mietpreisbremse bisher kaum Wirkung gezeigt hat. SPD-Vizechef Thorsten Schäfer-Gümbel war Mitte September eigens in die österreichische Hauptstadt gereist, um sich vor Ort vom „Wiener Modell“ zu überzeugen und anschließend zu fordern, dass „öffentlicher, geförderter und genossenschaftlicher Wohnungsbau eine größere Rolle in Deutschland spielen müssen“.

Auch Natascha Kohnen, SPD-Spitzenkandidatin in Bayern und Leiterin der „Kommission für bezahlbaren Wohnraum und soziale Bodenpolitik“ ihrer Partei, drängt in diese Richtung: Die Privatisierung kommunalen Wohnraums, wie sie Anfang dieses Jahrhunderts in Mode war, um die Haushalte zu sanieren, sei ein „kolossaler Fehler“ gewesen. In Bayern habe das Finanzministerium noch vor wenigen Jahren 33 000 Wohnungen aus öffentlichem Eigentum „auf den Markt geschmissen, weil man das Geld zur Rettung der Bayerischen Landesbank brauchte“. Dabei hatte ein Konsortium mehrerer bayerischer Städte sogar angeboten, die Wohnungen zu kaufen, wenn man sie ihnen zu bezahlbaren Preisen angeboten hätte. „Das ist aber nicht geschehen, weil der Freistaat Höchstpreise erzielen wollte.“

Allerdings war auch die SPD bei der Privatisierung kommunaler Wohnungsbestände über lange Zeit wenig zimperlich. Allein im Jahr 2004 gingen etwa in Berlin durch den Verkauf der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) an eine internationale Investorengruppe insgesamt 65 700 Wohnungen in privates Eigentum über – unter Federführung des damaligen SPD-Finanzsenators Thilo Sarrazin. Zwei Jahre zuvor waren, ebenfalls in einer rot-roten Koalition, bereits 32 000 Berliner Wohnungen privatisiert worden.

Knappes Angebot trifft auf hohe Nachfrage

Dass nun plötzlich das Rad der Geschichte wieder zurückgedreht werden kann, ist wenig plausibel – obwohl (oder gerade weil) die Steigerung der Baulandpreise in der deutschen Hauptstadt allein vom Jahr 2016 zum Jahr 2017 durchschnittlich sage und schreibe 77 Prozent betrug. Das Beispiel Wiens mit seinen extrem großen Beständen an kommunalen Wohnungen tauge – abgesehen von Investitionen in Milliardenhöhe, die dann nötig wären – „nur bedingt“ als Vorbild für Berlin, sagt Maren Kern, Vorstand beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), unter dessen Dach öffentliche wie private Immobilienfirmen mit einem Bestand von insgesamt 1,1 Millionen Wohnungen versammelt sind. Denn mit diesem Modell würden „viele besser verdienende Haushalte subventioniert, die sich auch zu üblichen Marktkonditionen eine Mietwohnung leisten könnten“. In der Ökonomie spricht man von „Mitnahmeeffekten“.

Noch immer werde völlig unterschätzt, welchen Einfluss die ständig weiter steigenden Kosten für bebaubaren Grund und Boden auf das Problem der explodierenden Mieten hätten, sagt der einstige SPD-Vorsitzende Hans-­Jochen Vogel / Moritz Wienert

Extreme Preissteigerungen für bebaubaren Grund und Boden insbesondere in den Metropolen sind zunächst die Folge normaler Marktmechanismen: Knappes Angebot trifft auf hohe Nachfrage. Letztere steigt zum einen wegen des Bevölkerungswachstums in den großen Städten. Zum anderen aber auch, weil es – unter anderem wegen der Nullzinspolitik – einen „gigantischen Kapitalüberhang gibt“, wie Albert Fittkau aus Erfahrung weiß. Und an dieser Stelle setzt eine gewisse Irrationalität ein, die den Markt wiederum verzerrt. Fittkau ist Vorsitzender des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in München und sagt, manche Investoren hätten so viel Geld, „dass sie nicht wissen, wohin damit, und sogar eine negative Verzinsung in Kauf nehmen“.

Angst vor Bürgerinitiativen

Konkret heißt das: Für einige Immobilien werden inzwischen derart hohe Preise gezahlt, dass eine Rendite kaum möglich sei. Hauptsache, man erwirbt reale Werte. In diesem Fall: festen Boden unter den Füßen, am besten mit einem Gebäude darauf – auch wenn die Anschaffungskosten teilweise das 70-Fache der jährlichen Mieterlöse betragen. Wolle man die normale Bevölkerung entlasten, sei es deshalb sinnvoll, das Angebot auszuweiten, anstatt existierende Bestände zu erwerben. Mit anderen Worten: Die Kommunen müssen neues Bauland schaffen. Das funktioniert aber meist nur noch an den Stadträndern.

So sieht es auch Kai Wegner, der baupolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Und nimmt dafür nicht zuletzt die Kommunen in die Pflicht: Der Gesetzgeber habe in der zurückliegenden Legislaturperiode die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass auch mehr in den städtischen Außenbereichen gebaut werden könne. „Aber viele Kommunen tun sich schwer damit, weiteres Bauland freizugeben, weil sie Anwohner­interessen oder Bürgerinitiativen fürchten. Das ist zwar verständlich, aber wenn man das Gesamte im Blick haben will, muss man da ran.“

Entlastung an der Immobilienfront

Maren Kern vom Wohnungsverband BBU wird bei diesem Thema konkret: In Berlin werde schlicht zu wenig Bauland ausgewiesen, obwohl die Stadt über entsprechende Potenziale verfügte. „Stattdessen wurde von der rot-rot-grünen Landesregierung eine Fläche wie die Elisabeth-Aue, wo mindestens 5000 Wohnungen hätten entstehen können, aus der Entwicklung wieder rausgenommen und auf Eis gelegt, weil es Widerstände aus der Bevölkerung gab.“ Kleingärten wiederum seien in der Hauptstadt als potenzielles Bauland „ohnehin sakrosankt, obwohl um Berlin herum nach dem Fall der Mauer längst kein Mangel an Naherholungsgebieten mehr herrscht. Das sind alles Faktoren, die natürlich den Druck auf den Markt erhöhen.“

Der Druck ist mittlerweile so groß, dass allerlei andere Stellschrauben für Entlastung an der Immobilienfront sorgen sollen. In Bayern etwa wird seit drei Jahren die Verlagerung von Landesbehörden aus München in ländliche Regionen praktiziert; mit dem Projekt sollen offiziell strukturschwache Räume gefördert werden, aber natürlich haben Bedienstete des Freistaats in der Provinz viel eher die Chance, erschwingliches Bauland oder bezahlbare Mietwohnungen zu finden als in der extrem teuren Landeshauptstadt. Auch haben sich etliche Landesregierungen selbst als Preistreiber betätigt: Seit die Bundesländer im Zuge der Föderalismusreform die Hoheit über die Grunderwerbsteuer bekommen haben, sind sie damit teilweise stark in die Höhe gegangen. „In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel liegt sie bei 6,5 Prozent und damit drei Prozentpunkte höher als ursprünglich. Das treibt die Preise echt nach oben“, sagt Stefan Kofner, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Zittau/Görlitz.

Höhere Steuerbelastung als Mittel gegen Tricks

Kai Wegner wiederum, der CDU­Bauexperte im Bundestag, will der preistreibenden Spekulation mit Bauland einen gesetzlichen Riegel vorschieben: Wenn ein Investor ein Baugrundstück kaufe und es zehn Jahre lang einfach liegen lasse, um es dann mit hohen Gewinnen weiterzuverkaufen, sei das nicht hinnehmbar. „Da halte ich die Idee einer sogenannten Grundsteuer C für überlegenswert, die nämlich eine höhere Steuerbelastung vorsieht, wenn das Grundstück unbebaut bleibt.“ Wegner könnte sich sogar vorstellen, dass das Baurecht wieder zurückgenommen wird, „wenn ein Investor ein baureifes Grundstück erwirbt und es trotzdem aus Spekulationsgründen brachliegen lässt“.
Am Ende aber werden auch solche Maßnahmen die Lage nicht ernsthaft befrieden können.

Ein mit Immobilienfragen befasster Spitzenbeamter in einer großen deutschen Metropole, der namentlich nicht genannt werden will, gibt sich fatalistisch: „Entweder, wir regulieren diesen Markt vollständig, und der Staat setzt die Höchstpreise für Wohnraum fest. Oder man reguliert ihn gar nicht und wartet, bis er sich irgendwann von selbst wieder reguliert hat.“ Wenn sich zum Beispiel eine Krankenschwester das Wohnen in der Stadt irgendwann endgültig nicht mehr leisten könne, gebe es dort eben keine Krankenhäuser mehr. „Dann ziehen die Leute auch wieder weg und die Preise sinken wieder.“

Dies ist ein Text aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.















 

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