Cicero im Oktober - Graf Draghila

Erst wenig, dann keine: Mit Mario Draghi als Chef mied die Europäische Zentralbank Zinsen wie der Teufel das Weihwasser. Sparer wurden für mehr als acht Jahre regelrecht ausgesaugt. Doch hat es wenigstens etwas gebracht? Im aktuellen Cicero ziehen wir Bilanz

Mario Draghi als Vampir: Teure Zeit auf Kosten der Sparer / Sören Kunz
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Zehn Jahre geht das nun schon. „What­ever it takes“, hatte der Chef der Europäischen Zentralbank den Akteuren auf den Finanzmärkten zugerufen – er werde tun, was immer nötig sei, den unter schwerstem Druck stehenden Euro im Zuge der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite zu retten. „Whatever it takes“, das hieß am Ende: viel, sehr viel Geld. Vor allem das Geld der Sparer. Mario Draghis Niedrigzinspolitik, verbunden mit dem massiven Aufkauf von Staatsanleihen der EU-Krisenstaaten, ließ das Spargeld auf den Konten verschimmeln. Auf etwa 320 Milliarden Euro werden allein die Zinsverluste der deutschen Privatsparer veranschlagt, 600 Euro pro Jahr und Kopf der Bevölkerung.

Unser Titelautor Daniel Stelter nimmt den scheidenden EZB-Chef dennoch gegen Kritik in Schutz. Präziser: Er legt dar, dass der Italiener der Politik lediglich Zeit gekauft hat – die aber verplempert wurde. Draghi ist so gesehen der Vampir, der für andere Blut saugt. Denn eine Politik, so Stelter, die Schulden durch billiges Geld weniger gewaltig macht, sei „zwingend eine Politik zulasten der Sparer“. An die Stelle des großen Knalles, also des Crash, trete die schleichende Enteignung der Sparer.

Wer übernimmt Draghis Erbe?

Insofern hat die Politik, namentlich die Bundesregierung, die Bevölkerung zweimal getäuscht. Erstmals, als der damalige Finanzminister Peer Steinbrück und Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zehn Jahren, am 5. Oktober 2008, den Sparern versprachen, dass ihre Einlagen sicher seien. Dieses Versprechen verhinderte zwar einen Run auf die Bankautomaten, war aber nie gedeckt. Zum zweiten Mal, weil in den zehn Jahren, die Draghi auf Kosten der Sparer in der Eurozone teuer erkauft hat, politisch nichts vorangegangen ist, um die Krisenanfälligkeit der Gemeinschaftswährung zu beheben.

Im nächsten Jahr wird Draghi seinen Posten räumen. Wer sein fragiles Erbe übernimmt, ist offen. Nur eines scheint sicher zu sein: Ein Deutscher kommt dafür eher nicht infrage. Der einst als Kandidat gehandelte Jens Weidmann, Chef der Bundesbank, ist von Kanzlerin Merkel zugunsten eines deutschen Kommissionspräsidenten fallen gelassen worden. Ob das die richtige Priorität war?

Dieser Text stammt aus der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.

Außerdem in dieser Ausgabe:

- Wird der Osten unregierbar? Antje Hildebrandt und Christoph Seils analysieren den dortigen Aufstieg der AfD

- Diagnose: Abgehoben! Jan Zielonka analysiert die Krise der liberalen Eliten

- Den eigenen Bestseller verlegen? Na klar! Raphaela Sabel über den lukrativen Markt für Selfpublisher-Autoren

- Literaturen – 18 Seiten Extra zur Frankfurter Buchmesse

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