Kohleausstieg - Weit mehr als ein Abschaltplan

Der Kohle-Ausstieg stellt Deutschland vor eine gewaltige Herausforderung. Denn um unseren Energiebedarf zu decken, müssen wir Strom importieren und Gaskraftwerke bauen. Damit der Markt dafür Investitionsanreize schaffen kann, muss der Staat aber einen politischen Rahmen setzen

Blackout in Köpenick: Wenn die Atomkraftwerke 2022 vom Netz gehen, könnte der Strom im ganzen Land knapp werden / picture alliance
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Autoreninfo

Stefan Kapferer ist seit Mai 2016 Vorsitzender der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Er ist Mitglied der FDP und war von 2002 bis 2003 stellvertretender Bundesgeschäftsführer der FDP 

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Nach 20-stündigem Verhandlungsmarathon war der gordische Knoten gelöst. Am frühen Morgen des 26. Januars einigte sich die 28-köpfige „Kohle-Kommission“ aus Vertretern von Industrie, Gewerkschaften, Wissenschaften und Umweltverbänden mit nur einer Gegenstimme auf einen Fahrplan zum Kohleausstieg. Ein historisches Ereignis – und das Ende der ideologischen Auseinandersetzung um die Ausrichtung der deutschen Energiewelt. 

Für den Energiesektor gibt es damit einen klaren, aber auch ambitionierten energie- und klimapolitischen Pfad. Ganz im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen. Die Energiewirtschaft steht bereit, auf der Grundlage dieses Kompromisses die Energieversorgung von morgen zu gestalten. 

Der 278 Seiten umfassende Bericht der „Kohlekommission“ beinhaltet weit mehr als einen „Abschaltplan“. Wir sehen eine Blaupause für eine klimafreundliche Energieversorgung von morgen. Wir sehen neue Geschäftsmodelle für die Energiewirtschaft durch die Speicherung von Stromüberschüssen, dem Zubau Erneuerbarer Energien, dem Neubau,  beziehungsweise der Umrüstung von Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen von Kohle auf Gas sowie der Schaffung von Flexibilitäten und Speichern. 

Klimaschutz und Versorgungssicherheit

2038 soll der letzte Kohlemeiler den Markt verlassen, die Kernkraft ist bereits im Jahr 2022 Geschichte. Rückwärts gerechnet bleiben uns damit nur knapp 20 Jahre, um 50 Gigawatt an gesicherter Leistung – das entspricht mehr als der Hälfte unserer gegenwärtigen konventionellen Kapazität – aus dem System zu nehmen und durch Wind- und Solarkraft, durch Speicher sowie durch klimafreundliche Gaskraftwerke zu ersetzen. 

Statt Strom zu exportieren, wird Deutschland ab 2022 wahrscheinlich Strom von seinen europäischen Nachbarn importieren müssen. Nur: Auch dort geht der Anteil an gesicherter Leistung zurück. Und Wetterphänomene wie die „kalte Dunkelflaute“, bei denen die Stromeinspeisung aus Erneuerbaren Energien gen Null läuft und auf einen hohen Strombedarf trifft, sind in Mitteleuropa nahezu deckungsgleich. Ist die Stromnachfrage in Deutschland hoch, ist sie es in der Regel auch in unseren Nachbarstaaten. Um trotz des ambitionierten Ausstiegspfades die deutsche Stromversorgung weiterhin zuverlässig zu gewährleisten, haben wir im Abschlussbericht eine Reihe flankierender Maßnahmen vorgeschlagen. Entscheidend wird sein, dass wir rechtzeitig mit dem Bau von Gaskraftwerken beginnen und unsere Gasversorgung auf einen breiten Mix von Quellen stellen. Dazu gehört neben russischem Erdgas ebenso Flüssigerdgas oder grünes Gas aus neuartigen Power-to-Gas-Verfahren. 

Bisher setzt der Markt jedoch nicht die Anreize dafür. Stattdessen sind wir schon heute auf eine Reihe von Reparaturmaßnahmen angewiesen, die überdecken, was es nicht geben darf. Netzreserve, Kapazitätsreserve oder netztechnische Betriebsmittel kaschieren mehr schlecht als recht die Defizite der deutschen Energiepolitik und Marktkonditionen. Auf Dauer wird das nicht funktionieren.

Bundesregierung muss Anreize schaffen

Um das gigantische Umbauprojekt unserer Energieversorgung auf den Weg zu bringen, muss die Bundesregierung deshalb zügig das notwendige Umfeld schaffen. Das bedeutet zuallererst die Stärkung von Investitionsanreizen durch einen klugen ordnungspolitischen Rahmen, statt den Versuch der Detailsteuerung am ministerialen Reißbrett zu unternehmen. Uns mangelt es nicht an neuen Zielen, sondern an der verlässlichen und volkswirtschaftlich effizienten Umsetzung. Gerade bei der Realisierung der europaweit verbindlichen Klimaziele für 2030 ist die Energiewirtschaft Treiber der Politik – und nicht umgekehrt. 

Die neue Architektur der Energieversorgung darf nicht einseitig zu Lasten der Stromkunden passieren. Um die Strompreise zu stabilisieren, schlägt die Kommission vor, das Steuern-, Abgaben- und Umlagensystem zu reformieren, die Strompreiskompensation für die energie-intensive Industrie weiterzuentwickeln sowie einen Zuschuss zu den Netzentgelten aus dem Bundeshaushalt zu gewähren.

Strukturwandel und Eingriff in Eigentumsrechte kosten Geld

Klar ist: Wir müssen Geld in die Hand nehmen, um den Strukturwandel in den Kohleregionen sozialverträglich zu gestalten. Dieses Geld hätten wir im Übrigen auch investieren müssen, wenn wir erst später aus der Kohleverstromung aussteigen würden oder allein auf ein marktgetriebenes Ausstiegsdatum gesetzt hätten.

Geld kosten auch die Entschädigungszahlungen an die Betreiber von Kohlekraftwerken und Tagebauen. Diese als „Subventionen“ zu bezeichnen, verkennt die Tatsachen: Beim vorgezogenen Kohleausstieg handelt es sich um eine politische Entscheidung. Die Energiewirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht und befindet sich ohnehin auf der Zielgeraden für das Klimaziel 2020, anders als der Verkehrssektor oder die Landwirtschaft. Um deren Lücke für das Gesamtminderungsziel von 40 Prozent zu reduzieren, sollte die Energiewirtschaft einen zusätzlichen Sonderbeitrag leisten. Die vorzeitige Stilllegung von Stein- und Braunkohlekraftwerken ist ein – politisch gewollter – Eingriff in die Eigentumsrechte der betroffenen Unternehmen und muss in einem Rechtsstaat entschädigt werden.

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