Kriminelle Banden - Der Große Klau

Deutschland ist ein Paradies für Einbrecher. Reisende Banden nutzen das große Wirtschafts­gefälle in Europa. Der Schaden ist riesig. Straf­verfolgung gibt es kaum

Erschienen in Ausgabe
Alle drei Minuten wird in Deutschland eingebrochen. Die Banden räumen systematisch Wohnungen leer / Illustration: Christine Rösch
Anzeige

Autoreninfo

Olaf Sundermeyer arbeitet beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) als Experte zum Thema Innere Sicherheit. Er ist Autor des Buches „Bandenland – Deutschland im Visier von organisierten Kriminellen“

So erreichen Sie Olaf Sundermeyer:

Anzeige

Kein Tag vergeht, an dem in Deutschland nicht über Terrorismus diskutiert wird, über die Bedrohung durch den Islamismus, über rechte und linke Gewalt. Dabei macht insbesondere die Eigentumskriminalität hierzulande eine wachsende Zahl von Menschen zu Opfern. Der Europäische Rat warnte schon im Jahr 2015, die schwere und organisierte Kriminalität müsse bei den Herausforderungen im Bereich der inneren Sicherheit an erster Stelle genannt werden. Im Unterschied zum Terrorismus ist die Zahl der Menschen, die von dieser Form der Alltagskriminalität betroffen sind, deutlich höher. Der wirtschaftliche Schaden geht in die Milliarden, die Bedrohung ist flächendeckend und sie ist allgegenwärtig.

Eigentumsdelikte haben drastisch zugenommen

Die Deutschen sind beunruhigt. „Die Sorge, persönlich durch Kriminalität gefährdet zu sein, nimmt seit Jahren auffallend zu“, schrieb kürzlich Renate Köcher, Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, parallel nimmt das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen ab. Neben dem wirtschaftlichen Schaden sind die psychologischen Folgen gravierend. 45 Prozent der Opfer fühlen sich auch ein Jahr nach einem Einbruch in ihrer gewohnten Umgebung noch unsicher. Diesen Verlust an Sicherheit nehmen viele Menschen im Vergleich zu dem finanziellen Verlust als wesentlich größeren Schaden wahr. 

Seit vor zehn Jahren der Schengenraum um die osteuropäischen EU-Länder erweitert wurde und die stationären Grenzkontrollen weggefallen sind, haben Eigentumsdelikte drastisch zugenommen. Diebe und Trickbetrüger können weitgehend ungehindert nach Westeuropa, vor allem nach Deutschland reisen, um sich am Wohlstand dort zu bedienen. Und obwohl Behörden und Politiker seit Jahren versuchen, den Menschen in diesem Land ein anderes Bild zu vermitteln, stecken dahinter reisende Banden. Fachleute der europäischen Polizeibehörde Europol gehen davon aus, dass über die Hälfte der rund 170 000 Einbrüche in Deutschland auf deren Konto geht. Die Banden kommen vor allem aus den Ländern Ost- und Südosteuropas, aus Ländern am unteren Ende der europäischen Wohlstandsskala. 

Rinderherde oder Bienenstöcke verschwinden

Alle drei Minuten wird in Deutschland eingebrochen. Die Banden räumen systematisch Wohnungen leer. Stadt um Stadt gehen sie vor. In einigen besonders betroffenen Städten hat sich die Zahl der Einbrüche in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt. Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft spricht von dem höchsten Stand der versicherten Einbrüche seit 2003. Allein für diese Einbrüche zahlte die Branche – nach Verbandsangaben – die Rekordsumme von 530 Millionen Euro an ihre Kunden aus. Auch die meisten Taschen- und Ladendiebstähle werden nicht von Einzeltätern begangen. 

Der große Klau geht um: Autos, Fahrräder, Kinderwagen, Geldbörsen, Smartphones. Die Banden haben es auf die mobilen Symbole der Wohlstandsgesellschaft abgesehen und greifen alles ab, was nicht ausreichend gesichert ist. Bankkonten werden ausgespäht und geplündert, Geldautomaten gesprengt. Einzelne Banden klauen systematisch die Filialen von Drogerie- und Supermarktketten leer. Auch Land- und Baumaschinen verschwinden, neuerdings sogar ganze Rinderherden oder Bienenstöcke. 

Kriminalität als Preis der Freiheit

Deutschland sei ein „Paradies für Einbrecher“ geworden, so der Bund Deutscher Kriminalbeamter, und dass es dazu kommen konnte, sei „Politikversagen“. Der BDK-Vorsitzende André Schulz sagt, seine Polizeigewerkschaft habe den damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) angesichts der Öffnung der Grenzen nach Osteuropa vor dem zu erwartenden Kriminalitätsdruck aus Osteuropa gewarnt. Dessen Antwort sei eindeutig ausgefallen, erinnert sich Schulz: „Diesen Preis müsse man für die Freizügigkeit zahlen. Es ist der Preis der Freiheit.“ Das sei eben eine politische Entscheidung gewesen, eine Kosten-Nutzen-Abwägung, bei der die wirtschaftliche Ausrichtung Deutschlands als Exportnation den Ausschlag gab. Die Kosten gingen zulasten der Sicherheit und wurden politisch in Kauf genommen.

Wie hoch der wirtschaftliche Schaden tatsächlich ist, darüber kann angesichts der hohen Dunkelziffer nur spekuliert werden. Zumal es Auslegungssache ist, was unter „Organisierter Kriminalität“ zu verstehen ist. So meldet das Bundeskriminalamt in seinem „Bundeslagebild 2015“ mit 424 Millionen Euro eine Schadenssumme, die geringer ausfällt als der gesamte Einbruchschaden, den die Versicherten beziffern. Dieser taucht aber in dem „Lagebild OK“ nicht mit auf. Weil gegen die meisten Einbrüche bislang nicht als organisierte Kriminalität ermittelt wird, sondern zumeist als zusammenhangloses Massendelikt. Die dort aufgeführte Summe ergibt sich aus bundesweit 566 sogenannten „OK-Verfahren“. Die offizielle Statistik umfasst vor allen aufwendige Ermittlungsverfahren mit Täterobservation, Telefonüberwachungen, Ermittlungen von Finanzströmen und Hintermännern. Solche Verfahren richten sich vor allem nach der Verfügbarkeit von Polizisten und Staatsanwälten. So prägen Kategorien wie Russenmafia, italienische Mafia, Rockerbanden oder Drogenkartelle die behördliche Wahrnehmung der organisierten Kriminalität. 

Enorm hohe Dunkelziffer

Kein Wunder, dass die Aufklärungsquote bei Einbrüchen offiziell nur etwa 15 Prozent beträgt. Sie dürfte in Wirklichkeit deutlich niedriger sein. Denn ein Einbruch gilt bereits als aufgeklärt, wenn nur ein Tatverdächtiger ermittelt wurde. Selbst dann, wenn die Beute verschwunden bleibt, und selbst dann, wenn die Polizei nichts über eine Bande erfährt, deren Mitglied der Verdächtige ist. Die tatsächliche Verurteilungsquote nach Wohnungseinbrüchen liegt denn auch bei höchstens 3 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen in einer Untersuchung. Auch Taschen-, Fahrrad- oder Ladendiebe werden kaum verurteilt, selbst in den wenigen Fällen, in denen die Täter gefasst werden. 

Angesichts der vielen Fälle, für die kriminelle Handlungsreisende verantwortlich sind, hat die Polizei in manchen Großstädten bereits kapituliert. Die Berliner Polizei zum Beispiel legte die meisten der im vergangenen Jahr angezeigten 45 000 Taschendiebstähle unbearbeitet zu den Akten. Tatsächlich dürfte deren Zahl sogar deutlich höher sein, denn weil es aussichtslos ist, meiden viele bestohlene Opfer den Aufwand, überhaupt eine Strafanzeige zu stellen. Erfahrene Ermittler schätzen deshalb, dass die Dunkelziffer der nicht angezeigten Diebstähle etwa zehn Mal so hoch sein dürfte. Über die Herkunft der Täter gibt es indes wenig Zweifel. Unter den ermittelten Taschendieben in der Hauptstadt waren im vergangenen Jahr 90,7 Prozent Nichtdeutsche, die meisten von ihnen kamen aus Rumänien, es folgten Bulgarien, Bosnien und die Maghreb-Staaten. Bundesweit waren 75,7 Prozent der ermittelten Tatverdächtigen Nicht-Deutsche. Bei Wohnungseinbrüchen 40,2 Prozent.

Ermittlungsarbeit endet an den Grenzen

Dabei tauchen die meisten Mitglieder reisender Einbrecherbanden in den Polizeistatistiken mutmaßlich überhaupt nicht auf. Das allerdings macht kaum einer der politisch Verantwortlichen den Menschen klar. Ein Analyst des Landeskriminalamts in Berlin hingegen findet deutliche Worte: „Genau diese Intensivtäter sind diejenigen, die wir nicht kriegen“, gibt der Beamte offen zu. „Die, die wir kriegen, sind die, die auch einfach zu kriegen sind, in den leicht aufzuklärenden Fällen.“ Ortsgebundene Täter mit lokalem Wohnsitz, die in der eigenen Nachbarschaft zuschlagen, Beschaffungskriminelle, bei denen der Leidensdruck der Drogensucht das Handeln bestimmt. Die reisenden Banden dagegen verschwinden unbehelligt über die offenen Grenzen. Doch spätestens dort endet die Ermittlungsarbeit der Polizei. Auch deshalb hat der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, zuletzt eine bessere Koordination der grenzüberschreitenden Polizeiarbeit gefordert.

Einfach würde es trotzdem nicht, Täter zu ermitteln. Viele reisende Banden entstehen aus den festen Familienstrukturen von Roma-Clans in verschiedenen Ländern Osteuropas. Der rumänische Staatsanwalt Vasile Chifan hat sich auf Ermittlungen gegen kriminelle Großfamilien spezialisiert, die nach ihren Beutezügen immer wieder in ihre Heimat zurückkehren. „Sie spazieren durch ganz Europa. Für sie ist Europa ein Land“, sagt er. Neben Deutschland ist Frankreich in besonderer Weise betroffen. Die Gendarmerie unterhält dort eine eigene Abteilung für diese Art der Clan-Kriminalität. Von „polykriminellen Gruppen“ spricht Oberstleutnant François Deprés. „Der eine begeht Metalldiebstähle, ein anderer Einbrüche oder Taschendiebstähle und so weiter.“ Alle Leute würden verwendet. Oft habe das Delikt mit dem Alter zu tun. Die Jugendlichen stellen die Taschendiebe, die älteren die Einbrecher und Metalldiebe. 

Täter gehen meist straffrei aus

Dafür reisen die Banden über Ländergrenzen: Durch Frankreich, Belgien und Deutschland geht eine beliebte Reiseroute. Auf dieser ist auch das Mitglied eines Roma-Clans aus Rumänien oft unterwegs, das in einem Gespräch sagt: „Wir klauen in Deutschland, weil es dort gut geht. Und weil dort viel mehr zu holen ist als hier. Wenn man uns einen normalen Arbeitsplatz anbieten würde, würden wir Zigeuner nicht mehr stehlen. Aber wir haben halt keine Arbeit.“ Sie nennen sich selbst „Tsigani“ – Zigeuner, weil sie das alte, abwertende Wort verinnerlicht haben. An den Rand der Gesellschaft gedrängt, sehen sie für sich die Kriminalität als eine legitime Perspektive. 

Selbst dann, wenn Täter ermittelt werden, können sich diese in der Regel straflos fühlen. In den seltenen Fällen, in denen Einbrecher und Diebe verurteilt werden, verhängen die Gerichte Bewährungsstrafen, zumal wenn die Täter in Deutschland bislang nicht vorbestraft sind und einen festen Wohnsitz nachweisen können – auch wenn der im Ausland liegt. Ob sie allerdings dort bereits straffällig waren, lässt sich in den meisten Fällen nur schwer nachvollziehen. Doch eine Bewährungsstrafe wird von Kriminellen, die nicht in Deutschland leben, häufig gar nicht als Strafe wahrgenommen. Das berichten polnische Autodiebe ebenso wie Einbrecher aus Rumänien sowie einschlägige Rechtsanwälte: Deren Mandanten stellten sich nur eine Frage: Gefängnis oder nicht? Und kommen die ausländischen Täter nach ihrer Festnahme nicht gleich in Untersuchungshaft, scheren sie sich häufig nicht um den Prozess, der ihnen in Deutschland gemacht wird. „Es ist ja die Regel, dass Angeklagte aus Osteuropa nicht hier erscheinen“, berichtet etwa ein langjähriger Amtsrichter aus dem an der Grenze zu Polen gelegenen Schwedt/Oder. 

Sicherheitsgefühl soll gestärkt werden

Um dem Dilemma der gefühlten Straf­losigkeit von Einbrechern zu begegnen, will die Bundesregierung, dass diese künftig mit mindestens einem Jahr Haft bestraft werden. Es ist eine der jüngsten Gesetzesinitiativen der Großen Koalition. So will sie das gesunkene Sicherheitsgefühl der Deutschen im Wahljahr wieder stärken. Darüber hinaus hat die Bundesregierung die Zuschüsse der KfW-Förderbank für den Einbruchschutz in diesem Jahr erhöht. Auch kleinere Sicherungsmaßnahmen gegen Einbrecher werden gefördert, damit nicht nur Hauseigentümer, sondern auch Mieter davon profitieren können. Im Februar hat der Bundestag zudem eine Reform der Vermögensabschöpfung verabschiedet, um offensichtlich kriminell erworbenes Vermögen einfacher einziehen zu können. Überdies sind der Bund sowie einzelne Bundesländer bemüht, wieder mehr Stellen bei der Polizei zu schaffen, um so eine gravierende Fehlentwicklung der vergangenen Jahre zu korrigieren. Ausgerechnet in den Jahren nach der Schengenerweiterung im Jahr 2007 hatten viele Bundesländer Polizeistellen gestrichen, vor allem auch in Nordrhein-Westfalen und den östlichen Bundesländern, über die seitdem eine neue Welle der organisierten Kriminalität nach Deutschland rollt. Die Deutsche Polizeigewerkschaft beziffert die Zahl der bundesweit eingesparten Stellen auf insgesamt 17 000. 

Ob die Maßnahmen reichen, um die organisierte Bandenkriminalität in Deutschland einzudämmen, daran sind Zweifel erlaubt. Denn die jüngste Einwanderungswelle verstärkt gleichzeitig den Kriminalitätsdruck. Unter den Intensivtätern finden sich inzwischen zahlreiche Flüchtlinge, besonders aus Tunesien, Marokko, Algerien und Libyen, aber auch Zuwanderer aus Georgien. Sie sind in eigenen Banden als Einbrecher und organisierte Ladendiebe unterwegs.

 

Die Maiausgabe des Cicero erhalten Sie unserem Online-Shop.

 

 

 

 

 

 

 

Anzeige