Meinungsherrschaft - Ziemlich verstiegen

Die Welt muss angesichts der Pandemie auf das weltläufige World Economic Forum verzichten. Dabei wäre es gerade jetzt wichtiger denn je. Das jedenfalls meint sein Gründer Klaus Schwab. Die Politik ist damit nur noch eine Kraft neben der Wirtschaft.

Das Kongresszentrum, der Veranstaltungsort des Weltwirtschaftsforums WEF in Davos/ dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Das World Economic Forum, traditionell in Davos zu Hause, ist eine globaleske Veranstaltung. Doch die Pandemie hat das WEF nicht nur aus der hässlichen Bergstadt in weltschönster Gebirgsgegend vertrieben. Auch der Bürgenstock, Katars Hochsitz über den Stammwassern der Eidgenossenschaft, darf dem WEF nicht Herberge sein. Und nun fällt sogar noch die Finanzfeste Singapur als Tagungsort aus, denn dort ist die Indien-Mutante des Virus aufgetreten.

Die Welt muss auf das weltläufige WEF verzichten. Dabei wäre es doch gerade jetzt wichtiger denn je. Davon ist jedenfalls sein Gründer und Forums-Großvater Klaus Schwab überzeugt. Mit geübtem Blick rund um den Globus und über den irdischen Tellerrand stellt er fest: „Reine Regierungstreffen wie G20 und G7 müssen durch ein Treffen ergänzt werden, das alle Entscheidungsträger umfasst.“

Politik wird zweitrangig

Ein Treffen? Welches Treffen? „Die Pandemie hat uns gezeigt, dass die großen Herausforderungen nur durch eine Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Unternehmen bewältigt werden können.“ Ohne Namen zu nennen, verrät Schwab, was er meint: sein WEF. Die Zusammenkünfte der weltwichtigsten Regierungen: zweitrangig. Erstrangig dagegen, also wirklich wichtig: das World Economic Forum!

Der geniale Gastgeber und grandiose Causeur, der Zauberkünstler, der jeder noch so durchsichtigen Banalität flugs philosophische Höhe, Breite und Tiefe verleiht – er weiß, was die fünf Kontinente nach der Pandemie dringend brauchen: Ihn – Klaus Schwab. Er weiß auch, was aus dieser Einsicht folgt: Die Politik ist nur noch eine Kraft neben der Wirtschaft, die sich zur gleichwertigen Entscheidungsträgerin erhoben sieht.

Upgrading für die Wirtschaft

Ja, so beiläufig klingt die Relativierung der Demokratie, welche bisher auf dem Primat der Politik gründete: WEF-Upgrading für die Wirtschaft, WEF-Downgrading für die Politik – zum Heil des Erdballs trifft man sich auf gleicher Davoser Hoch-Ebene. In der Tat alles ziemlich verstiegen, mindestens auf 1.560 Meter über Meer.

Doch der WEF-Gründer und geschäftsführende Vorsitzende ist in Zeiten der Pandemie-Notstandsgesetze nicht allein mit seinen Gedankenspielen. Europas Klimabewegung, grün und links, bemüht sich gerade, ähnlich autoritäre Einsichten programmatisch umzusetzen: Statt Virologen und Epidemiologen weissagen künftig Klimatologen und Soziologen den mit Verboten und Geboten gepflasterten Weg in die klima-religiöse Zukunft – und schon erfüllt sich, was Greta Thunberg, Göttin von Fridays for Future (FFF), der klima-katastrophierten Weltgesellschaft zugerufen hat: „Folgt der Wissenschaft!“

Post-postmoderner Abklatsch

Greta war – wie könnte es anders sein – bereits zu Gast am Davoser Gipfel. So kommt eins zum andern und fügt sich zur neuen Welt-Elite. Zum post-postmodernen Abklatsch von Platons Philosophen-Republik. Davor warnte einst Karl Popper in seinem Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“: Der Philosoph forderte kategorisch den dauerhaften Widerstreit von Versuch und Irrtum und damit die – politische – Debatte in der Demokratie. Auch die Freiheitsdenkerin Hannah Arendt konstatierte die Identität von Freiheit und Politik.

Politik zuerst – das ist die Grundlage der aufgeklärten Gesellschaft und des Bürgertums. Beide sollen gerade zurückgestuft werden: zu Objekten der Erziehung durch eine selbstherrliche Kaste – vom WEF bis zu FFF, Chiffren der Bevormundung von Bürgerinnen und Bürgern. Der Staat wird umgedeutet zur moralischen Besserungsanstalt. Höchste Zeit, dem liberalen Gründergeist in den freisinnigen Parteien auf die Sprünge zu helfen – nach der alten, aber aktuellen Weisheit: „Wehret den Anfängen!“ Akademische, kulturelle, mediale und wirtschaftliche Eliten greifen nach der gesellschaftlichen Macht – rechts über die Politik hinweg, links unter der Politik hindurch.

Das Volk stört beim Lenken

Ein materiell bestens ausgestattetes Milieu versucht, seine Meinungsherrschaft zu zementieren und die einfachen Menschen maternalistisch-paternalistisch mit sozialen Wohltaten zu sedieren, auf dass man beim Lenken nicht gestört werde durch gemeines Volk. Ob WEF oder FFF: Die Corona-Verhältnisse dienen diesen als Blaupause beziehungsweise Grünpause – je nachdem.

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